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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Sie hatte ihn noch nie wieder beim Vornamen genannt und noch nie wieder „Du“!

„Lore!“ sagte er athemlos. –

Da stand sie auf und trat an das Fenster, und er folgte ihr. „Ich war Dir treu,“ wiederholte sie noch leiser, „tausendmal habe ich Gott gebeten, er möge mir Gelegenheit geben, es Dir zu sagen.“

Er ergriff ihre beiden Hände und zog sie an sich, und bei dem hellen Mondenlicht sah er ihr in die Augen mit banger Frage, und sie fühlte, wie seine Hände zitterten, aber ihre Augen blickten groß zu ihm empor, so rein und klar wie die eines Kindes.

„Auch ich war Dir treu, Lore!“ flüsterte er.

Da wand sie sich los. „Nein“ sagte sie, „sprich davon nicht, denn Käthe ist todt und – ich habe ja auch kein Recht, Dir um ihretwillen einen Vorwurf zu machen, denn Du wußtest mich verloren für Dich –“

„Vielleicht glaubst Du Käthe mehr wie mir, Lore,“ und er nahm einen Brief aus seiner Brieftasche, den er ihr hinreichte. „Lies, lies, ich bitte, und dann richte milde und laß es unser Geheimniß bleiben.“ – –

Der Mondenschein war so hell, daß sie ohne Mühe die bekannten Schriftzüge entziffern konnte; sie trat näher an das Fenster und las. Endlich sank die Hand herunter, die die Briefblätter hielt, und leise weinend legte sie ihren Kopf an die Scheibe.

Er stand hinter ihr, wartend, bis sie sich umwenden würde, damit er sie an seine Brust ziehen könne, um sie nie wieder zu lassen. Aber als sie in ihrer Stellung verharrte, mahnte er leise: „Lore!“

Und nun wandte sich ihr verweintes Gesicht zu ihm. „Nein, nein, nicht jetzt, Ernst!“ Und sie hielt den Brief in fest verschlungenen Händen, die sich leuchtend weiß von dem tiefen Schwarz ihres Kleides abhoben.

Ja, sie trug noch schwarze Kleider!

Er trat zurück. „Leb wohl, Lore, auf Wiedersehen! Komm bald!“

„Auf Wiedersehen!“ flüsterte sie.

„Bald! Und bleibe bei mir!“

Sie neigte stumm bejahend den Kopf und winkte zugleich, er möge gehen.

Und er ging gehorsam. Er wußte, es war eine letzte Trennung, ein letztes Entbehren.




Es war einmal wieder Herbst; es war neblig und regnete, ein echter deutscher Novembertag. Die Frau Pastorin hatte Kaffeebesuch in ihrer gemüthlichen alten Wohnstube; die Majorin und Tante Melitta von Tollen saßen da in der Dämmerung und schwatzten. Zuerst Familienneuigkeiten natürlich. Die Excellenz wurde erwartet; der alte Herr wollte seine Lore als junge Frau Doktorin in ihrer Häuslichkeit sehen.

Helene hatte auch geschrieben, glückselig sei sie in ihrer kleinen Wirthschaft, und Rudolf hatte sich auf Wunsch seiner jungen Frau zur Kavallerie versetzen lassen.

Die Frau Pastorin sah recht ungeduldig nach der Uhr. „Das läuft nun da herum in dem Nebel und vergißt hören und sehen,“ sagte sie ungeduldig, und sie ging ans Fenster, um in den sinkenden Abend zu spähen. Da kamen sie eben den Gartensteig entlang, Arm in Arm, unter einem riesigen altmodischen Regenschirm.

Die alte Frau trippelte an die Thür.

„Nun kommt aber erst einmal herein, ehe Ihr nach oben geht,“ rief sie, „und das muß ich mir sehr verbitten, daß Ihr immer meinen Regenschirm nehmt; ich habe dem Jungen doch einen ganz neuen seidenen geschenkt zur Aussteuer.“ Und dabei leuchteten ihre Augen.

Lore küßte die Stirn der Schwiegermutter.

„Laß uns nur,“ sagte sie einfach, „unter dem alten Dach haben wir uns ja verlobt.“

„Wo wart Ihr denn?“ fragte Frau von Tollen.

„Auf dem Kirchhof, Mama, wir waren zusammen noch nicht an den Gräbern.“

Die Majorin nickte still.

Sie waren lange spazieren gewesen – der erste gemeinsame Spaziergang als junge Eheleute. Vor acht Tagen waren sie in Berlin in der Matthäikirche von einem Freunde des Onkels getraut worden.

„Er hat sich nun ’mal auf eine Tollen kapriziert,“ sagte Tante Melitta zu sich, als sie von Lores Verlobung erfuhr. Die alte Dame war ganz hinfällig und nervös geworden; sie litt unter den unaufgeklärten Verhältnissen. Wie es kam, daß Lores erste Ehe getrennt wurde, wie es zuging, daß ein Mensch, der sich für Käthe duellirt hatte, nun nach so kurzer Frist die Lore heirathete, das war ihr und vielen andernu verschleiert geblieben.

Lore hatte am Abend zuvor, als sie von Berlin zurückkamen, ihrem Mann die Geschichte ihres kurzen Verheirathetseins erzählt. Sie saßen dicht nebeneinander in einem Coupé zweiter Klasse, und er hielt ihre Hand, und wenn sie stockte vor Zorn und Weh, küßte er sie und bat: „Laß, laß, das ist vorbei!“

Und heute gleich waren sie an Käthes Grabe gewesen und hatten ihr einen Kranz hingetragen, ein stilles Zeichen herzlichen Vergebens. –

Sie mußten erst Kaffee mit trinken bei den alten Damen, und Lore saß neben der Mutter und strich ihr über den weißen Scheitel und die eingefallenen Wangen. „Du mußt sehr oft zu uns kommen, Mamachen.“

„Ja, Kind, denn es ist mein einziger Trost, daß Du noch glücklich geworden bist –.“

Später sind sie droben allein in der gemüthlichen Wohnung.

Dicht neben Ernsts Arbeitszimmer liegt Lores Stübchen. An der Decke schaukelt eine Hängelampe und wirft ihre Strahlen über den darunter stehenden Sofatisch. Neben der Handarbeit liegt ein Buch. Ein dunkelfarbiger Teppich breitet sich über die Dielen, behaglich knistert das Feuer im olivgrünen Kachelofen, und fest zugezogen sind die Vorhänge von einfachem rothen Wollenstoff.

Sie sitzen am Tisch, und der junge Mann ergreift das Buch – es ist ein Werk über Rom – und schickt sich zum Vorlesen an.

„Weißt Du noch,“ fragt sie rasch, „wie wir in Gemmas Salotto miteinander zu Mittag aßen?“

„Ach,“ sagt er und sieht so ernsthaft und gerührt dabei aus, „was sind Rom und alle seine großen und kleinen Salons gegen unser Westenberg und unser kleines Heim!“

Sie lachte fröhlich auf. Es ist das erste Mal, daß sie wieder lacht, und er sieht sie ganz entzückt an; sie ist in dem Lächeln wieder seine alte reizende Lore!

Und der Regen klopft an die Scheiben, und der Wind fährt heulend um das Haus und durch die Aeste der Bäume und nimmt ihnen die letzten Blätter.

Was thut es? Hier innen ist’s traut und behaglich, denn die Liebe wohnt hier, und mit ihr das Glück.




Milchanstalten für Kinder.

Es gab eine Zeit, und diese liegt noch nicht weit hinter uns, da dachte man, daß Kuhställe aufs Land hinausgehörem und daß es ein müßiges Unternehmen sei, Kühe in der Stadt zu halten. Gerade in den letzten Jahrzehnten wurden die Verkehrsmittel so hoch entwickelt, es ist so leicht geworden, Nahrungsmittel auf weiteste Entfernungen in frischem Zustande zu liefern, daß man in den Großstädten ruhig die Ankunft der Bahnzüge abwarten konnte, welche die nöthigen Erzeugnisse der Landwirthschaft tagtäglich hereinbrachten.

Inzwischen hatte die medizinische Wissenschaft ihre Fortschritte gemacht. Sie wandte ihr Augenmerk auch auf die Kuhmilch, die für die Ernährung der jüngsten Weltbürger so unendlich wichtig ist. Sie fand, daß die Kuhmilch oft für die Gesundheit derselben unzuträglich sei, und suchte anfangs, auf die Chemie gestützt, die Kuhmilch als Ersatz der Muttermilch entbehrlich zu machen. Aus den chemischen Retorten sollten Mischungen hervorgehen, welche jede Milch ersetzen könnten, die rein von allen schädlichen Beimengungen wären und uns ein Mittel an die Hand gäben, unseren Nachwuchs künstlich zu ernähren.

Das Stadium jener Versuche ist überwunden. Wir wissen jetzt, daß der beste Ersatz für die Muttermilch doch die reine gute Kuhmilch ist; wir wissen, daß die Gefahren, welche die Darreichung derselben mit sich zu bringen pflegt, durch ein gewissenhaftes sorgfältiges Verfahren umgangen werden können, und heute ist die Milch wieder zu Ehren gekommen.

Was heißt aber gute reine Kuhmilch? Ihre Gewinnung ist nicht so leicht, wie man denken möchte. Es müssen viele Bedingungen erfüllt werden, bevor man sie erzielt.

Zuvörderst ist es nöthig, daß die Kühe selbst gesund sind, dann kommt es darauf an, daß sie angemessen gehalten und ernährt werden, endlich muß auch die Gewinnung und Behandlung der Milch durchaus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_322.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)