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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

so reich zurück, als ich es war, da ich von Dir Abschied nahm. Ich kann daher auch das Budget Deiner Barmherzigkeitskasse um das Doppelte erhöhen. Folge nun ganz[WS 1] Deinem edeln Herzen und thue wohl denen die Deiner Wohltaten bedürftig und ihrer würdig sind. Erfülle ganz Deinen Lieblingsspruch: Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist.

O mein Freund, erwiederte Felicitas, indem sie ihre kleine weiße Hand dankbar in die des Gatten legte, wie glücklich machst Du mich. Wie soll ich Dir danken. Ja, fuhr sie nach einer Pause fort, und schaute mit seligem Lächeln in den sinkenden Abendstern, der Himmel meint es gut mit uns. Jetzt fehlt nichts mehr zu unserm Glücke, nichts. Gleichwohl trat eine Thräne in ihr schönes Auge und sie lehnte ihr weiches Lockenhaupt an die Brust des Gatten.

Mein gutes Kind, sprach in milden Trostesworten Georg, indem er sanft und liebevoll das seidene Haar seiner Gattin abwärts strich, bedenke, wie freundlich der Herr gegen uns ist. Er gab uns Gesundheit, Liebe und Frieden, Wohlhabenheit; er würdigte uns, Werkzeuge seiner Barmherzigkeit zu sein und unsern armen Brüdern und Schwestern von seinen Gaben freundlich mitzutheilen – warum sollte Er uns das Eine versagt haben, wenn er dabei nicht seine weisen Absichten hätte? Also, mein geliebtes Kind, hadern wir nicht mit einer weisen Vorsehung, sondern unterwerfen wir uns seinem Rathschlusse in kindlicher Demuth.

Ich hadre ja nicht mit Gott, sprach Felicitas, aber ich hoffe gewiß, daß er mir diese Thränen vergeben wird.

Die beiden Gatten verweilten noch geraume Zeit auf dem lieben Plätzchen und erfreuten sich des erquickenden Frühlingsabends. Die Linden dufteten. Die Wundertöne der Nachtigall ließen sich von Zeit zu Zeit vernehmen. Hinter den Waldbergen keimte das Silber des Mondes, der bald über das Frühlingsthal seinen feenhaften Silberschein breitete.


So weit die Rosen leuchteten in dem schönen Thale und die Lerchen sangen, gab es kein glücklicheres Paar als Georg und Felicitas. Ihrer Verbindung hatte keine Geldspeculation oder sonstige berechnete Rücksicht zu Grunde gelegen. Es war die Vereinigung zweier edeln Seelen, die sich verstanden, zweier Herzen, die sich liebten. Sie erkannten gegenseitig ihren Werth; darum die hohe Achtung gegen einander, die zarte Rücksichtsnahme in Betreff kleiner Schwächen, welche letztere nur zu oft geeignet sind, den Frieden der besten Ehe zeitweilig zu trüben.

Beide Gatten erfreuten sich der blühendsten Gesundheit, und was die irdischen Glücksgüter anlangte, so waren sie hiermit wenigstens in so weit gesegnet, daß sie sich dem schönen Zuge ihres Herzens, Andern wohlzuthun, in reichem Maaße hingeben konnten.

Das Sprichwort, wer Liebe säet, wird Liebe ernten, erfüllte sich daher auch bei ihnen. Ein gutes Volk ist wohl dankbar, wenn man es gut mit ihm meint. Felicitas galt für die gute und schöne Fee des ganzen Thales. Wenn daher das erste Veilchen oder Schneeglöckchen erblühte; wenn sich die erste Erdbeere röthete; wenn sich die erste Centifolie aufschloß, der hielt es für eine theure Pflicht, sie zu brechen und im saubern mit grünen Blättern austapezirten Körbchen nach dem freundlichen Landhause mit den grünen Jalousien und blanken Fenstern zu tragen.

Felicitas wußte dann für die Ueberbringer solcher Liebesgaben, für Jeden ein freundlich Wort. Sie erkundigte sich theilnehmend nach Eltern und Kindern, die sie fast alle persönlich kannte. Sie versprach, recht bald selbst zu kommen und sich für die schönen Blumen oder Früchte, deren Schönheit und Güte sie nicht genug loben konnte, zu bedanken. So kam es, daß Niemand ohne Herzensfreude das freundliche Landhaus verlies.

Ja, Felicitas führte ihren schönen Namen „Fee des Thals“ nicht vergebens. Sie war nicht blos wohlthätig in Folge ihres weichen Herzens; sie war auch wohlthätig mit Klugheit und Weisheit. Wohlzuthun ist eine große Kunst und diese Kunst verstand die edle Frau im schönsten Sinne des Worts. Wenn ihr menschliches Elend oft in abschreckender Gestalt vor Augen trat, so warf sie nicht, um nur des unangenehmen Anblicks ledig zu werden, eine Gabe hin; nein, sie blickte dem Unglück tiefer in das Auge und forschte, ob Heilung möglich, und war sie es nicht, suchte sie nach Kräften zu lindern. Sie ließ nicht blos durch ihre Dienerschaft Nahrung und Kleidung – Geld gab sie nur in seltenen Fällen – in arme Familien tragen, sie ging selbst in die ärmste Hütte und überzeugte sich durch den Augenschein, wie am zweckmäßigsten zu helfen sei. Sie frug auch nicht, ob dieser oder jener, der durch eigen Verschulden in’s Unglück gekommen, ob er ihrer Wohlthat auch würdig sei: die Noth war da, die Noth schrie zum Himmel, und Felicitas half.

Was aber dem Wohlthun der edeln Frau die Sternenkrone aufsetzte – sie gab nie mit „Gnade“ sondern mit Liebe; sie gab nie mit vornehmer Herablassung, sondern mit schwesterlicher Theilnahme; denn sie war verklärt von der Lehre unsers Heilands Jesu Christi.

Ein solches Wohlthun konnte denn auch nur von reichem Segen begleitet sein. Felicitas erwarb sich Vertrauen. Sie ward nicht wie eine Herrin, sondern wie eine Mutter verehrt und geliebt, und als solche erwarb sie sich größern Einfluß, als wenn sie selbst Herrin des Thals gewesen wäre.

Sie verlangte aber für ihre Liebe und ihr Wohlthun auch Gegenbeweise von Liebe und Erkenntlichkeit. Wohnungen, die früher voll Schmutz und Unreinlichkeit, so daß sie eher dem Aufenthaltsorte von Thieren glichen als dem von Menschen, sie wurden nach und nach reinlicher, netter, wohnlicher. Kein Kind, und war es noch so arm, durfte in nachlässiger oder zerrissener Kleidung oder unsauber vor Felicitas erscheinen. In den Hütten, die sie besuchte, mußte Gottesfurcht und Gottvertrauen wohnen. Rohe Lästerreden, Flüche und Verwünschungen, wie man sie bei den ungebildeten Thalbewohnern früher so oft vernommen, sie verstummten allmählich. Der Gedanke an Felicitas, daß sie es nicht gern höre, wirkte oft wie ein Wunder selbst auf das verhärteste Gemüth. Und alle diese Opfer der Gewohnheit, Trägheit und Rohheit, man brachte sie gern und freudig, ohne alle Anstrengung, denn man brachte sie aus – Liebe. Ja, wer Liebe säet, wird Liebe ernten.

Also bereitete sich Felicitas ihren Himmel auf Erden.

Und doch sollte auch dieser Himmel getrübt sein. Ein Ton war es, der fort und fort tönte und mit leisem Weh selbst oft in den glücklichsten Stunden weinend durch ihr

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gang
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_003.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)