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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)


Gewiß nicht, fuhr Felicitas lebhafter und wärmer fort; bedenkt, Ihr habt noch so viel Kinder, für die Ihr zu sorgen habt. Die Kleine bedarf noch so der Pflege und macht Euch doppelte Mühe. Seid versichert, sie soll bei mir weit besser aufgehoben sein und soll es weit besser haben, als es bei Euerm herumziehenden Leben möglich ist.

Die Korbflechterin schaute noch immer auf, als ob sie die Worte der fremden Dame für Scherz hielt und lächelte ohne ein Wort zu erwiedern.

Auch würde, fuhr Felicitas in sanftem, aber einem Tone fort, der die Wahrheit ihrer Rede nicht länger verkennen lies, mein guter Mann, der ebenfalls ein großer Kinderfreund ist, Euch so viel Geld geben, daß Ihr einen kleinen Glashandel anfangen und das armselige umherschweifende Leben aufgeben könntet.

Bei dem Worte Glashandel zuckte ein Freudenstrahl über das Gesicht der armen Frau. Der Gedanke an dieses Glück war zu groß, als daß sie ihn ganz zu erfassen vermocht hätte.

Felicitas, welche den Gemüthszustand der Korbflechterin sofort erkannte, fuhr in wohlwollendem und ermunterndem Tone fort: Es ist mein voller Ernst, gute Frau. Ich glaube wohl, daß Euch mein Antrag überraschend kommt; auch sollt Ihr Euch nicht sogleich entscheiden. Ueberlegt Euch die Sache, reiflich und wohl. Geht mit Euerm Verstande und auch mit Euerm Herzen zu Rathe.

Dort, sprach sie nach einer Pause, seht Ihr das schöne Landhaus, da wohne ich; da kommt hin heut Mittag mit all Euern Kindern, Ihr sollt ein gutes Mittagbrot erhalten. Ich gehe jetzt dahin, um es Euch bereiten zu helfen. Da sprechen wir weiter über meinen Vorschlag.

Mit diesen Worten reichte sie freundlich der armen Mutter, die noch nicht zu sich selbst zu kommen vermochte, und den übrigen Kindern, die sich jetzt vertrauensvoll ihr näherten, die Hand, blickte noch einige Augenblicke lächelnd auf das Kind ihres Traumes und kehrte, die Brust von wunderbarsten Gefühlen bewegt, längst eines grünen Kornfeldes nach Lindenruh zurück.


Binnen wenig Stunden nach der Frühstückscene am Waldesrande ward unter Anwesenheit einiger Gerichtspersonen vom benachbarten Landgericht in aller Form Rechtens einer der seltensten Verträge abgeschlossen. Georg war mit Freuden dem Wunsche seiner Gattin, die kleine Marie an Kindesstatt anzunehmen, entgegen gekommen. Mutter Martha - von der für sie außerordentlichen Summe von Funfzig blanken Reichsthalern geblendet - entsagte allen Rechten und Ansprüchen auf ihr Kind. Zugleich erhielt sie Reisegeld, damit sie ohne Sorgen ihre Heimath erreichen konnte. Kinder und Mutter wurden in der Eile nach Kräften ausstaffirt, freundlich gepflegt, gespeist und getränkt, so daß die arme Familie behaupten konnte, in ihrem Leben keinen glücklichern Tag verlebt zu haben.

Georg selbst hatte sich auf´s Pferd geworfen und war in der Gegend nach einer Amme umhergeritten. Alle weiblichen Hände in Lindenruh wurden in Bewegung gesetzt, Klnderwäsche anzufertigen und ein weiches warmes Bettchen zu bereiten, Felicitas selbst in wahrhaftem Gottvergnügtsein that alles Mögliche, ihrem kleinen Lieblinge den neuen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.

Am andern Morgen trat die kleine Caravane, nachdem sie noch ein wackeres Frühstück eingenommen und das Wäglein mit Mundvorrath aller Art reichlich versehen war, ihre Reise nach der Heimath an.

Mutter Martha, obschon sie ihr Lebelang nicht auf so weichem und angenehmem Lager geruht, hatte gleichwohl eine ziemlich unruhige Nacht gehabt. Der plötzliche Glückswechsel auf der einen und die Hingabe ihres Kindes auf der andern Seite, erfüllten ihre Brust mit den sich widersprechendsten Gefühlen. Der Abschied von ihrer kleinen Marie war eine ergreifende Scene zärtlicher Mutterliebe. Thränen entströmten ihren Augen und sie vermochte sich gar nicht von ihrem Kinde zu trennen. Erst nach langem liebevollen Zureden von Seiten Georg's und seiner Gattin, gelang es, die gebeugte Mutter zu beruhigen und aufzurichten. Nachdem sie nochmals ihr Kind an's Herz gedrückt und mit Küssen bedeckt hatte, nahm sie Abschied, für die großen Wohlthaten dankend; und bald sah man die arme Familie mit ihrem Wäglein durch die grünen Kornfelder gen Süden ziehen.

Aber je weiter das gastliche Dach zurückwich und je ferner seine grünen Jalousien daher schauten, desto schwerer ward das Herz der armen Mutter. Aller fünf Minuten blieb sie stehen und schaute zurück nach dem Hause, wo ihr kleiner Liebling weilte. Die ältern Kinder, denen der Verlust des kleinen Schwesterchens weniger zu Herzen ging, waren bemüht, die weinende Mutter zu trösten.

Wie gut hat es Mariechen, sprach Christine, die älteste, weit besser als wir. Denke nur das weiße, weiche Bettchen, in welchem sie schlief, und die schöne blaue Stube, worin sie wohnte, und wie alle Leute sie so lieb hatten.

Bei solchen Worten trocknete sich zwar Mutter Martha die Augen, aber es währte nicht lange, da blieb sie wieder stehen, schaute zurück und von Neuem füllten sie sich mit Wasser.


Während aber die arme Mutter mit ihren Kindern trauernd dahin zog, gab es in Lindenruh reges und freudiges Leben. Der kleine Ankömmling hielt das ganze Haus in Bewegung. Am glücklichsten war Felicitas. Wie oft nahm sie die Kleine aus den Armen der Amme und schwebte mit ihr tänzelnd und liebkosend auf und ab. Auch Georg nahm den herzlichsten Antheil und pries den glücklichen Zufall, welcher so unverhofft den kleinen Engel in´s Haus geführt hatte.

Am andern Morgen saßen die beiden Gatten in dem mit schönen Landschafttapeten geschmückten, freundlichen Frühstücksalon, von wo man die herrliche Aussicht längst des Thales und nach den grünen Waldbergen hatte. Die kleine Marie schlummerte noch süß in ihrem Bettlein. Bereits hatte Felicitas wiederholt der kleinen Schläferin einen Besuch abgestattet und sich mit stillem, ächt weiblichem Entzücken an den unschuldvollen Zügen des träumenden Kindesantlitzes geweidet. Sie theilte jetzt Georg ihren weisen Erziehungsplan mit: wie sie dies Kind körperlich, sittlich und geistig herauszubilden gedachte. Sie träumte sich Marien schon als heraufblühendes Mädchen, wie sie dasselbe in allem Guten und Schönen mütterlich unterrichten wollte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_011.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)