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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Schon die ersten Erfinder des Luftballons, die Gebrüder Montgolfier zu Annonais, welche große Leinwandsäcke durch warme Luft zum Emporsteigen brachten, sowie Professor Charles, der zuerst einen gefirnißten Taffet-Ballon mit Wasserstoffgas füllte und aufsteigen ließ, empfanden es schmerzlich, daß der Ballon in horizontaler Richtung sich nicht lenken ließ, sondern ein Spiel jedes Windes blieb. Vergebens machte man alle möglichen Versuche mit Segeln und Rudern und erdachte die tollsten, unmöglichsten Formen für die Luftfahrzeuge – alles half nichts: der Wind trieb stets den Ballon, wohin er eben wehte. Es ist aber auch ganz natürlich, daß weder die Form eines Luftschiffes noch die Anbringung von Rudern zur Steuerung etwas beitragen können, so lange dem Ballon nicht auf irgend eine Weise eine eigene Bewegung neben der ihm vom Winde ertheilten innewohnt. Ist ein Ballon lediglich der strömenden Luft überlassen, so ertheilt diese ihm bald ihre eigene Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung, er steht dann mit Bezug auf diese Luftströmung vollständig still, und so nützt es nichts, ob man das Ruder nach rechts oder nach links stellt, ob man ein großes oder kleines Segel aufspannt; auch darin hat man gefehlt, daß man das Ruder an der Gondel anbringen wollte und wirklich anbrachte, statt oben an dem viel größeren Ballon. Es ist das, wie Pearson sehr gut bemerkt, gerade so, als wollte man einen Wagen durch irgend einen an den vorderen Rädern angebrachten Apparat steuern, während er von den Pferden in gerader Richtung fortgezogen würde. Dann ist auch die Kugelform des Ballons für eine Steuerung so ungünstig wie möglich. Ein Schiffer würde sich für die Lenkung eines kugelförmigen Schiffes, an dem unter Wasser noch ein Korb mit Steinen hinge, sehr bedanken.

Wenn die Luftschifffahrt Fortschritte erzielen soll, so muß man zunächst ganz von der Kugelform des Ballons abgehen. Dieselbe ist allerdings am einfachsten zu erreichen, sie ist aber geradezu die am wenigsten passende.[1] Deswegen hat ein Italiener, Dr. Giovanni Polli, die Construction eines Luftballons angegeben, der sich der Fischgestalt möglichst nähert. Um die Wirkung der Schwimmblase hervorzubringen, wodurch der Luftschiffer ohne Gasverlust auf- und absteigen könnte, sollte an der Maschine eine kleine Feuerung angebracht werden, welche warme Luft in Röhren durch das Gas des Ballons leitete und dieses ausdehnte. Der Vorschlag ist recht gut, aber seine Ausführung kaum minder gefährlich, als das Erwärmen eines Fasses voll Pulver. Von einem mit Gas gefüllten Ballon soll man alles, was Feuer heißt, nur möglichst weit entfernt halten. Pilatre de Rozier und Romain sind durch Nichtbeachtung dieser Hauptregel 1784 verunglückt, und genau ebenso erging es dem Grafen Zambeccari, der, nachdem er zwei Mal mit seinem Ballon in’s adriatische Meer gefallen war, darauf verfiel, das Gas desselben durch eine Spiritusflamme zu erwärmen, und damit natürlich eine Explosion herbeiführte. Um dem Luftballon in horizontaler Richtung eine eigene Bewegung zu verschaffen, schlug Polli vor, an demselben ein Ruder in Gestalt der Schwanzflosse des Fisches anzubringen und dieses Ruder stets rasch hin und her zu bewegen. Dieser Vorschlag ist sehr sinnreich, aber seiner Ausführung dürften sich doch große Schwierigkeiten entgegenstellen.

Von anderen Gesichtspunkten ging David Meltzl aus. Er verwarf alle Vorschläge, dem Ballon durch Menschen- oder Dampfkraft eine eigene Bewegung zu geben, sondern reflectirte nur auf die Bewegungen der Luft, als die einzigen Gewalten, denen der Ballon je gehorchen werde. Die Richtung der Luftbewegung, also des Windes, ist in den verschiedenen Höhen der Atmosphäre nicht gleich, und darauf gründete Meltzl seinen Vorschlag. Zwei Kräfte, sagt er, führen den Seemann: der Stoß des Windes und der Widerstand des Wassers; aus der Benutzung dieser Kräfte, deren Einwirkung auf sein Fahrzeug er durch Steuer und Segel zweckmäßig zu leiten weiß, entspringt die nach dem Ziele gerichtete Bewegung des Schiffes. Könnte nun nicht ebenso der Luftfahrer zwei in verschiedenen Richtungen wehende Winde gleichzeitig benutzen? Es ist klar, daß er zu diesem Zwecke keinen tausend Fuß hohen Mast über dem Ballon aufrichten kann, um daran oben ein Segel zu befestigen, das dem andern Winde ausgesetzt wäre; aber was hindert ihn, den Mast herabhängen zu lassen? Derselbe brauchte nicht einmal von Holz zu sein; ein Seil würde dieselben Dienste thun, und am unteren Ende wäre das Segel zu befestigen. Daneben bedürfte der Ballon selbst eines Steuers, um das Segel jedesmal in der erforderlichen Lage zu befestigen.

Damit der Luftfahrer die ihm günstigen Winde aufsuchen kann, muß er aber auch die verticale Bewegung ganz in seiner Gewalt haben. Er kann sich in dieser Beziehung durch Auswerfen von Ballast helfen, aber dieses Mittel leidet nur eine beschränkte Anwendung, und Meltzl schlug deshalb vor, daß der Aëronaut sich in der Luft selbst ein Ueber- oder Untergewicht von ein paar Pfund – und mehr bedarf es nicht – verschaffen solle. Dies läßt sich aber, wie Meltzl bemerkt, leicht erreichen, wenn der Luftfahrer eine genügend große hohle Kugel von feinem Kupferblech und eine Luftpumpe mitnimmt. Wird diese Kugel mit verdichteter Luft gefüllt, so erhält man Uebergewicht, wird dagegen die zusammengepreßte Luft durch Oeffnen des Hahnes wieder freigelassen, so erhält man noch viel leichter Untergewicht. Auf diese Weise brauchte der Luftfahrer sein Gas nicht zu verschwenden, wenn er sich zur Erde senken will, auch könnte er nöthigenfalls die Kugel mit sammt der Luftpumpe herauswerfen, wenn der Ballon einmal allzu schnell zur Erde sinken sollte. Meltzl versprach sich sehr viel von seinem Ballon. Zu Fahrten über das Meer, so meinte er, könnten die Segel des Luftschiffs durch das Wasser bearbeitet werden, wie die Luft in die Segel des Wasserschiffs greift. Wenn aber die See sich empöre, so tauche der Luftfahrer in den befreundeten Aether empor und lache ihrer Wuth. Es ist das etwas sehr überschwänglich; denn nach den bisherigen Erfahrungen darf man einen Ballon, welcher der Meeresoberfläche nahe kommt, dreist für verloren erklären. Das hat schon Crosbie erfahren, als er von Dublin aus über die Irische See fliegen wollte und sich, weil es ihm oben zu kalt war, durch Ausströmen von Gas senkte. Der Ballon war nun nicht mehr zu halten, und obgleich Crosbie Alles was er hatte auswarf, sank er doch bis zum Wasserspiegel. Vorsichtiger Weise hatte er seine Gondel so construirt, daß sie als Nachen dienen konnte, und nun begann eine rasende Fahrt in der Richtung nach der englischen Küste. Der Ballon zog wie ein Schleppdampfer, und erst nach vielen Bemühungen konnte man des seltsamen Seefahrers habhaft werden.

Die Vorschläge von Meltzl sind niemals praktisch geprüft worden, denn auf dem Gebiete der Luftschifffahrt arbeitet, wie es scheint, Jeder nach seiner eigenen Eingebung und kehrt sich nicht viel an das, was seine Vorgänger gedacht und vorgeschlagen haben. Das trat am deutlichsten bei der Europäischen Luftschifffahrts-Compagnie hervor, die in den dreißiger Jahren in Paris sich gebildet hatte und eine directe Luftschifffahrt zwischen Paris und London einrichten wollte. Die guten Leute hatten gar keine Idee von den Bedingungen, unter denen ein Ballon aufsteigt. Sie meinten, je mehr Gas man einfülle, um so besser wäre es, und füllten daher so wacker, daß der Ballon wie eine Seifenblase platzte. Ein neuer Ballon, „der Adler“, der von London aus seinen Flug nach den Hauptstädten Europas nehmen sollte, kam auch nicht dazu, sondern wurde vor seinem Aufsteigen in den blauen Aether von den Gläubigern der Luftschifffahrts-Compagnie mit Beschlag belegt. Es war dies eigentlich gut, denn der Ballon war so sinnreich construirt, daß er diesmal gewiß hoch in der Luft geplatzt wäre. Die Unternehmer hatten ihn nämlich mit einer Schwimmblase versehen, die in Gestalt eines kleinen Ballons in dem großen gasgefüllten Ballon angebracht war und durch Zuführung von atmosphärischer Luft leicht aufgeblasen werden konnte. Hierdurch sollte das Gas in der größeren Hülle zusammengepreßt und die ganze Flugmaschine schwerer werden, sich also senken. Wie gefährlich solche Pressungen einer Taffethülle werden können, liegt klar auf der Hand, und es scheint mir unzweifelhaft, daß der Versuch, durch Einpressen von Luft die Schwimmkraft des Ballons in merklichem Maße zu vermindern, das größte Unglück herbeigeführt haben würde.

Trotz des Fiascos, welches der „Adler“ in London gemacht, ließ sich wenige Jahre später der englische Ingenieur Samuel Henson nicht abhalten, die Beförderung von Menschen und Waaren durch die Luft zum Gegenstande neuer Speculationen zu machen. Er kam dabei auf ein atmosphärisches Fahrzeug, das er sich patentiren ließ und worüber er sich folgendermaßen ausspricht: „Der erste Theil meiner Erfindung besteht in einem Apparate, welcher so gebaut ist, daß er eine sehr ausgedehnte Oberfläche von leichter und dennoch starker Construction darbietet, die

  1. * Vergl. Wilhelm Bauer’s Ansicht und Versuche, Jahrg. 1876, S. 106.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_769.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)