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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen. Was sollte aus dem Staate werden, den er auf Disciplin, Ordnung und Unterordnung gegründet hatte, wenn der Nächste zum Throne, wenn sein Sohn und Erbe diese Ordnung zu durchbrechen wagte! Wenn er Officiere aus des Königs Dienst verleitete, ihren Fahneneid zu vergessen und seine Fahnenflucht zu begünstigen! – Am 27. October fiel die Entscheidung in Köpenick. Sie fiel anders aus, als der König erwartet hatte. Die Richter erklärten sich für „unvermögend, in einer Sache einen Spruch zu fällen, so hauptsächlich eines großen Königs Zucht und Potestat über seinen Sohn betreffe; in den Kriegsartikeln sei nichts enthalten, was auf diesen Fall passe“.


Das Tabaks-Collegium: Jetzt.
Original-Zeichnung von H. Lüders.


„Sie wagen es nicht,“ dachte der König; „sie wälzen die Verantwortung auf mich zurück. Ich aber will ein Exempel statuiren, damit die Nachwelt nicht sagen möge, ich habe aus Familienrücksichten die Gerechtigkeit schweigen lassen. Fiat justitia, pereat mundus!

Die königliche Familie, die Hauptstadt, das ganze Land harrten angstvoll auf die königliche Entscheidung. Die sämmtlichen gekrönten Häupter, auch der Kaiser Karl der Sechste, legten Fürsprache für den Prinzen ein – wer vermag zu sagen, was in jenen bangen Tagen zu Wusterhausen in der Seele Friedrich Wilhelm’s vorging? Es mehrten sich die Anzeichen, daß der König in der That entschlossen war, den alten Römerspruch an einem Beispiele aus seinem eigenen Hause zu bewahrheiten. Auch die Verwendung der fremden Mächte würde keinen Einfluß auf den eisernen Willen des Königs gehabt haben, wenn hier nicht andere vaterländische Elemente dazwischen getreten wären, die seinem Herzen näher standen. Es waren dies die alten Generale des Tabakscollegiums, die Natzmer, Buddenbrock, Flanz, der Herzog von Holstein-Beck, der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau und Andere mehr. Die Meinung dieser ehrenwerthen alten Herren, welche bei Hochstedt, Turin und Malplaquet ihre Treue für das Vaterland bewährt hatten und dem Könige bis zum letzten Blutstropfen ergeben waren, gewann endlich die Oberhand über jede andere Regung in des Königs Seele. Als ein Zeugniß jener ehrenhaften Treue und des unerschrockenen Muthes, welcher auch den Unwillen des Königs nicht scheute, wo es galt, ihn von einem furchtbaren Schritte zurückzuhalten, durch welchen der Ruhm und das Ansehen des preußischen Königshauses und des Vaterlandes schwer geschädigt worden wären, hat die Geschichte die Worte des Generalmajors von Buddenbrock aufbewahrt, der in edler Aufwallung die Uniform aufriß und dem Könige zurief:

„Wenn Ew. Majestät denn Blut verlangen, so nehmen Sie meins! Jenes bekommen Sie nicht, so lange ich noch sprechen kann.“

Während der König noch schwankte, das Urtheil über seinen Sohn zu sprechen, hatte das Kriegsgericht in Köpenick abermals Sitzung gehalten (1. November), um gegen den Lieutenant von Katte als Mitschuldigen des Kronprinzen an seinem Fluchtversuche zu erkennen. Das Urtheil, auf Cassation und mehrjährigen Festungsarrest lautend, lag in der folgenden Nacht zu Wusterhausen dem Könige zur Bestätigung vor, mit demselben zugleich die Verwendungen aus der Familie des Unglücklichen, auch ein rührendes Begnadigungsgesuch von Katte selber: „Ein verdorrender Baum werde noch eine Weile geschont,“ sagt er darin, „er aber treibe schon neue Knospen der Treue und Anhänglichkeit.“ Aber es schien, als ob des Königs harter Sinn nur durch ein blutiges Sühnopfer erweicht werden könne. Er schleuderte die Feder, die er schon angesetzt, um das ihm zu milde dünkende Urtheil des Kriegsgerichts zu bestätigen, wieder von sich und dictirte die berühmte Cabinetsordre aus Wusterhausen den 1. November 1730, welche schließt:

„Seine Königliche Majestät seynd in der Jugend auch die Schule durchgelauffen und haben lateinische Sprüchwort gelernt: fiat justitia, pereat mundus. Also wollen Sie hiemit von Recht und Rechtswegen, daß der Katte, ob er schon nach denen Rechten verdienet gehabt, wegen des begangenen crimen laesae majestatis mit glühenden Zangen gerissen und aufgehenket zu werden, in Consideration seiner Familie, mit dem Schwerdte vom Leben zum Tode gebracht werden solle. Wenn das Kriegsrecht dem Katte die Sentenz publiciert, soll ihm gesagt werden, daß es Sr. K. M. leydt thäte, es aber besser, daß er stürbe, als daß die Justice aus der Welt käme.

Friedrich Wilhelm.“

Nach dem Tode Friedrich Wilhelm’s trat Wusterhausen für lange Zeit in die Dunkelheit zurück. Der nächste Besitzer, Prinz Heinrich, zog das heitere Rheinsberg als Aufenthalt dem düsteren Wusterhäuser Schlosse vor. Nach seinem Tode (1803) wurde das Schloß ausgeräumt und geleert. Die Herrschaft erbte Prinz Ferdinand, der jüngste Bruder Friedrich’s des Zweiten. Von diesem ging sie (1813) auf seinen Sohn, den Prinzen August, über, der die Herrschaft bis zu seinem Tode (1843) besessen hat. Die Domäne Königs-Wusterhausen, welche nur einen geringen Theil der Herrschaft bildet, wurde im Jahre 1810, als Napoleon der Erste zur Abtragung der rückständigen Contribution drängte, verkauft. Sie war längere Zeit hindurch im Besitze der Familie Menke, welcher die Mutter des Fürsten Bismarck (bekanntlich die Tochter des Cabinetsraths Anastasius Ludwig Menke, der unter König Friedrich Wilhelm dem Dritten eine einflußreiche Stellung bekleidete) verwandt war. Auch der Vater des Fürsten, Rittmeister a. D. Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck, hatte in der Nähe einen Grundbesitz, die sogenannte „neue Ziegelei“, auf welcher der gegenwärtige deutsche Reichskanzler in seiner Kindheit öfters gewesen und – wie Fama sagt – auf Eseln geritten sein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_541.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)