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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Die deutschen Meistersinger.

Von Rudolf Rost.

Unter die Gedenktage, an denen das gegenwärtige Jahr so reich ist, gehört auch der 21. Oktober, an welchem vor 50 Jahren, also 1839 die Meistersingerschule zu Ulm a. D., nachdem sie bis auf vier Mitglieder zusammengeschmolzen war, ihre Sitzungen schloß und ihre noch vorhandenen Kleinodien dem dortigen Gesangverein „Liederkranz“ mit folgender Urkunde übergab:

„Wir unterzeichneten, einzig noch übrigen Mitglieder der von altersher in Ulm bestehenden Meistersingergesellschaft haben in der Voraussicht, daß mit uns die letzten Weisen des alten Meistergesanges verklingen werden, und in der Absicht, soweit es von uns abhängt, die Wahrzeichen einer ehrwürdigen, in den Tagen der Väter weithin und tief einwirkenden Anstalt den kommenden Geschlechtern zu erhalten, rücksichtlich des von den Vorfahren überkommenen Eigenthums folgenden Beschluß gefaßt: Es soll dieses Eigenthum, bestehend in der Schultafel mit den Originalgemälden unserer Fahne, sammt dieser Fahne und den dazu gehörigen alten Kleinodien, desgleichen der Lade, den Tabulaturen, Schul- und Liederbüchern und einigen anderen Gegenständen dem Liederkranze zu Ulm, als dem natürlichen Nachfolger und Stellvertreter des alten Meistersingerthums in der neuen Zeit, hiermit zu einem freien Geschenke gegeben sein, mit der Bitte, dasselbe wohl zu bewahren und die Fahne bei Festzügen und anderen Gelegenheiten, getragen von Einem von uns, so lange noch Einer von uns am Leben, neben der seinigen als die seinige zu führen – und mit dem Wunsche, daß, gleichwie der Meistersinger Tafel Jahrhunderte herab die frommen Väter zum Hören ihrer Weisen lud, so Jahrhunderte hinab das Banner des Liederkranzes wehen und seine Lieder späten Enkeln tönen mögen.

Ulm, den 21. Oktober 1839.

Das Gewerk der letzten deutschen, der Ulmschen Meistersinger.“ (Unterschrift des Büchsenmeisters, des Schlüsselmeisters, des Merkmeisters, des Kronmeisters.)

Mit vollem Recht bestimmten diese Männer einen Gesangverein zum „natürlichen Nachfolger des alten Meistersingerthums“, da von jeher in den Meistersingerschulen der Schwerpunkt in der Musik lag, denn nur der führte ja den Namen „Meister“, welcher einen neuen „Ton“, das heißt eine neue Melodie, erfunden hatte. Deshalb also sollten die deutschen Gesangvereine jenen Tag hoch halten!

Als einst der heitere Gesang in den Schlössern des Adels verstummte und die Luftgebilde abenteuerlicher Sagen bei dem verwilderten Adel keinen Glauben mehr fanden, da waren es die Städte, welche der bildenden und dichterischen Kunst freundliche Heimath und gedeihliche Pflege bereiteten. In den Raubburgen konnte die Muse nicht mehr weilen; sie flüchtete aus dem Waffengeklirre der rohen Söhne des Krieges in die sichern Ringmauern der friedlichen Städtebewohner. Die ehrsamen, kunstgeübten Bürger und Handwerker, besonders in den hochbegünstigten Reichsstädten Süddeutschlands, fanden großes Vergnügen daran, an Winterabenden, wenn die Arbeit ruhte, die Lieder und poetischen Erzählungen der Minnesänger zu wiederholen, zu lesen; bald fielen wohl auch die begabtesten unter ihnen darauf, diese Minnelieder nachzuahmen und neben dem Schustern, Zinngießen oder Weben auch fleißig Verse zu machen. Kaum hatten mehrere dieser Dichter einander gefunden, so konnte es nicht fehlen, daß sie gewohnheitsmäßig nach dem damaligen Zunftgeiste an eine ordentliche Gilde, wie die Handwerker, zusammentraten. Die alten ritterlichen Minnesänger waren ihre Muster. Jedoch dienten ihnen diese Dichter weniger dem Inhalt als der Form nach zu Vorbildern; von der wahren Poesie hatten diese ehrlichen Handwerker ohnehin keine Ahnung. Der Name „Meister“, anfangs wohl nur im allgemeinen Sinne oder von dem Verhältniß des Schülers zum Lehrer aus einzelnen Dichtern beigelegt, ward mit der Zeit ein charakteristisches Kennzeichen der kunstreichen, in Schulen vereinigten Dichter im Gegensatze zu den Volkssängern. Nur hüte man sich vor der Annahme, als ob dieser Titel nur Dichtern bürgerlichen Standes zukomme oder nur von Handwerkern aufgebracht worden sei. Wenn das letztere der Fall wäre, so würde sicher ein anderes Wort gewählt worden sein, da doch ein jeder ihrer Mitbürger ein Meister, wenn schon nicht im Gesang, war, woraus sich wohl erklärt, daß sie selten das Wort Meister allein gebrauchen, sondern das Wort „Singer“ hinzuzusetzen pflegen.

So entstanden in den Städten die deutschen Meistersinger, Dichter, welche vielleicht schon vom Ende des 13., am rührigsten und vollständigsten ausgebildet aber im 15. Jahrhundert in sogenannten Singeschulen eine Art von handwerksmäßiger Poesie trieben, sich des Versemachens und Singens wegen regelmäßig versammelten, nach festgestellter zünftiger Einrichtung darin zu vervollkommnen suchten und nach strengen Gesetzen Lieder, meist sittlich-religiösen oder auch allegorischen Inhaltes, verfertigten. Nach einer alten, von den Meistersingern hochgehaltenen Sage, die aber offenkundige Verstöße gegen die Zeitrechnung enthält, sollen 12 Meister, darunter die berühmtesten Dichter aus dem 13. Jahrhundert und z. B. auch diejenigen, welche am Sängerkrieg auf der Wartburg betheiligt gewesen sein sollen, zur Zeit Kaiser Ottos I. im Jahre 962 den Meistergesang erfunden haben, alle zu gleicher Zeit, ohne daß einer von den andern gewußt hätte. Der liederreiche Meister Adam Puschmanm giebt in seinem „Gründlichen Bericht des deutschen Meistergesanges 1571“ ihre Namen folgendermaßen an: Herr Walther, ein Landherr von der Vogelweide, der Ritter Wolfgang Röhn, der edle Ludwig Marner, Heinrich Frauenlob, Heinrich Mügelin, Klingsohr, der starke Poppo und noch fünf ehrbare Bürger: Barthel Regenbogen, ein Schmied, Sigmar der Weise, sonst der Römer von Zwickau genannt, Kanzler, ein Fischer, Konrad Geiger oder Jäger aus Würzburg, ein Musikant, und der alte Stoll, ein Seiler. Da sie aber des Papstes und des Klerus übles Leben in ihren Gedichten gegeißelt haben, seien sie bei dem Papste Leo VIII. der Ketzerei beschuldigt worden; der Kaiser habe sie später nach Pavia berufen, wo sie in Gegenwart des Kaisers, des päpstlichen Legaten, vieler Edeln und Gelehrten herrliche Proben ihrer Kunst abgelegt und sich vom Vorwurf der Ketzerei gereinigt haben, worauf sie vom Kaiser als Verein bestätigt und mit verschiedenen Freiheiten begnadet worden seien.

Freunde des Gesanges vereinigten sich schon früh zur gemeinschaftlichen Ausführung desselben. So soll Frauenlob in Mainz einen Verein von Dichtern und Freunden der Dichtkunst gestiftet haben, dem er festere Formen gab, wenn auch nicht in der Weise, wie wir sie bei den späteren Meistersingern finden. Doch mag jener Verein den ersten Anstoß zu den Meistersingerschulen der Folgezeit gegeben haben, eine Annahme, die darin ihre Bestätigung zu finden scheint, daß die Meistersinger jenen Frauenlob als ihren ersten Meister anerkennen und daß jene alte Sage hinzufügt, Kaiser Otto habe die den Meistersingern bei der Versammlung in Pavia ertheilten Freiheiten auf einem Reichstag zu Mainz bestätigt, vermehrt und die Zunft mit einer goldenen Krone beschenkt, die in der Mainzer Sängerschule aufbewahrt wurde. Die älteste Urkunde, welche die Meistersinger betrifft, ist vom Jahre 1377; es ist ein Freibrief Kaiser Karls IV., worin er den Meisterschulen Wappenrecht bewilligt und bestätigt. Dieses Wappen ist ein geviertes Schild, in dessen erstem und viertem (goldenen) Felde der schwarze Reichsadler, im zweiten und dritten (rothen) Felde der silberne, mit Gold gekrönte böhmische Löwe ist. Ueber dem ganzen steht ein blaues Schildlein mit einer goldenen königlichen Krone. Auf dem Schilde ist ein offener gekrönter Helm, aus welchem ein böhmischer Löwe hervorgeht, und hinter ihm sieht man einen doppelten, übereinander gelegten schwarzen Flügel mit goldenem Herzen.

Seit dieser Zeit entstehen Meistersingerschulen in den meisten großen Städten Deutschlands. Außer in Mainz, wo die schriftlichen Urkunden der Gerechtsame dieser Sanges- und Dichterzunft, ihr kaiserlicher Wappenbrief und allerlei darauf bezügliche Reliquien aufbewahrt wurden, entstanden die berühmtesten Sängerschulen des 14. Jahrhunderts in Straßburg, Frankfurt, Würzburg, Prag und Zwickau, ferner in Kolmar, wo die Schuster im vorzüglichen Besitz der Dichterehre waren; im 15. Jahrhundert zu Nürnberg und Augsburg, wo die bedeutsamen dichterischen Erinnerungen sich am

treuesten bewahrten; im 16. Jahrhundert zu Ulm, wo namentlich die Weber, wie schon gesagt, bis in dieses Jahrhundert hinein das klang- und sangreiche Zunftspiel fortgesetzt haben, zu Regensbrg, München, in der Steiermark und in Mähren, zu Breslau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_730.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)