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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 48.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Sakuntala.

Novelle von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)


Die Aufführung der „Sakuntala“ rückte näher und immer näher heran, und an einem jener sonnig linden Tage, die sich als verheißungsvolle Vorboten des nahenden Lenzes eingestellt zu haben schienen, konnte Gerhard – müde und doch in glücklichster Stimmung aus der Probe zurückkehrend – seiner strahlenden Braut die fröhliche Mittheilung machen, daß alles über Erwarten glücklich gehe und daß sämmtliche Mitwirkende sich ihrer Aufgaben mit einem wahren Feuereifer angenommen hätten. Man lachte und scherzte und Astrid machte schließlich den Vorschlag, bei dem prächtigen Sonnenschein ein wenig in dem großen Garten, den sie wegen eines darin befindlichen Hügels als Kinder immer den „Wallgarten“ genannt hatten, spazieren zu gehen. Da sah es nun freilich noch recht winterlich kahl und öde aus. Wie in sehnsüchtigem Verlangen streckten Bäume und Sträucher dem Licht und Leben spendenden Tagesgestirn ihre entlaubten Zweige entgegen, und außer einigen kleinen Tannengruppen war ringsum noch nichts Grünes zu sehen. Aber das focht die beiden Liebenden in ihrer glücklichen Stimmung sehr wenig an. Sie gingen Arm in Arm umher und machten sich gegenseitig auf jedes Fleckchen aufmerksam, das einem von ihnen um irgend eines kleinen Ereignisses willen in der Erinnerung geblieben war, und als sie dann oben auf der Höhe des sogenannten Walles standen, kam es über die beiden glückseligen Menschenkinder, denen die ganze Welt in Glanz und Sonnenschein getaucht erschien, wie der ausgelassene Uebermuth jener alten Tage. Astrid lief davon und rief ihm lachend zu, er solle sie haschen. Zwischen Gebüsch und Sträuchern, über die blumenlosen Beete hinweg ging es in lustigem Jagen, und wenn Gerhard sein behendes Bräutchen dann glücklich erwischt hatte, so war es nur natürlich, daß ihm ihre rothen Lippen den Lohn für seine Geschicklichkeit zahlen mußten.

Bei diesem vergnüglichen Treiben, dessen Anblick sicherlich manchen Bewunderer des großen Künstlers in nicht geringes Erstaunen versetzt haben würde, hatten sie nicht bemerkt, daß die Rechnungsräthin schon seit einer geraumen Weile in der geöffneten Thür des Gartens stand. Die würdige Dame schien ihrerseits wieder an den glühenden Wangen und an den leuchtenden Augen


In schwerem Dienst.
Zeichnung von C. Schulze.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_805.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)