Seite:Die Gartenlaube (1883) 253.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 16.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Wenn ich Ihnen eine Frau verschaffte!“ Dieses Anerbieten Lily’s klang sehr treuherzig, aber der Justizrath, der den „Großvater“ sehr übel genommen hatte, befand sich noch immer in höchst gereizter Stimmung.

„Nein, ich danke!“ versetzte er. „Ich werde das selbst thun – wenn ich mich überhaupt noch dazu entschließen sollte.“

„Nur nicht wieder an einem Freitage!“ bat Lily. „Wir haben heute wieder den Unglückstag, der sicherlich ganz allein an Ihrem Mißgeschick schuld ist. Fräulein Hofer hat es Ihnen ja prophezeit.“

„Fräulein Hofer und ihre Prophezeiungen sind mir sehr gleichgültig!“ rief Freising ärgerlich; das junge Mädchen sah ihn ganz erschrocken an.

„O wie schade! Gerade Emma Hofer wollte ich Ihnen zur Justizräthin vorschlagen.“

Das war dem rechtsgelehrten Herrn zu viel, er sprang auf.

„Wollen Sie mich verspotten? Ich dächte, Sie wüßten doch, wie ich mit dieser Dame stehe. Sie verabscheut in mir den trockenen Actenmenschen, und ich verabscheue in ihr den personificirten Aberglauben. Wir machen ja Beide kein Hehl daraus.“

Er ergriff wüthend seinen Hut und machte Miene, auch den Paletot an sich zu reißen, um mit beiden das Haus zu verlassen, wo man seine Gefühle so schonungslos verspottete, aber Lily blieb auf dem Sopha sitzen und sagte kaltblütig:

„Sie sind im Irrthum, Onkel Justizrath – Sie werden geliebt!“

„Wo – was?“ rief Freising, während er im höchsten Grade überrascht stehen blieb.

„Emma Hofer liebt Sie,“ wiederholte das junge Mädchen; „sie zeigt es Ihnen nur nicht.“

Der Justizrath kehrte um; er legte den Hut auf den Tisch, nahm wieder auf dem Sopha Platz und fragte angelegentlich:

„Woher wissen Sie das?“

Jetzt geriet Lily doch in einige Verlegenheit. Sie wußte im Grunde gar nichts, sondern hatte ihre Behauptung rein aus der Luft gegriffen. Sie hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, dem Justizrath das „kleine, kurze, nette Ja“ zu verschaffen, das er so sehr ersehnte, und da zwei von den Damen Rosenbergs ihm bereits die übliche Hochachtung gezollt hatten, so blieb nur die dritte übrig, die dann auch ohne Weiteres zum Opfer ausersehen wurde. Da Lily die kühne Behauptung aber nun einmal aufgestellt hatte, so mußte sie nothgedrungen daran festhalten und erfand in der Eile so viel Gründe und Beweise dafür, daß sie schließlich selbst daran zu glauben begann.

Freising hörte mit einer Aufmerksamkeit zu, die nichts zu wünschen übrig ließ. Man sah, wie wohl es ihm that, bei einem weiblichen Wesen endlich einmal eine andere Empfindung als Hochachtung zu erwecken, und der Gedanke, daß man eine heimliche Liebe zu ihm im Herzen trage, die sich unter äußerer Feindseligkeit verberge, war ihm unendlich schmeichelhaft. Als Lily geendigt hatte, seufzte er tief auf und sagte:

„Wir wollen das einstweilen ruhen lassen. Ich kann so unmittelbar nach einer bitteren Enttäuschung nicht daran denken, aber ich danke Ihnen für Ihre Theilnahme, Lily, und – sagen Sie Fräulein Hofer nicht, weshalb ich heute nach Rosenberg gekommen bin.“

„Sie erfährt keine Silbe davon!“ versicherte Lily, indem sie freundschaftlich den Hut herbeiholte und ihrem abgewiesenen Freier auch beim Anlegen seines Paletots behülflich war. Er ließ sich das ruhig gefallen, denn er war bereits gewöhnt, daß man sich mit aller möglichen Freundschaft und Dankbarkeit um ihn bemühte, nachdem er den üblichen Korb erhalten hatte. Er warf noch einen wehmüthigen Blick auf das junge Mädchen und verabschiedete sich dann.

Draußen im Hausflur traf er mit Fräulein Hofer zusammen, die gerade die Treppe herunterkam und eine ungewöhnlich tiefe und respectvolle Verbeugung empfing. Sie bedauerte, daß Frau von Hertenstein nicht zu Hause sei, und lud den Justizrath ein, noch zu verweilen, da die gnädige Frau bald zurückkehren werde, er entschuldigte sich jedoch mit dem Mangel an Zeit und verhieß, in der nächsten Woche wiederzukommen. Das Fräulein bemerkte mit Befremden, daß er in der Hausthür noch einmal stehen blieb, einen langen und ganz eigenthümlichen Blick zurückwarf und dann mit einer zweiten tiefen Verbeugung verschwand.

Nach einer halben Stunde kehrte Anna zurück. Sie hatte in ihrem Wohnzimmer bereits Hut und Mantel abgelegt und musterte die soeben eingetroffenen Postsendungen, die auf dem Tische lagen. Aber der Blick der jungen Frau glitt nur flüchtig über die Briefschaften hin, die ihren Namen trugen, dagegen schien ein anderer Brief sie sehr zu interessiren, dessen Aufschrift an ihre Schwester lautete. Sie blickte mit unruhigem besorgtem Ausdruck darauf nieder, als die Thür sich öffnete und Lily mit ihrem gewöhnlichen Ungestüm und ihrem Veilchenstrauß in der Hand hereinstürzte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_253.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2023)