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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Reinsfeld gesandt wird, aber sie sah vorhin, als sie aus dem Zimmer ihres Vaters kam, so bleich und angegriffen aus, daß ich erschrak.“

Sie schien eine Antwort zu erwarten, aber Elmhorst schwieg und blickte angelegentlich nach der Brücke hinüber.

„Sie sollten sich doch heute frei machen und nach Ihrer Braut sehen,“ mahnte Erna in vorwurfsvollem Tone.

„Ich habe nicht mehr das Recht, Alice meine Braut zu nennen!“ sagte Wolfgang kalt.

„Herr Elmhorst!“ Es lag eine schreckensvolle Ueberraschung in dem Ausrufe.

„Ja, mein Fräulein! Es haben sich zwischen dem Präsidenten und mir Meinungsverschiedenheiten ergeben, die so schroff und tiefgehend waren, daß ein Ausgleich unmöglich wurde. Wir sind darauf beiderseitig von der geplanten Verbindung zurückgetreten.“

„Und Alice?“

„Sie weiß noch nichts davon, wenigstens nicht durch mich. Es ist möglich, daß der Vater ihr die Sache mitgetheilt hat, und jedenfalls wird sie sich seiner Entscheidung fügen.“

Die Worte kennzeichneten mehr als alles andere diese seltsame Verbindung, die eigentlich nur zwischen Nordheim und seinem Schwiegersohne bestanden hatte. Alice war verlobt worden, als das Interesse der beiden es erforderte, und jetzt, wo dieses Interesse aufhörte, wurde die Verlobung aufgehoben, ohne die Braut auch nur zu fragen; man erachtete es als selbstverständlich, daß sie sich fügte. Auch Erna schien keinen Zweifel daran zu hegen; aber sie war bleich geworden bei der unerwarteten Nachricht.

„Also ist es doch dahin gekommen!“ sagte sie leise.

„Ja, es kam dahin! Ich sollte einen Preis zahlen, der mir zu hoch war, bei dem ich die Augen nicht mehr frei hätte aufschlagen können Es galt ein Entweder – oder – und ich habe meine Wahl getroffen.“

„Das wußte ich!“ rief das junge Mädchen aufflammend. „Daran habe ich nie gezweifelt!“

„Also das wenigstens haben Sie mir zugetraut!“ sagte Wolfgang mit unverhehlter Bitterkeit. „Ich glaubte es kaum.“

Sie antwortete nicht, aber ihr Blick begegnete dem seinigen wie mit einem Vorwurfe; endlich fragte sie zögernd:

„Und – was nun?“

„Nun stehe ich wieder da, wo ich vor einem Jahre stand. Der Weg, den Sie mir einst so begeistert priesen, liegt offen vor mir, und ich werde ihn so auch gehen, aber allein – ganz allein!“

Erna bebte leise zusammen bei den letzten Worten; aber sie wollte sie augenscheinlich nicht verstehen und fiel rasch ein:

„Ein Mann wie Sie ist nicht allein. Er hat sein Talent, seine Zukunft, und diese Zukunft liegt so weit und groß vor Ihnen –“

„Und so öde und sonnenlos wie die Bergwelt dort!“ ergänzte er, indem er aus die herbstliche, wolkenumschleierte Landschaft deutete. „Doch ich habe kein Recht, mich zu beklagen. Es trat mir so auch einst entgegen, das sonnige, leuchtende Glück, und ich wandte ihm den Rücken, um einem anderen Ziele nachzujagen. Da breitete es seine Flügel aus und zog fort, weit fort in unerreichbare Ferne, und wenn ich auch jetzt mein Leben hingeben wollte, es kommt doch nicht zu mir zurück. Wer es einmal verscherzt hat, dem entflieht es auf immer!“

Es sprach ein dumpfer, qualvoller Schmerz aus diesem Schuldbekenntnis; aber Erna hatte kein Wort der Erwiderung darauf und auch keinen Blick für die Augen, welche die ihrigen suchten. Bleich und starr schaute sie in die nebelumhüllte Ferne hinaus. Ja freilich, jetzt wußte er, wo sein Glück und sein Heil lag – jetzt, wo es zu spät war!

Wolfgang trat an die Seite des Pferdes und legte die Hand auf den Hals desselben.

„Erna, noch eine Frage, ehe wir für immer scheiden! Ich werde nach der letzten Unterredung, die ich morgen noch mit Ihrem Onkel haben muß, selbstverständlich sein Haus nicht mehr betreten und Sie ziehen weit fort, mit Ihrem Gatten – hoffen Sie glücklich zu werden an seiner Seite?“

„Wenigstens hoffe ich, ihn glücklich zu machen.“

„Ihn! Und Sie selber?“

„Herr Elmhorst –“

„O, Sie brauchen die Frage nicht so streng abzuwehren“ unterbrach er sie. „Es birgt sich kein eigensüchtiger Wunsch mehr dahinter. Ich habe mein Urtheil so schon aus Ihrem Munde empfangen, in jener Mondnacht am Wolkenstein. Sie wären mir doch verloren, auch wenn Sie noch frei wären, denn Sie vergeben es mir nie, daß ich um eine andere warb.“

„Nein – niemals!“ Das Wort klang in herbster Entschiedenheit.

„Ich weiß es, und eben deshalb möchte ich Ihnen noch eine letzte Warnung zurufen. Ernst Waltenberg ist kein Mann, der eine Frau, der Sie beglücken kann; seine Liebe wurzelt nur in dem Egoismus, der der Grundzug seiner ganzen Natur ist. Er wird nie danach fragen, ob er ein geliebtes Wesen quält und martert mit seiner Leidenschaft, und wie werden Sie es ertragen, an der Seite eines Mannes zu leben, dem all das Streben und Ringen, all die Ideen, für welche Sie sich begeistern, nur todte Begriffe sind? Ich habe endlich gelernt einzusehen, daß es noch etwas anderes, besseres giebt als dies ‚Ich‘, das auch mir einst das Höchste war, wenn ich die Lehre auch theuer bezahlen mußte – er wird es nie lernen!“

Ernas Lippen zuckten, das alles wußte sie ja längst und wußte es besser als jeder andere; aber was half das, es war auch für sie zu spät.

„Sie sprechen von meinem Verlobten, Herr Elmhorst,“ sagte sie mit ernster Zurechtweisung, „und Sie sprechen zu seiner Braut – ich bitte, kein solches Wort mehr!“

Wolfgang verneigte sich und trat zurück.

„Sie haben recht, gnädiges Fräulein, aber es war ein Abschiedswort, und das dürfen Sie immerhin verzeihen.“

Sie neigte stumm das Haupt und machte Anstalt, umzukehren, als Waltenberg am Rande des Waldes erschien, gleichfalls zu Pferde, und in raschem Trabe näher kam. Er und der Chefingenieur begrüßten sich mit jener kalten Höflichkeit, die zwischen ihnen zur Gewohnheit geworden war, seit sie beinahe täglich miteinander verkehren mußten. Sie wechselten einige Worte über das Wetter, über die Ankunft des Präsidenten, und jetzt bemerkte auch Ernst, daß der Weg gesperrt war.

„Die Leute lassen sich unverantwortlich lange Zeit,“ sagte Wolfgang, der froh war, daß er eine Gelegenheit fand, das Gespräch abzubrechen. „Ich werde dafür sorgen, daß sie sich beeilen, in wenigen Minuten können Sie passiren.“

Er eilte den Abhang hinunter und nach der betreffenden Stelle, aber bei den Sprengversuchen schien irgend etwas nicht in Ordnung zu sein, und der Ingenieur, der die Sache leitete, trat heran, um dem Chef Bericht zu erstatten. Dieser zuckte ungeduldig die Achseln, gab einige Befehle und trat dann mitten unter die Arbeiter, wahrscheinlich, um die Vorbereitungen zu besichtigen.

Inzwischen hielt Waltenberg auf dem Abhange neben seiner Braut, die jetzt fragte:

„Du hast also mit Gronau gesprochen?“

„Ja, und ich habe ihm mein Befremden nicht verhehlt, ihn hier zu finden, ohne daß er mich in Heilborn aufgesucht hat, ohne daß ich überhaupt von seiner Rückkehr weiß. Statt aller Antwort erbat er sich eine Unterredung für heute abend, er habe mir Wichtiges mitzutheilen, das in gewisser Hinsicht auch mich angehe. Ich bin doch neugierig, was er mir zu sagen hat, denn bloße Geheimnißkrämerei ist seine Sache nicht. – Sieh nur, Erna, wie dunkel und drohend es sich über dem Wolkenstein zusammenzieht! Wir werden doch nicht ein Wetter bekommen auf unserem Spazierritt?“

„Für heute wohl kaum,“ meinte Erna mit einem flüchtigen Blick nach dem dichtumschleierten Berge. „Vielleicht morgen oder übermorgen. Die Sturmperiode, die unsere armen Aelpler so fürchten, scheint diesmal früher im Anzuge zu sein als sonst, wir hatten heute nacht bereits eine Probe davon.“

„Es muß doch etwas sein an der Zaubermacht Eurer Alpenfee,“ sagte Ernst halb scherzend. „Dieser Wolkengipfel, der seinen Namen mit Recht führt, denn er entschleiert sich ja fast niemals, hat es mir förmlich angethan. Es winkt und lockt mich immer wieder von neuem mit geheimnißvollem, unwiderstehlichem Reiz, den Schleier dieser stolzen Eiseskönigin zu heben und den Kuß zu erzwingen, den sie bisher noch jedem versagt hat. Wenn man versuchte, die Hochwand von dieser Seite –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_754.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)