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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

halbes Jahr. Hier dichtete er in einem Zeitraum von weniger als sechs Wochen seine erste und vorzüglichste Tragödie „Hakon Jarl“, welche den Sturz des nordischen Heidenthums behandelt. Der Vorwurf ist der norwegischen Königschronik Snorre Sturleson’s entlehnt und mit erstaunlicher poetischer Kraft behandelt. Sein nächstes Werk war eine dramatische Bearbeitung der Mythe von „Baldur dem Guten“ im Styl der griechischen Tragödie. Hierauf hielt er sich einige Monate in Weimar auf, im fast täglichen Verkehr mit Goethe, worauf er sich nach Paris begab.

Das Trauerspiel „Palnatoke“, welches hier entstand, ist insofern ein Gegenstück von „Hakon Jarl“, als es das nordische Heidenthum in einem seiner edelsten Repräsentanten, im Gegensatz zu den Schattenseiten des Katholicismus, verherrlicht, während „Hakon Jarl“, wie große Sympathie der Dichter auch dort für den Helden zu erwecken weiß, doch zunächst eine Verherrlichung des siegreichen Christenthums ist. Weniger bedeutend war die zweite in Paris geschaffene Tragödie „Axel und Valborg“, die dramatische Bearbeitung eines berühmten alten Liedes von zwei Liebenden, gegen welche Haß und Mißgunst auftreten, um sie durch Anwendung der Kirchengesetze zu trennen. Dann reiste Oehlenschläger über die Schweiz nach Italien und dichtete hier in deutscher Sprache die Künstlertragödie „Correggio“, welche alsbald in den größten Städten Deutschlands aufgeführt und mit großem Beifall aufgenommen wurde, trotz der zahlreichen kunsthistorischen Irrthümer, deren der Dichter sich schuldig macht, und trotz des verfehlten, in schneidendem Widerspruch zu dem anmuthigen dramatischen Idyll in den ersten drei Acten stehenden Schlusses der Tragödie.[1]

Oehlenschläger hatte das dreißigste Lebensjahr erreicht, als er in sein Vaterland zurückkehrte. Hier waren die im Auslande gedichteten und von ihm in die Heimath gesandten Werke mit maßloser Begeisterung aufgenommen worden. Er ward sofort an der Universität als Professor der Aesthetik angestellt und vermählte sich jetzt mit Christiane Heger, einer Schwester der geistreichen Gattin Rahbek’s[WS 1]. Von nun ab verlief sein Leben still und ruhig, voll Zufriedenheit und Ruhm, und dieses idyllische Dasein ward nur durch einige literarische Fehden aus Anlaß seiner dichterischen Thätigkeit getrübt. Die große Schaar seiner Bewunderer nahm Alles, was von seiner Hand kam, selbst das Werthloseste – und er schuf dergleichen in der Folge nur zuviel – ohne die mindeste Kritik mit stürmischem Jubel auf und überfiel Baggesen mit wüthenden Angriffen, der, nachdem er 1811 nach Dänemark zurückgekehrt war, Oehlenschläger’s Werke, namentlich die schwächeren, in einer Reihe von Recensionen einer sehr scharfen Kritik unterzog. Unleugbar enthielt dieselbe viel Wahres und Treffendes, allein sie verfehlte doch den rechten Eindruck, weil man seinem rücksichtslosen und feindseligen Tone anmerkte, daß ein nicht geringer Theil Eifersucht mit im Spiele sei. Der Dichter selbst nahm nur wenig Theil an dem Streite, der bis 1819 dauerte, überließ es vielmehr seinen jungen Bewunderern, sich mit Baggesen herumzubalgen. Die zwölf Hauptkämpen, das sogenannte „Tylvt“ (Dutzend), unter denen sich mehrere später berühmt gewordene Dichter befanden, gingen zuletzt soweit, daß sie Baggesen aufforderten, sich wegen seiner Angriffe gegen ihren angebeteten Heros „auf Lateinisch“ zu rechtfertigen, worauf Jener sich natürlich nicht einließ.

Aus Anlaß der 1827 von Oehlenschläger vollendeten Tragödie „Die Normannen in Byzanz“ erhob sich eine literarische Fehde zwischen ihm und dem jungen talentvollen Dichter und Kritiker Johne Ludwig Heiberg. Dieser Streit kann insofern als eine Fortsetzung des Kampfes mit Baggesen angesehen werden, als er sich ebenso, wie dieser, wesentlich um das Verhältniß zwischen Inhalt und Form bei der Dichtkunst drehte. Heiberg’s ganze Haltung dabei war objectiv und leidenschaftslos, und er machte daher beim Publicum mit seinen Forderungen zu Gunsten des guten Geschmacks weit mehr Eindruck, als Baggesen, dessen Bemerkungen, mochten sie noch so richtig und treffend sein, stets einen Beigeschmack von persönlicher Bitterkeit hatten.

Während der Kampf mit Baggesen am heftigsten entbrannt war, gab Oehlenschläger neben einer Anzahl von Arbeiten, die er füglich nicht hätte veröffentlichen sollen, mehrere seiner allertrefflichsten Werke heraus. Selbstverständlich trug das viel dazu bei, daß sich das große Publicum auf seine Seite stellte. So erschienen in dieser Zeit die Tragödien „Stärkodder“ und „Hagbarth und Signe“ mit Handlungen aus der Vorzeit des Nordens; ferner das farbenreiche orientalische Märchen „Aly und Gulhyndy“, das anmuthige dramatische Idyll „Der kleine Hirtenknabe“ und ganz besonders der Romanzencyklus „Helge“ mit der Schlußtragödie „Yrsa“ und der Prosadichtung „Hroars Saga“. Dieser Cyklus bietet eine Reihe von glänzenden Bildern aus dem Leben in der Heidenzeit, wie es sich dem Dichter, von dem warmen, farbigen Licht der Romantik überstrahlt, darstellte. Wenn er in diesen Jahren des Kampfes für die ihm von seinem schonungslosen Gegner zugefügten mannigfachen Kränkungen vollen Ersatz in den Sympathien erhielt, welche ihm von seinem Volke beim jedesmaligen Erscheinen einer neuen gediegenen Arbeit auf’s Neue entgegengetragen wurden, so ward ihm während des Zwiespalts mit Heiberg eine Genugthuung in einer anderen, nicht minder erhebenden Weise dargebracht. Als er 1829 Schweden besuchte, ergriff der Bischof Esaias Tegnér, der berühmte Dichter, die Gelegenheit, während der Doctorpromotion in der Domkirche zu Lund Oehlenschläger zum „nordischen Sängerkönig“ zu krönen und ihn zu erklären für den „Erben des Throns im poetischen Reich, dessen König ist Goethe“, wobei er die denkwürdigen Worte sprach, daß die Zeit der Absonderung zwischen den Völkern des Nordens vorüber sei, und das Verdienst dieserhalb in allererster Reihe Oehlenschläger anrechnete, der durch seine Dichtung den alten nordischen Geist wieder in’s Leben gerufen.

Bis zu seinem Tod, der am 20. Januar 1856 erfolgte, war Oehlenschläger schöpferisch thätig, und mehrere von den Werken seines späten Alters zählen zu den glänzendsten Zierden der dänischen Literatur. Die bedeutendsten unter den bisher noch nicht genannten Schöpfungen Oehlenschläger’s sind: der große Romanzencyklus „Die Götter des Nordens“, eine freie, in stetem Wechsel der Tonart, vom höchsten Pathos bis zum kräftigsten Humor, ausgeführte Bearbeitung der mythischen Sagen und Gesänge der „Edda“ (1819), die Tragödie „Erik und Abel“ (1820), „Königin Margarethe“ (1833) und „Dina“ (1842), in welcher letzteren der Dichter sich weit mehr in den Charakter der Hauptperson vertieft, als dies bei seinen dramatischen Arbeiten sonst seine Gewohnheit ist, ferner die beiden großen epischen Dichtungen „Rolf Krake“ – in einer charakteristischen, auf die Nibelungenstrophe basirten Versform geschrieben – und „Regnar Lodbrog“, ein Romanzencyklus mit wechselndem Versmaß, die letzte größere Dichtung von ihm (1848). Außerdem eine große Anzahl van Romanzen, lyrischen Gedichten und dergleichen, sowie „Erinnerungen“, welche er im Manuscript hinterließ.

Diejenige Seite von Oehlenschläger’s reicher und umfassender Dichterthätigkeit, welche im Ganzen genommen am stärksten und unmittelbarsten auf seine Zeit einwirkte, war die dramatische, und doch war sie es nicht, in der sich sein Genius am klarsten und mächtigsten offenbarte. Alle die genannten Dramen zeichnen sich durch große poetische Schönheit aus, allein eigentlich nur „Hakon Jarl“ erfüllt durchaus die Forderungen der dramatischen Dichtung. Oehlenschläger war eine zu unmittelbare Natur, als daß er die dramatische Composition, bei welcher Ueberlegung und Berechnung eine so stark hervortretende Rolle spielen, hätte bemeistern können. Das Epische und das Lyrische wuchern allzu üppig, und leicht geschieht es, daß sich bei ihm der feste Umriß der Charaktere unter der hochtrabenden Rhetorik verflüchtigt. In seinem höchsten Glanze zeigt er sich da, wo das Epische sich mit dem Lyrischen zu einer weniger compacten Einheit verbindet, wie in der Romanze, der von einer stark lyrischen Stimmung durchdrungenen erzählenden Dichtung, ferner in solchen dramatischen Werken, wo der Stoff eine minder feste Composition zuläßt oder wohl gar fordert, wie z. B. in „Aladdin“ und „St. Johannisabend-Spiel“. Hier ist er völlig in seinem Element, bewegt sich mit wunderbarer Sicherheit in den verschiedensten Tonarten und entfaltet eine seltene Ursprünglichkeit und Schönheitsfülle.

Namentlich ist er als Romanzendichter ohne jede Frage ein Meister ersten Ranges – aber um dies recht zu erkennen, muß man seine Dichtungen in seiner Muttersprache lesen, denn der über ihnen ausgebreitete magische Glanz beruht zum großen Theil darauf, daß er dieselbe nach den feinsten Stimmungsnuancen zu

  1. In Rom ward der Dichter von dem deutschen Maler Riepenhausen portraitirt. Dieses Gemälde ist das beste Bild von Oehlenschläger und befindet sich im Besitze des Consul Haidt zu Kopenhagen, der bereitwillig seine Zustimmung zur Wiedergabe desselben in der „Gartenlaube“ ertheilt hat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kamma Rahbek, Vorlage: Strabek’s
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_767.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)