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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

den übrigen südslavischen Stämmen, ja bei ihren nächsten Nachbarn, den Bosniern und Albanesen, theils in Folge der türkischen Unterjochung, theils in Folge des Verkehrs mit den Griechen und Italienern Eingang fanden.

Der Montenegriner ist noch bis zur Stunde der einfachste Naturmensch, der als Hirt oder Jäger auf seinen wildromantischen Bergen umherschweift, und entweder nur zu räuberischen Streifzügen oder um sich mit seinen geringen Bedürfnissen zu versehen in die Ebenen der benachbarten Länder herabsteigt. Mit hoher, kräftiger und schöner Körperbildung vereinigen sich bei dem Montenegriner edle und stolze Gesichtszüge, die jedoch von jener Wildheit nicht frei sind, die als das Charakteristische bei allen Naturvölkern erscheint. Sein von Jugend auf an Strapazen aller Art gewöhnter Körper erträgt jede Anstrengung mit Leichtigkeit; er tritt überall mit Kühnheit und Sicherheit auf und zeigt in allen seinen Bewegungen eine kaum zu übertreffende Gewandtheit. Dieser äußeren körperlichen Ausstattung entspricht vollkommen der Charakter des Montenegriners. Wild und leidenschaftlich, schlau und hinterlistig, so wie in hohem Grade rachsüchtig ist er stets bereit, sich selbst Recht und Hülfe zu verschaffen, zeichnet sich dabei aber auch durch bewunderungswürdige Tapferkeit und eine glühende Liebe zur Freiheit aus. Diesen männlichen Tugenden stehen, was sonst bei rohen Natursöhnen nicht immer der Fall ist, eine große Mäßigkeit, Genügsamkeit und Sittenreinheit zur Seite.

In einem einfachen patriarchalischen Verhältnisse lebend, sind die Familien im engeren und der Stamm im weiteren Sinne diejenigen Bande, die den Montenegriner unauflöslich fesseln; jede Verletzung seiner Familie, so wie jede Antastung der Ehre seines Stammes fordern ihn zur Rache heraus, und weit häufiger als auf der Insel Korsika, fallen in Montenegro der Blutrache oft zahlreiche Opfer. Familie kämpft gegen Familie, Stamm gegen Stamm, bis das erlittene Unrecht gesühnt ist.

Leicht erkennt man aus dieser kurzen Charakterdarstellung des Montenegriners, daß derselbe alle Eigenschaften in sich vereinigt, die ihn zu einem tapfern, jeder Gefahr trotzenden Krieger machen, ja dieser kriegerische Muth treibt ihn zu den kühnsten und verwegensten Thaten hin, wenn seinem Heiligsten, seinem Vaterlande oder seinem Glauben Gefahr droht. Stolz auf seine Freiheit und Unabhängigkeit und als treuer Sohn der griechisch-katholischen Kirche ist der Montenegriner ein unversöhnlicher Feind der Türken, die sich seit Jahrhunderten vergebens bemüht haben, das tapfere Bergvolk unter ihr Joch zu beugen. Die Republik Venedig wußte die Tapferkeit der Bewohner der schwarzen Berge wohl zu schätzen, und in ihren blutigen Kriegen mit den Türken im 16., 17. und 18. Jahrhundert hatte sie an den Montenegrinern die treuesten Verbündeten, die auch später als Venedig seine Besitzungen auf der östlichen Seite des adriatischen Meeres aufgeben mußte, den Kampf fortsetzten und sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit errangen, die jedoch von der Pforte[WS 1] niemals anerkannt wurde.

Bis gegen das Ende des 14. Jahrhunderts gehörte Montenegro zu Serbien, riß sich dann davon los und war bis zu Anfang des 16. Jahrhunderts ein für sich bestehendes Fürstenthum unter eigenen Fürsten, von denen der letzte im J. 1516 abdankte. Von da ab bildete sich eine Verfassung aus, die ohne wesentliche Abänderungen bis auf die neueste Zeit bestanden hat und als eine priesterlich-republikanische bezeichnet werden kann. Dieser Verfassung gemäß leiteten ein Wladika (Anführer) und ein Erzbischof die Angelegenheiten, und ihnen zur Seite stand ein Senat, den das Volk aus den Aeltesten der Familien wählte. Dieses weltliche und geistliche Regiment wurde im Laufe der Zeit in einer Hand vereinigt, so daß der Wladika zugleich auch die erzbischöfliche Würde übernahm. In dieser doppelten Stellung als weltliches und geistliches Oberhaupt verwaltete er alle öffentlichen Angelegenheiten und die Gerechtigkeitspflege. In neuester Zeit ging diese vereinigte Würde auf die Familie Petrowitsch über, welcher auch der vorletzte Wladika Petro Petrowitsch II. angehörte, der am 31. October 1851 zu Cettinje, dem Hauptplatze Montenegro's und der Residenz des jeweiligen Oberhauptes, verstarb. Petro Petrowitsch II. gebührt der Ruhm, daß er unablässig bemüht war, sein Volk zu civilisiren, und wie gering auch immer die Anfänge in dieser Beziehung genannt werden mögen, so ist es ihm doch gelungen, durch strenge Handhabung der Gerechtigkeit einen sicherern Rechtszustand zu begründen und hierdurch der grausamen Blutrache Einhalt zu thun. Von besonderer Wichtigkeit ist das Verhältniß, in das Montenegro schon gegen das Ende des 18. Jahrhunderts zu Rußland trat. Das Verhältniß, das wohl zunächst durch das religiöse Interesse begründet ward und hierin seinen stärksten Anhaltpunkt hat, wurde unter Petro Petrowitsch II. ein immer innigeres, und es ist eine seit Jahren bekannte Thatsache, daß Rußland die Montenegriner unter seinen Schutz genommen und den Wladika mit Geld und allen den Mitteln unterstützt, die dem armen und spärlich angebauten Berglande fehlen. Trotz dieses Schutzverhältnisses, in welchem Montenegro zu dem mächtigen Rußland steht, dauerten auch unter Petrowitsch II. die Händel mit den Türken fort, ja diese führten im Jahre 1844 einen förmlichen Krieg gegen die Montenegriner und entrissen ihnen mehrere kleine Inseln im See von Scutari. Schon vorher war der Wladika auch in Streitigkeiten mit Oesterreich gerathen, die jedoch, wiewohl sie durch die raublustigen Montenegriner herbeigeführt waren, unter Vermittelung Rußlands in gütlichem Wege ausgeglichen wurden.

Von dieser Zeit ab, bis zum Tode Petrowitsch's II. am 31. October 1851 trugen sich keine Ereignisse zu, welche die Aufmerksamkeit der übrigen Welt auf Montenegro gelenkt hätten. Erst nach dem Ableben des letzten Wladika sind die Montenegriner wieder Gegenstand eines allgemeinen Interesses geworden; sie sind von Neuem in einen ernsten Kampf mit den Türken verwickelt und scheinen, begünstigt durch die außerordentlichen Sympathien, welche die übrigen südslavischen Stämme so wie überhaupt die christliche Bevölkerung in den türkischen Provinzen, namentlich in Bosnien, theils im Geheimen, theils offen für sie an den Tag legen, auf größere und nachhaltigere Erfolge rechnen zu können. Es handelt sich aber auch in dem neuerlichst ausgebrochenen Kampfe nicht etwa um die Besitznahme eines einzelnen streitigen Grenzortes, sondern vielmehr um die thatsächliche Unabhängigkeit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. zwischen 1718 und 1922 Synonym für den Sitz der osmanischen Regierung (Quelle: Wikipedia)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_025.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)