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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Nur eine schlechte Skizze von meiner eigenen Hand, auch ein Daguerreotyp, aber kalt und duftlos.“

„Genug, Leben und Liebe copiren Sie aus Ihrem eigenen Herzen. Malen Sie Aurelia. Schaffen Sie ein Kunstwerk und dann bringen Sie sich um, wenn’s gefällig ist. Aber wir Deutschen und Franzosen sollten nicht um Kleinigkeiten sterben.“

„Kleinigkeiten?“

„Sicherlich. Wir haben eine Mission in den neuen Welten. Die Anglo-Sachsen machen Geld und haben zu nichts Anderem Geschick und Geschmack. Die Menschheit geht in ekelhafter Geldmacherei unter, wenn wir nicht schöne, große Ideen unter sie werfen. Sehen Sie in England, in Amerika, in Australien sind es überall Deutsche und Franzosen, die Kunst, Literatur, Wissenschaft säen und schaffen. Tragen Sie zu unserer Mission ein Werk bei. – Sie haben gerade jetzt die rechte Stimmung und Weihe dazu – und dann schießen Sie sich todt, wenn Sie glauben, hier fertig zu sein. Ich habe bald Geld genug, um dann auch als Künstler anfangen zu können. Das Gesicht ist wundervoll und Ihr Schmerz groß; damit können Sie etwas leisten.“

Das packte mich durch und durch. In sechs Wochen sollte eine Kunstausstellung in der nächsten großen Stadt eröffnet werden. Nach einem Monate war das Bild vollendet. Ich hatte während der Zeit Essen und Trinken vergessen, aber es war fertig. Acht Tage lang dämpfte und hob ich noch an den Farbentönen; dann thaten wir’s in einen Rahmen, den mir der Franzose creditirte, packten es ein und schickten es nach dem Eisenbahnhofe.

Mehrere Zeitungen sprachen gleich am zweiten Tage mit Enthusiasmus von der Perle der Ausstellung, dem über New-York schwebenden und bittend herniederblickenden Genius der Kunst, nur tadelten sie, daß der Genius „zu Deutsch“ aussähe. New-York sieht in der Vogelperspective erhaben aus. Die beiden Theile von Meerwasser getrennt und stets tausendfältig durch elegante Dampfer verbunden, dieses Meerleben ringsum – und das viele Morgenroth und die vielen derben, körperlichen Farbentöne dazwischen bildeten einen effectvollen Gegensatz zu dem vom Aether getragenen Genius oben, dessen Gewandung, aus lichten durchsichtigen Wolken gewoben, sich weit in den Himmel hinein immer leichter und unsichtbarer verlor. Vom Gesicht ging alles Licht aus, das sich aber vertheilte, nur das untere vom irdischen Morgenroth. So konnte man das Gesicht zugleich für eine höhere, überirdische Sonne nehmen. Doch ich will nicht weiter aus den Zeitungen abschreiben; aber ich kaufte mir alle möglichen Zeitungen und borgte mir bei dem Franzosen Geld dazu, nachdem ich ihm Alles, was irgendwie entbehrlich erschien, versetzt hatte. Ich war lauter Gluth und Aufregung. Ehrgeiz, Künstlerstolz und Sehnsucht nach dem Originale meines Bildes, das mir zugleich vermodernd aus dem Sarge entgegenstarrte, verzehrten mich. So saß ich eines Abends matt und aufgeregt in meinem Zimmer und ließ mich geduldig brennen und glühen von Bildern und Leidenschaften aller Art. Sie schwebte vor mir lächelnd in den Wolken; sie streckte todt und angstvoll bittend mir ihre Hände aus dem Grabe entgegen. Nun öffnete sie leise die Thür, und ihre geisterhafte, weiße Wange erröthete, und ihr weißes Gewand rauschte, ihr süßer Mund bewegte sich und flüsterte:

„Ottomar kennst Du mich nicht mehr?“

„O meine Aurelia, Dich nicht kennen?“

„Und Du liebst mich noch?“

„Du bist mein unsterbliches Selbst. Ich Dich nicht lieben?“

„Nun warum bewillkommst Du mich nicht? Ottomar, warum empfangen mich Deine Arme nicht?“

Von Furcht und Schrecken niedergedrückt, aber plötzlich von wahnsinniger Leidenschaft erhoben, stürzte ich mich auf das Phantom los und schloß es in meine Arme, meine süße, lebenswarme, wirkliche Aurelia. Das waren wirkliche Arme, wirkliche Küsse.

„Mein Gott! Mein Gott! Wie ist das möglich? Wie lange hab’ ich Dich als todt beweint!“

„Und ich Dich als begraben.“

Doch nun wurde unsere Unterhaltung so lebendig und Fragen und Antworten so schnell und verwickelt, daß ich’s nicht mehr aufschreiben kann.

„Der Alte“ hatte uns für einander todt gemacht, um die Tochter an seinen „Co.,“ wie so ein Theilnehmer am Geschäft in der kurzen, kaufmännischen Kunstsprache titulirt und geschrieben wird, zu verkaufen. Sie hatte aber nicht ihn, sondern ein Fieber bekommen, wovon sie noch so blaß ausgesehen hatte, bis unsere Umarmungen kamen. Nun hatte der Alte „eingewilligt,“ nur um sie gesund zu machen, dann aber gleich wieder von seinem „Co.“ angefangen und sie gequält, bis sie auf der „Ausstellung“ gewesen waren. Da hatte sie gemerkt, daß ich nicht todt sein könne, obgleich sie mir vorwarf, ich habe gar zu sehr „geschmeichelt.“ Ich unterbrach sie und meinte, nun wollten wir sogleich fliehen.

„Das ist nicht nöthig. Alterchen hat nichts mehr dagegen. Und da hinten steht er selbst. Frag’ ihn nur.“

„Sir!“ sagte der Alte, indem er vortrat, „jetzt ist’s etwas Anderes. Jetzt gebe ich natürlich meine Einwilligung, da Sie die verlangten 5000 Dollars nachweisen können.“

„Ich 5000 Dollars?“ O selbst meine 100 waren längst wieder dahin.

„Ist der Brief mit der Anweisung noch nicht da?“ fragte der Alte. „Nun die Compagnie in New-York, welche Ihr Bild kaufte, hat Credit bei mir. Und wenn Sie heute Abend in der sechsten Straße Ihren Thee trinken wollen, soll es mir sehr angenehm sein. Hoffentlich hat der Genius über New-York nichts dagegen.“

Gewiß nicht. Wir tranken den Abend Thee und kurz darauf saß ich eines Nachmittags mit meinem Genius als Hauptheld unter lauter langen, schmalschulterigen, backenbärtigen Yankees und ihren Damen. Viele bestellten bei mir Bilder. Jeder wollte einen in der Luft schwebenden Gegenstand haben, unter Anderm Einer seine Großmutter, weil sie ihm bei ihrem Tode viel mehr hinterlassen, als er erwartet hatte. Die Kunst ist noch kindlich in Amerika, ich aber bin gegenwärtig ein glücklicher Ehemann und renommirter Künstler.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_244.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2023)