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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Dieses zeitweilige Auflodern schöner Empfindungen aber ist es nicht, was ich meine. Wer die echte Weihe der Göttin empfangen hat, der folgt ihrer Spur mit gleicher Treue nach, bis hinauf in’s höchste Alter, der bleibt ihr unwandelbar ergeben, auch in den drückendsten, erbärmlichsten Lebenslagen, für den giebt es eben absolut keine – Prosa in dieser Welt; er sieht sie nicht, er fühlt sie nicht, oder nur auf Augenblicke; er weiß immer und überall noch ein Blümchen zu finden, und sollte er es unterm Schnee hervorgraben; er sieht einen Stern leuchten selbst in der dunkelsten Nacht, und durch diese herrliche Gottesgabe gestärkt, geht er mit unverwüstlich heiterem Muthe durch’s Leben.

Vor uns liegt ein altes Notizbuch aus der Jugendzeit; darin steht ein Auszug, mit dem Namen „W. Nade“ gezeichnet, der solch eine Natur schildert:

„Ja, quäle Dich einmal bei Tag und Nacht,“ heißt es da; „ängstige Dich unaufhörlich, schau mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit, mit heißem Kummer in die Augen, die Dir lieb sind, und empfange nichts dafür als gleichgültige Worte, mißmuthige Reden, launischen, hastigen Tadel um Nichts, oder vielmehr – für Deine Güte und Liebe; lächle mit den Lippen und weine in Kopf und Herzen heimlich die bittersten Thränen – und habe das alles und siege dennoch! Geh’ aus dem Kampfe hervor und sage, er sei Dir leicht geworden! O ja, ich weiß es wohl, daß es Menschen giebt, deren Sinn so einzig hoch und klar ist, daß sie über alles Erdenleid gleichsam nur lächelnd hinweg schweben. In alten Sagen erzählt man sich von einem wunderbaren blauen Vogel, der von Zeit zu Zeit des Nordens Wälder besuchen und mit zauberhaftem Gesang erfüllen soll. So selten wie jener Vogel ist solch ein Gemüth, und wo es erscheint, da starrt man es verdummt an und begreift es nimmer, und nennt die Elasticität des Geistes – Leichtsinn. Ich hatte etwas an mir von solch einem blauen Vogel, aber Leichtsinn war es nicht.“[WS 1]

Ja sicherlich, Leichtsinn ist es nicht, wenn eine Mutter am Bettchen des todtkranken Kindes liebliche Märchen erzählt, daß unter dem sanften Klang ihrer Worte das dunkle Krankenzimmer zum hohen Königsschlosse wird, oder zum rauschenden Eichenwald – Leichtsinn ist es nicht, wenn sie bei allem Herzeleid ein lustig Liedlein singt, leiser und immer leiser, bis die müden brennenden Augen des Kindes sich langsam schließen, während noch ein halbes Lächeln auf den zuckenden Lippen liegt.

„Wie kannst Du erzählen und singen, armes Weib, als wäre rings um Dich nur Glück und Sonnenschein?“ möchte man da fragen.

Und wenige Wochen später, da ist’s Ostern geworden, und die Brüder des kleinen Mädchens, welches genesen, mit glücklichem Ausdruck in dem noch etwas bleichen Gesichtchen, auf der Mutter Schooß harrend am Fenster sitzt, können jeden Augenblick „in die Ferien“ eintreffen.

Mitten in der Stube steht ein weißgedeckter Tisch, darauf liegt für den ältesten der heimkehrenden Schüler ein neuer schwarzer Anzug und ein Gesangbuch, auf dessen erster Seite die Mutter die Nummern ihrer Lieblingslieder verzeichnet hat, daneben die alte silberne Uhr, das Andenken an den verstorbenen Gatten, das sie so treu gehütet hat bis zu dieser Stunde. Frische Blumen zieren die mit so viel Liebe aufgebaute Bescheerung für den Confirmanden. Damit aber sein jüngerer Bruder nicht zu kurz kommt, hat für ihn am anderen Ende des Tisches ein schon längst ersehntes Lesebuch und ein neuer Strohhut Platz gefunden.

Der Tisch am Fenster ist schon gedeckt zum Abendbrod. Auf den Tellern der Söhne prangen bunte Serviettenbänder, die klein Lisbeth unter der Mutter Anleitung in großen Stichen ausgenäht hat, und unter der Gabe des Schwesterchens verborgen, ruht das willkommene Geldgeschenk des fernen Pathen. Nicht gleich soll es der Bruder finden, es muß noch eine Ueberraschung dabei geben. Draußen in der Küche stehen in verdeckter Schüssel die bunten Eier, die „Mutter“ noch spät am Abend draußen im Gärtchen verstecken wird, und welche die Kinder dann früh am Ostermorgen suchen sollen.

„Horch, Lisbeth!“ – wieder ein Schritt auf dem Pflaster. „Ach, sie sind’s noch immer nicht!“ Es ist nur die Nachbarin, die einen kurzen Besuch machen will. Erstaunt sieht sie die Vorbereitungen im Wohnzimmer und ruft lachend:

„Nun, das sollte mir doch nicht beikommen, so viel Umstände um eine Confirmation! Meine Grethe wird auch mit eingesegnet, die hat ihr Pathengeschenk schon vorige Woche bekommen. Aber um ihr Kleid sorge ich mich recht; die Schneiderin hat es noch immer nicht fertig. Ach, was das für ein Elend ist mit so viel Kindern, und der Trubel, das Lärmen, wenn sie alle zu Hause sind! Ich danke meinem Schöpfer allemal, wenn die Ferienzeit erst wieder vorüber ist.“

Die so spricht, ist eine recht brave, tüchtige Hausfrau; sie hat auch ihre Kinder so lieb wie die Freundin die ihrigen, aber wenn eines krank ist, dann geht sie den ganzen Tag mit verweinten Augen herum und hört nicht auf, die Hände zu ringen und laut zu jammern. Es ist eine brave – eine gute, rechtschaffene Frau, aber vom „sechsten Sinne“ hat sie keine Spur geerbt, wie die harrende Mutter, welche nicht anders kann, als um Leid wie Freude den versöhnenden und verklärenden Schimmer der Poesie zu weben.

Während Solches daheim vor sich geht, nähern sich die erwarteten Söhne auf ihrer Wanderung immer mehr der Heimath. Jetzt ist die letzte Anhöhe erreicht, und weit unten in der Ebene sieht man, inmitten hoher Obstbäume, das heimathliche Dorf liegen. Der Himmel ist von schweren Wolken bedeckt, die ein heftiger Aprilwind hin und her peitscht. Jetzt theilen sie sich und grell schießt ein Sonnenblick herab zur Erde.

„Bruder, sieh nur, sieh!“ ruft der Aeltere.

„Was denn?“ fragt ruhig der Jüngere. „Die Wolken ziehen vorüber, wir kommen schon noch ohne Regen bis nach Hause.“

„Aber siehst Du denn nicht das wundervolle Bild?“ fragt sein Bruder erregt. „Sieh nur hinab: Alles dunkel rings um uns her, und nur das liebe Vaterhaus allein in hellstem Sonnenglanze! – So soll es sein, so soll es bleiben,“ fährt der Jüngling dann träumerisch fort, „mag auch die ganze Welt umwölkt und dunkel sein, nur für dieses Haus spare mir stets einen Sonnenstrahl auf, barmherziger Himmel – dann will ich zufrieden sein.“

So verschieden sehen verschiedene Naturen das gleiche Bild! Dieser ältere Sohn, was ist er anders, als ein Poet?

Immer bleibt es vor Allem Frauenaufgabe, die Poesie im Hauskleid zu hegen und zu pflegen nach besten Kräften. Dem Manne kann wohl draußen im Kampf mit so viel Widerwärtigkeiten der Sinn dafür verkümmern, aber die Frau muß, wenn ihr anders die poetische Anlage nicht ganz versagt ist, gleich der Vestalin des Alterthums, die göttliche Flamme hüten. Oft – ich will es gern zugeben – glimmt sie nur noch schwach unter den Schlacken von Müh und Sorgen, von Kummer und Aerger, aber es kommen schon auch wieder Tage, die ihr neue Nahrung bringen; es streicht schon auch wieder ein frischer Luftzug durch’s Haus, der sie zu heller Flamme anfacht, wenn nur treu und unermüdlich die glimmenden Funken gehütet wurden.




Ein Weihnachtsbild.
(Aus dem Leben.)

Der Abend war herabgesunken; die große Stadt hatte ihre tausend Lichter angezündet und strahlte in hellem Glanze.

Wie die Menge geschäftig durch einander wogte! Wie eilig sie es hatten, die winterlich gekleideten Leute auf allen Gassen! Es war ja Weihnachtsabend; die Liebe regierte; die Freude flog von Haus zu Haus; sie küßte die kleinen und großen Menschenkinder – und auf allen Wangen blühten ihre Rosen.

Ein hoher ernster Mann tritt in eine glänzende Passage. Sein Fuß stößt an; er bückt sich; da, etwas in das Dunkel gerückt, sitzt auf einem Schemel ein altes Mütterchen; sie streckt ihm bittend die welke Hand entgegen. Was spricht zu ihm aus diesem milden todesbleichen Angesicht? Nur langsam schreitet er weiter; mit unwiderstehlicher Gewalt zwingt es ihn, sich umzusehen. Und seltsam, die Alte beugt sich weit vor und winkt ihm lächelnd zu. Er schreitet weiter, weiter – verloren in das bunte gestaltenreiche Weihnachtsgedränge.

Weihnacht! – welch ein Zauber in dem einen Wort! Die Gegenwart versinkt ihm; die Vergangenheit öffnet ihr Grab, und mit unabweisbarer Gewalt drängt sich die Erinnerung an längst Vergessenes ihm auf.

War das eine glückliche Jugend!

Er war der einzige Sohn liebevoller Eltern; der Vater starb früh,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. zitiert aus Aus den Memoiren eines Vagabunden von Edmund Hoefer, 1867
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_858.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)