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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Die der Reform befreundete türkische Partei verhehlt sich eben so wenig den Verfall des Staates; gegen seinen Untergang sucht sie aber eben dadurch anzukämpfen, daß sie europäische Civilisation auf das welke Reis des Islam zu pfropfen unternimmt; ein um so schwierigeres Beginnen, als dabei alte nationale und religiöse Vorurtheile verletzt werden, und das Mißverhältniß in den europäischen Besitzungen, wo 3 Millionen Osmanlis, neben 11 Millionen Christen, das herrschende Volk bilden, doch nicht gehoben wird. Da die Türkei im Laufe der beiden letzten Jahrhunderte die überlegene Kriegskunst ihrer Nachbarn mehrfach hatte erfahren müssen, so war es natürlich, daß auf diesem Gebiet zunächst zu Reformen geschritten wurde und eine Umgestaltung der Armee und des Kriegswesens auf europäischem Fuße erfolgte. Dies begann schon unter Sultan Mahmud und wurde unter dem seligen Sultan fortgesetzt, ohne daß jedoch die Wehrkraft des Reichs wesentlich gestiegen zu sein scheint. Die ganze Reorganisation der Armee ist nicht viel mehr als ein künstlicher Firniß geblieben. Angeblich vertheilen sich die Streitkräfte der Pforte wie folgt: Active Armee 160,000 Mann mit 2000 Feldgeschützen; Reserve 150,000 Mann; irreguläre Truppen 60,000 Mann; Hülfscorps von Aegypten, Tunis, Tripolis, Albanien u. s. w. 100,000 Mann. Die Seemacht besteht aus 16 Linienschiffen, 14 Fregatten, 12 Corvetten, 20 Briggs und 18 Kriegsdampfern von 3700 Pferdekraft, zu denen noch einige weitere der Regierung zur Verfügung stehende Dampfer kommen. Wären diese Streitkräfte, welche bei einer ganz anständigen Marine ein Landheer von 470,000 Mann aufweisen, in Wirklichkeit und nicht blos auf dem Papier vorhanden, so müßte die Pforte immer noch zu den Mächten ersten Ranges gezählt werden und könnte allenfalls selbst Rußland gegenüber auf fremde Hülfe verzichten. Aus der eigenen Hülflosigkeit der Pforte erhellt aber zur Genüge, welche Bewandtniß es mit ihrer Streitmacht hat, auf deren Widerstandsfähigkeit sie selbst kein großes Vertrauen setzt.

Ein Angriff der Russen auf die Türkei würde mit dem Uebergange des die Grenze zwischen beiden Staaten bildenden Pruth beginnen; ein zweites natürliches Hinderniß bildet die Donau, welche ebenfalls zu übersetzen wäre; zuletzt müßte das steile und rauhe Balkangebirge überstiegen werden, um in der Ebene von Konstantinopel zu erscheinen. In dem letzten russisch-türkischen Feldzuge 1828 bis 1829 brachte die russische Armee das Alles zu Stande, weshalb kaum anzunehmen, daß es ihr ein zweites Mal nicht wieder gelingen sollte, womit indeß durchaus nicht gesagt sein soll, daß es sich hierbei etwa um einen bloßen militärischen Spaziergang handelt, denn sicher wird bei einem Entscheidungskampfe der wilde Muth der Osmanlis noch einmal, wenn auch vergeblich, aufflammen. Ein anderer Weg als der eben bezeichnete führt für die Russen nicht nach Konstantinopel, indem einen etwaigen Angriff von der Seeseite her die Natur selbst vorgebeugt hat, und Werk von Menschenhand während der glücklichen Tage des türkischen Reichs der Natur hierbei noch weiter zu Hülfe gekommen ist. Bekanntlich liegt Konstantinopel (s. das beigegebene Kärtchen) am Marmorameere, das nach Norden mit dem schwarzen Meere, nach Süden mit dem ägäischen Meere (ein Theil des großen mittelländischen Meeres) durch zwei schmale Meerengen in Verbindung steht, von denen die nördliche den Namen Bosporus führt, die südliche als Dardanellenstraße bekannt ist. Beide Wasserstraßen sind ihrer heftigen, von Norden nach Süden gehenden Strömung wegen so schon schwer zu passiren, und die an ihren Ufern angelegten Befestigungswerke schließen den Seeweg nach Konstantinopel noch mehr, und sind somit für dessen Vertheidigung von entschiedener Wichtigkeit.

Der Bosporus ist etwa 4 Meilen lang, während seine Breite zwischen 1400 bis 2200 Fuß wechselt. An seiner schmalsten Breite stehen die sogenannten Hissaren (Schlösser), auf der asiatischen Seite: Anadoli Hissari, auf der europäischen: Rumili Hissari (s. die Abbildung). Letzteres, die stärkere Veste, ließ Mohamed II. im Jahre 1451, also zwei Jahr vor Eroberung Konstantinopels durch die Osmannen, anlegen, halb mit Bewilligung des griechischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_257.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)