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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 21.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Also Anna war am vergangenen Dienstag in der Försterei? Wie kam sie dazu? Sie ist ja noch niemals dort gewesen?“

Es war Gregor Vilmut, der seine kleine Cousine Lily in dieser Weise examinirte. Er war soeben erst von Werdenfels herüber gekommen und hatte nur das junge Mädchen im Balconzimmer gefunden. Lily war bekanntlich sehr kriegerisch gegen den Vetter Gregor gestimmt, sobald er abwesend war, in seiner Gegenwart aber hielt weder diese Tapferkeit noch ihr gewohnter Uebermuth Stand. Auch jetzt zeigte sie sich sehr ernst und verständig und war nur erstaunt, daß ihre ganz harmlose und zufällige Aeußerung über jenen Ausflug ihrer Schwester den gestrengen Verwandten so erregte. Er war aufgefahren, als sie den Tag nannte, und seine Fragen klangen so scharf und heftig, als ob es sich um ein begangenes Unrecht handelte.

„Anna hatte den Eltern Fräulein Hofer’s längst einen Besuch versprochen,“ entgegnete Lily. „Es war stets davon die Rede, daß sie einmal nach der Försterei kommen werde.“

„Und dieser Besuch wurde auf einmal so dringend, daß sie ihn mitten im Winter abstatten mußte. Warum nahm sie Dich nicht mit? Du pflegst sie ja sonst stets zu begleiten.“

„Sie fuhr mit Emma Hofer, und in unserem Schlitten haben nur zwei Personen Raum. Anna kehrte ja auch schon am folgenden Tage wieder zurück.“

Vilmut erhob sich und trat an das Fenster, indem er dem jungen Mädchen den Rücken zuwendete.

„Er war an dem Tage in Felseneck!“ murmelte er. „Sie haben sich wieder gesehen, wieder gesprochen – ich weiß es!“

Lily wagte noch eine schüchterne Bemerkung, die aber nicht einmal einer Antwort gewürdigt wurde. Sie fand es sehr anmaßend, daß Gregor sogar die Besuche ihrer Schwester controlirte und darüber Rechenschaft verlangte, schwieg aber wohlweislich, denn sie sah, daß er äußerst ungnädig war. Sie athmete förmlich erleichtert auf, als Anna eintrat.

Die junge Frau begrüßte mit einer gewissen kühlen Zurückhaltung ihren Verwandten, der sich bei ihrem Eintritt umwandte und ihr entgegen ging. Es schien eine Entfremdung zwischen ihnen eingetreten zu sein seit jener letzten Unterredung im Pfarrhause, auch Vilmut’s Gruß hatte nichts mehr von der alten Vertraulichkeit.

„Ich komme, um zu hören, wie es mit dem Verkauf von Rosenberg steht,“ begann er. „Freising, den ich gestern sprach, sagte mir, daß er Dir einen Käufer vorgeschlagen habe. Du wirst jedenfalls den Vorschlag annehmen?“

„Nein,“ erwiderte Anna ruhig. „Ich habe dem Justizrath soeben geschrieben, daß ich den Antrag ablehne.“

„Ablehne? Und weshalb?“

„Weil das Gebot nicht den geforderten Preis erreicht. Du weißt, welchem Zwecke jene Summe dienen soll und weshalb ich darauf bestehen muß.“

„Allerdings, trotzdem solltest Du die Sache nicht von der Hand weisen. – Laß uns allein, Lily, ich habe mit Deiner Schwester zu reden!“

Lily würde unter anderen Umständen sehr beleidigt darüber gewesen sein, daß man sie ohne Weiteres wie ein Kind fortschickte. Da es aber galt, dem Vetter Gregor zu entlaufen, so nahm sie die Verabschiedung mit höchst vergnügter Miene hin und verschwand eiligst aus dem Zimmer.

Anna hatte sich inzwischen niedergesetzt. Sie war bleicher als sonst, und ihre großen braunen Augen hatten den strahlenden Glanz verloren; sie blickten matt und verschleiert, als hätten sie in der letzten Zeit viel Thränen vergossen, aber auch Vilmut schien verändert. Er zeigte nicht mehr die gewohnte eiserne Ruhe, die nichts mehr zu zerstören und zu erschüttern vermochte, es lag etwas Unruhiges, Unstetes in seinem Wesen, und es war auch nicht mehr der alte eisige Blick, der auf den Zügen der jungen Frau haftete, als wolle er die geheimsten Gedanken darin lesen. Es zuckte bisweilen auch in diesem Blicke, flackernd und unheimlich, wie eine Flamme, die vom Luftzuge hin und her getrieben wird.

„Ich würde Dir rathen, den Vorschlag anzunehmen,“ nahm Vilmut das Gespräch wieder auf. „Wer weiß, ob sich sobald ein zweiter Käufer für Rosenberg findet. Jene letzte Schuld Deines Gatten muß allerdings im vollen Umfange gedeckt werden, aber die gebotene Summe deckt sie zum größten Theil, und das Fehlende würde ich im Nothfalle aus eigenen Mitteln ergänzen.“

„Du, Gregor?“ fragte Anna mit unverhehltem Erstaunen. „Deine Mittel sind ja überhaupt beschränkt, wie die meinigen, und in diesem Winter vollends sind sie von allen Seiten in Anspruch genommen worden. Du hast ebenso wie ich alles nur Entbehrliche hingegeben.“

„Gleichviel! Meine Bürgschaft genügt für jede Summe, und ich stelle sie Dir zur Verfügung. Schließe den Kauf ab!“

Die letzten Worte klangen nicht wie ein Rath, sondern wie ein Befehl, dessen Befolgung man erwartet. Anna schlug langsam das Auge auf und fragte statt aller Antwort:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_333.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2024)