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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Die Gräfin stellte den recht verlegen dreinschauenden Schlossermeister wirklich nach kurzer Frist Ihrer Durchlaucht vor. Der Titel des danksprühenden Vaters schien der liebenswürdigen jungen Dame ausreichend. Auch wußte sie, daß Unterredungen mit naturwüchsigen Bürgern und Bauern von Ihrer Durchlaucht oft als eine wahre Wohlthat empfunden wurden.

Fürstin Marie war gegen Fritz Warnack außerordentlich huldvoll. Sie drückte ihm ihre Freude darüber aus, daß es ihr durch einen glücklichen Zufall gelungen sei, einem braven Familienvater den einzigen Sohn zu erhalten, und meinte, das eigene Verdienst dabei sei nicht der Rede wert. Manchmal warf sie ihm einen seltsam prüfenden Blick zu. Dann plötzlich wandte sie sich zur Gräfin Thun.

„Lenore, bemerken Sie nichts? Ich finde das geradezu phänomenal! Ja? Sie verstehen mich?“

„Gewiß, Durchlaucht!“

„Zu merkwürdig! Das muß der Fürst unbedingt sehen! Sonst glaubt er es nicht. Ach, bitte, schicken Sie rasch mal hinüber! Er hat ja heut’ keine Vorträge. Wahrscheinlich sitzt er im Atelier und malt … Herr Warnack, bleiben Sie noch! Nur zwei Minuten!“

Der Fürst kam.

„Liebster Arno,“ begann die Fürstin mit reizender Schalkhaftigkeit, „Du weißt, wir haben erst neulich über das Thema Adel und Volk debattiert. Ich muß Dir da doch einmal einen echt deutschen Handwerker als Doppelgänger von Dir vorstellen! Seit Du Dir letzthin den Vollbart hast abnehmen lassen, siehst Du dem wackeren Mann hier so ähnlich, als wäret ihr Zwillinge!“

Der Fürst stand einen Augenblick starr. Er hatte dem unaufhörlichen Drängen des Ceremonienmeisters, der ihn mit „psychologischen Einwirkungen auf die empfängliche Volksseele“ und anderen gutklingenden Redensarten verfolgte, endlich nachgegeben und sich vorgestern alles bis auf den Schnurrbart wegrasiert; genau so wie der Schlossermeister. Und jetzt war die Aehnlichkeit wieder so vollständig hergestellt, daß Brüggstorm bei dem Anblick dieser sträflichen Identität vor Schrecken die Sprache verloren hätte.

„Was …?“ fragte der Fürst zögernd. „Wer ist dieser Mann …?“

„Der Schlossermeister Fritz Warnack – der Vater des Kindes, dem ich gestern am Schloßteich zu Hilfe kam.“

„Ja, Durchlaucht,“ stammelte Warnack mit einem tiefen Bückling. „Ich hatte mir unterthänigst die Erlaubnis erwirkt, Ihrer Durchlaucht zu danken …“

Der Fürst trat näher. „Sie also sind der Mann, von dem mir Brüggstorm all die Zeit über so viel gepredigt hat? Ja, ums Himmels willen, was soll denn das heißen? Ihr Bart ist ja nun doch den Weg alles Fleisches gegangen!“

Fritz Warnack erzählte. In schlichter Treuherzigkeit machte er dem erlauchten Herrn gegenüber kein Hehl daraus, wie er das Ansinnen des Ceremonienmeisters, der ihm nicht gerade liebreich zugesetzt, als eine schwere Kränkung empfunden und ihm deshalb ganz energisch die Zähne gezeigt habe, während er jetzt mit Rücksicht auf Ihre Durchlaucht, die huldreiche Retterin seines Sohnes, ohne Kampf zu dem Entschlusse gelangt sei … Und nun wolle der Zufall … Wirklich, ein abscheulicher Zufall! Seine Durchlaucht solle doch ja nicht glauben, daß irgend wie …

Er stockte. Da trat Fürst Arno, bei dem die Komik der Situation sehr bald die Oberhand über den Aerger gewann und der es im Grunde schon längst bereut hatte, den Einflüsterungen des wohlmeinenden aber engherzigen Höflings gefolgt zu sein, lächelnd zu dem Schlossermeister heran, klopfte ihm auf die Schulter und sprach dann mit großer Leutseligkeit:

„Herr Warnack! Ich glaube, Sie haben Kopf und Herz auf dem rechten Fleck. Ich will Ihnen etwas sagen! Lassen wir unsere Bärte von heute ab wieder getrost wachsen! Ich für mein Teil gräme mich nicht darüber, einem achtbaren Mann aus dem Volk ähnlich zu sehen, und finde auch keinen Schaden fürs Land dabei. Verwechseln wird man uns beide ja doch nicht!“

„Das denk’ ich auch, Durchlaucht.“

„Und zur Erinnerung an diese sonderbare Begegnung mach’ ich Sie hiermit zum Hofschlosser.“

„Danke von Herzen, Durchlaucht! Will mir auch alle erdenkliche Mühe geben!“

Ein gnädiger Wink: der neue Hofschlosser war entlassen. Gräfin Thun, die an dem kernhaften Wesen des Mannes großen Gefallen fand, gab ihm ein Stück Wegs das Geleit.

Und als nun die Fürstin Marie mit ihrem Gatten allein war, da fiel sie ihm strahlend vor Freude und Genugthuung um den Hals und gab ihm einen recht unceremoniösen herzhaften Kuß.


Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Leben, Trachten und Sitten der chinesischen Frauen.

Von Ernst v. Hesse-Wartegg.
II.

Würden unsere Damen die Lage ihrer Schwestern bei den anderen Völkerrassen aus eigener Anschauung kennenlernen, so würden sie uns wahrscheinlich größeren Dank wissen für die gewiß beneidenswerte Stellung, welche wir ihnen, wir wollen es zugeben, auch mit vollem Rechte eingeräumt haben. Die Chinesen vergleichen beispielsweise die Stellung der Frau zum Manne wie jene der Erde zum Himmel, wobei der letztere selbstverständlich durch das starke Geschlecht dargestellt wird. Die Geschlechter sind in dem uralten Reiche der Mitte keineswegs gleichberechtigt wie bei uns. Der Chinese huldigt der Frauenschönheit und Frauentugend nicht wie wir, er besingt und umschwärmt sie nicht, Frauenwünsche und Frauenlaunen sind ihm nicht Befehle, die Ritterlichkeit und Höflichkeit, mit welcher unseren Damen, wie sie meinen, noch viel zu wenig begegnet wird, ist den Chinesen vollständig unbekannt. Der Mann herrscht dort, die Frau dient; dem Manne allein gehört das öffentliche Leben, die Frau bleibt im Hause; der Mann genießt vollständige Freiheit, die Frau ist dem Willen des Mannes unterworfen. Sie tritt überhaupt nicht an die Oeffentlichkeit und wird im großen und ganzen als ein geringeres Wesen angesehen. Die Geburt eines Sohnes ist ein Freudenfest im Hause und in der ganzen Familie des Chinesen; die Geburt einer Tochter wird kaum berücksichtigt. Fragt man einen Chinesen, ob er Kinder besitze, so wird er das nur auf die Söhne beziehen und die Töchter gar nicht mit nennen, ja es wird von vielen Reisenden sogar behauptet, daß Tausende von neugeborenen Mädchen jährlich ermordet werden.

Thatsache ist es, daß in vielen Familien das Leben der Mädchen und Frauen nach unseren Begriffen einem langsamen Hinsterben gleicht, denn sie sind an das Haus gefesselt, keine Frau darf es ohne Bewilligung ihres Gatten verlassen, und thut sie es, so kann der Mann sie einem anderen Manne verkaufen. Man hat mir von vielen Frauen erzählt, welche das Haus jahrelang nicht verlassen haben! Freilich darf man sich unter den Häusern der Reicheren nicht etwa solche wie die unsrigen vorstellen. In China wohnen ganze Familien, oder vielmehr Familiengruppen, mit zahlreichen Männern, Frauen, Kindern und Sklavinnen in einem ausgedehnten Häuserkomplex mit Gärten und Lotosteichen, Lusthäuschen, Hallen und Tempelchen, alles von einer hohen Mauer umschlossen, aber über diese Mauer hinaus gelangen die Frauen nur selten. Sie haben ihre eigenen Häuser und Gemächer, und schon als Kinder von sechs bis sieben Jahren werden sie von ihren Brüdern und Vettern, mit einem Worte, von den Männern so viel als möglich abgesondert. Selbst in den Häusern der ärmeren Klassen dürfen Knaben und Mädchen nicht auf denselben Matten sitzen oder gemeinschaftlich ihre Mahlzeiten einnehmen.

Erreicht das Mädchen ein Alter von dreizehn bis fünfzehn Jahren, so wird sie von den Eltern verlobt, ja sehr häufig findet diese Verlobung schon statt, wenn die Kinder kaum das fünfte oder sechste Jahr erreicht haben. Von einer selbständigen Wahl ihrer Gatten ist natürlich niemals die Rede. Nur in seltenen Fällen hat das Mädchen der besseren Stände Gelegenheit, andere Männer wenigstens flüchtig zu sehen, aber selbst wenn zwei junge Leutchen auf solche Art Zuneigung zueinander fassen sollten, müssen die Eltern ihre Zustimmung geben. Ein chinesisches Sprichwort sagt darüber: „Will man ein Weib freien, so muß man sich an die Eltern wenden“. Die Eltern sind die unumschränkten Gebieter über ihre Kinder; diese werden niemals zu Rate gezogen, und nur von seiten der Männer darf eine Heiratsaufforderung ergehen, niemals von den Mädchen. Papa und Mama des zukünftigen Ehemanns, selbst wenn er erst

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0578.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2022)