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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

seiner Patienten, keine Medikamente mehr brauchen zu wollen, förmlich gezwungen, consequent und ausschließlich seiner Naturheilweise die Heilung seiner Patienten anzuvertrauen. Auf diese beschränkt, sah er sich natürlich genöthigt, sie für alle möglichen vorkommenden Fälle zu combiniren, zu modificiren; und auf diese Weise hat er einen Heilapparat zusammengestellt, mit dem er Wunder verrichtete, an’s Unglaubliche grenzende Heilungen zu Wege gebracht, hat er einen Heilapparat aufgestellt, der kaum noch der Erweiterung und Vervollkommnung fähig wäre, wenn wir für jetzt etwa uns noch unbekannte oder wenigstens noch nicht genügend bekannte Naturkräfte (Electricität, Magnetismus?) ausschließen.

Prießnitz hat sich so einen Platz in der Geschichte errungen, der ihm nicht streitig gemacht werden kann. Daß er auf dem Gipfel seiner heilkünstlerischen Höhe, seines Rufs und Glücks angelangt, sich nicht zu behaupten wußte, sondern, geschmeichelt von den ihm gemachten Huldigungen, geblendet von den Reichthümern, mit denen ihn seine geheilten und nicht geheilten reichen Patienten freiwillig überhäuften, – ausartete, sich einem fast unbegrenzten Stolz und Eigennutz ergab, wer will ihn ungehört verdammen? Wer von uns wollte von sich behaupten, daß er sich niemals eher, fester auf solcher Höhe zu behaupten gewußt hätte? De mortuis nil nisi bene – den Todten soll man nur das Gute nachreden, – und so möge denn auch Prießnitz ruhen. Wir, vor Allem wir schon jetzt durch seine Heilart Gesundeten und dann die ganze Menschheit wird ihm ewig, ewig Dank wissen müssen für die endliche allseitigpractische Handhabung der Naturgesetze für die allein allgültige Lebens- und Heilweise.

Prießnitz erfand den Heilapparat der Wasserheilkunde; es galt, um seine Entdeckung vollkommen und für alle Zeiten erhaltbar zu machen, jetzt nur noch, seine Praxis theoretisch, wissenschaftlich festzustellen; und dieses eben so erhabene Verdienst gebührt einem nicht minder großen Manne, einem seiner Schüler, dem gleich Jenem über die ganze Erde bekannten J. H. Rausse oder um ihn bei seinem rechten Namen zu nennen, H. F. Francke, „einem der größten Denker unserer Zeit,“ wie ihn sein Biograph, der bekannte Philosoph Prof. F. Kapp nennt, „einem Mann der Wahrheit, einem Mann ohne Menschenfurcht und Menschenhaß, der sich nur in soweit wahrhaft Mensch fühlt und weiß, als er wahre Menschen um und vor sich hat, dem „Einzigen,“ welcher bis jetzt mit dem Begriff die Sache sich unterworfen, und den „Geist der Gräfenberger Wasserkur“ richtig aufgefaßt und dargestellt hat, dem Ersten, welchem aus dem Begriff der Sache die unumstößliche Gewißheit hervorgegangen ist, daß die physische Wiedergeburt der Menschheit die alleinige und unerläßliche Bedingung zu ihrer geistigen Wiedergeburt ist.

„Für Rausse schwärme ich,“ unterbrach sich mein Freund in seinem Redeflusse, „und Du mußt schon entschuldigen, wenn ich Dir auch vielleicht zu enthusiastisch für ihn erscheine. Was wäre die Wasserheilkunde ohne Rausse? Hätte sie jetzt nicht wieder ein gleiches Schicksal vor sich, wie schon vor Jahrhunderten, wo sie, trotz mancher beredter Fürsprecher und Vorkämpfer, dennoch wieder in Vergessenheit gerieth? Rausse hat sie davor bewahrt, er hat ihr die ihrer würdige Vertretung in der Literatur und Wissenschaft angewiesen. Nur als einzelner Beleg hierfür mag Dir dienen, daß das Journal für Wasserheilkunde in Nordamerika (the watercure journal and herald of reforms by Dr. Nichols, Newyork) jetzt bereits 20,000 Abonnenten zählt. Rausse mußte erst den Kelch menschlichen Krankheitsleidens bis auf den letzten Tropfen leeren, mußte erst sich selbst und seine gesammte Mitmenschheit physisch für verloren geben, mußte erst zu Prießnitz auf den Gräfenberg gehen, und dort gesunden, um zu dem begeistertsten der Apostel seiner Sache zu werden. Als wissenschaftlich Gebildeter war er auch glücklicherweise der Befähigteste. Rausse war praktisch kaum 4 Jahre thätig und erstaunen muß man, was er in diesem kurzen Zeitraum Großes und für alle Zeiten Werthvolles gestiftet hat. Er hat zwei bedeutende Anstalten gegründet, 5 der tüchtigsten Schüler herausgebildet; seine Schriften, theoretische wie praktische, sind in Tausend und aber Tausend Exemplaren und in fast allen gebildeten Sprachen in fast Allen Händen, und zu seinen Heilgrundsätzen bekennen sich bereits Unzählige und segnen sie aus Erfahrung, aus Ueberzeugung.

„Du darfst Rausse nicht zu den gewöhnlichen Wasserärzten zählen, die da meinen, mit einer einfachen empirisch-methodischen Anwendung des Wassers sei es gethan, das sei eine Wasserkur und damit müsse Alles kurirt und Alles gesund werden. Nein, so Unsinniges und so Unmögliches wollte Rausse nicht. Rausse hat der Wasserheilung Grenzen vorbehalten, die Grenzen der Naturheilung; er hat in allen seinen Schriften immer und immer wieder auf den einen Moment seiner Wasserheillehre hingewiesen, daß sie, von ihm consequent Naturheillehre bezeichnet, sich überhaupt aller sogenannten Heilmittel zu enthalten habe, sowohl der Medikamente als Heilmittel, wie auch des Wassers als besonderen Heilmittels. Er will, daß ausschließlich nur diejenigen Natureinflüsse benutzt werden sollen, kranke Körper gesund zu machen, die auch nur den gesunden gesund sein und bleiben lassen; er will, daß sie auch nur und ausschließlich nur in der Form benutzt werden sollen, wie sie auf den gesunden Körper in gesunderhaltender Form einwirken – mit einem Wort: er will den Instinkt, an der Hand der Erfahrung und der Vernunft den einzigen maß- und rathgebenden Arzt sein lassen. Rausse will den kranken Organismus nicht zwangs- oder kurweise, sondern naturgemäß allein aus, mit und durch sich selber gesunden lassen.

„Solches sind Rausse’s Heilgrundsätze; zu ihren Bekennern darfst Du auch mich zählen, und es sollte mich unendlich freuen, wenn ich auch Dich gewinnen, ganz und unbedingt gewinnen könnte.“

„Lieber Freund, entgegnete ich, dies wird Dir vielleicht nicht so schwer werden wie Du meinst. Zwar muß ich gestehen, daß ich gegen das Treiben der meisten Wasserärzte in ihren Anstalten einige Antipathie habe, nicht aus Vorurtheil, sondern aus Ueberzeugung. Grundsätzen aber, wie die von Dir erwähnten Rausse’schen kann ich, wenn sie sich in Wirklichkeit so herausstellen, durchaus nur meine Billigung geben. Du weißt ja, daß ich mich lange zu den Anhängern und Förderern einer einfacheren Natur- und Lebensweise bekenne, schon seit Jahren an mir ausübe, daß ich ihr vor Allem meinen seit der Zeit erträglichen Gesundheitszustand zu danken habe, und darum ihr auch, soweit mir in meinem praktischen Wirkungskreise Gelegenheit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_115.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)