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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Verloren in der Prairie bist Du allein, aber Du bist frei. Auf meiner Insel war ich allein und gefangen, gebunden, mehr als gebunden. Die Schrecken des Gefängnisses und der Prairie stürzten sich mit gleicher Gewalt auf mich. Dazu kamen zahllose Massen von häßlichen Ungeheuern. – Endlich verlor ich das Bewußtsein, wie als zum Schlafen. Ich hatte mich den ganzen heißen, tropischen Tag abgearbeitet, ohne etwas zu mir zu nehmen. Ich war zermalmt und dachte schon halb unbewußt mit einer Art Gleichgültigkeit an ein elendes Verderben. So mußte ich viele Stunden zugebracht haben; denn als ich die Augen wieder aufschlug, war die Sonne schon im Sinken. Ein schauderhafter Umstand brachte mich wieder zu mir selbst und auf die Beine. Ich sah und fühlte mich von dunkeln, scheußlichen Gegenständen umgeben. Sie waren lange vor meinen Augen gewesen, aber ich hatte sie in meinem traumartigen Halbbewußtsein nicht gesehen. Ich dachte wohl in meiner Ohnmacht daran, aber ohne Kraft, mich davor zu fürchten. Endlich hörte ich sie: ein ewig unvergeßliches, gräßliches Blasen und Brausen, Röcheln und Schnarchen, zuweilen ein dunkles, tiefes Zischen, endlich wie das rasende Gebrüll eines wüthenden Bullen. Jetzt riß das Entsetzen meine Augen auf: riesige Eidechsen – Alligators rund um mich und über mich herkriegen. Sie krochen und rochen und schnaubten und brüllten dicht über die ganze Insel hinweg und schienen offenbar in Zweifel, was mit mir anzufangen sei, da ihnen ein solcher Leckerbissen zum ersten Male vorkam. Ihre riesigen weiten Rachen öffneten sich gegen mich und ihre scheußlichen, bleiernen Augen starrten mich an.

Im furchtbarsten Entsetzen sprang ich auf und die riesigen Ungeheuer krochen und stürzten durch und über einander nach allen Seiten in’s Wasser. Sie hatten noch keinen Menschen gesehen, geschweige gegessen. Die scheußlichsten Thiere erkennen in ihrer Riesenkraft die Herrschaft des Menschen an, so lange dieser sie nicht durch Verfolgung und Mord demoralisirt hat. Die Krokodile Indiens und Aegyptens stürzen sich mit Wuth und Heißhunger auf jeden Menschen; diese „unschuldigen“ hier flohen mit großem Entsetzen vor dem „Herrn der Schöpfung“. Dies Gefühl brachte mich wieder zu mir selbst. Ich beschloß nun mit allem Scharfsinne, Alles zu versuchen und zu durchdenken, was möglicherweise zu meiner Rettung führen könnte. Ich untersuchte jeden Zoll der Insel, sondirte jede Tiefe ringsum durch tollkühnes Hineinwaten, wobei ich jedesmal mit dem dritten, vierten Schritte bis an den Hals versank. Die Ungeheuer umschnarchten mich hier unverschämter, so daß ich bald erschreckt an’s Ufer sprang und mit triefenden Kleidern die Insel auf’s Neue durchforschte. Von allen Seiten dieselbe hohle Antwort: keine Rettung.

So trieb das Entsetzen mich immer wieder über den öden kahlen Schmutzhaufen von Insel hin und her, bis Nacht und Verzweiflung und matter Heißhunger mich wie ein neues Heer von Todtfeinden packten und den Angstschweiß aus jeder Pore trieben. Das Heer schwoll zu einer furchtbaren Masse an. Die uncivilisirte Urnatur gab sich ein Abend-Concert: Das Qua-Qua des Nachtreihers, das Skrietschen der Sumpfeule, der Verzweiflungsschrei der Rohrdommel, das Schluchzen der großen Wasserkröte, das Geklirr des Glocken-Frosches und das heisere Zirpen der Savannah-Grille stürzten von allen Seiten unaufhörlich in steigenden und sinkenden und wieder steigenden Schwellungen an mein Ohr und begleiteten das nahe Schnarchen und Brüllen und Planschen der Alligators. Erst mit Beginn der Nacht bekam hier die Natur, die ungezähmte, ihr erhabenstes, entsetzlichstes Leben. Ich wollte nicht schlafen, aber ich fiel zusammen und meine Augen zu, als könnte ich sie nie wieder aufschlagen. Aber das Kriechen, Schnarchen, Brusten und Zischen um mich herum und endlich die Berührung eines feuchten, kalten Ungeheuers, das über mich gebogen eben seinen Schlag mit dem Schweife appliciren zu wollen schien (ich kannte ihre Manier), gaben mir eine plötzliche Kraft, mit der ich auf und zur Seite sprang.

Fast in demselben Augenblicke peitschte das Ungeheuer den Boden, wo ich gelegen, daß Sand und Schmutz weit umherstoben. Meine Oberherrschaft war bald gebrochen, der Respect vor mir war dahin. Ich nahm mein Gewehr und schoß auf das größte der Ungeheuer, ohne es zu tödten. Doch stürzten alle davon. Sie sind kugelfest und haben ihre Achillesferse blos im Auge oder unter der Vorderkralle.

Ich schlief nun, wenigstens wachte ich später auf oder wurde vielmehr durch die schleimige, kalte Berührung von einem dieser Ungeheuer aufgeschreckt. Ich sprang wieder auf und schoß eins in’s Auge. Es peitschte mit furchtbaren Schlägen den weichen Sandboden und brüllte ein paarmal auf; dann lag es langgestreckt. Die Andern waren wieder geflohen, kehrten aber zum Teil fast augenblicklich zurück und bildeten eine Art von Cirkel um mich. Ich schrie und schwang mein Gewehr und schoß zuweilen, doch mit immer weniger Erfolg, so daß ich, obgleich körperlich und geistig zerbrochen, doch nicht wieder an’s Schlafen denken konnte. Endlich kam der Morgen heiß und feucht und beleuchtete mit neuen Farben mein furchtbares Schicksal. Woher Frühstück nehmen, nachdem ich, den Tag vorher ohne Mittag- und Abenbrod, diese Nacht durchlebt hatte? Ich trank gierig das scheußliche Wasser, ohne den Durst löschen zu können. Und wie den Hunger?

Was konnte ich essen? Den Ibis. Aber wie ihn kochen? Womit Feuer machen? Mit Sand und Schlamm und Wasser? Doch wozu kochen? Kochen ist eine moderne Erfindung, ein Luxus für verweichlichte Gaumen. Ich befreite den Ibis von seinem prächtigen Gefieder und aß ihn auf. Nein ich war ökonomisch und hob mir einen Theil für die Zukunft auf. Er mochte mit Knochen 3 Pfund wiegen, doch mußte ich ihn zur zweiten Mahlzeit – einem déjeuner sans fourchette – schon bis auf die Knochen abnagen. Ich verfluchte die Stunde, in der ich Geschmack an solchen Mahlzeiten gefunden, und meine Naturwissenschaft wünschte ich mit sammt Audubon, Buffon und Cuvier in diese Urmoräste bis an den Hals.

Was nun nach dem Ibis? Todthungern? Noch nicht. Da liegt mein riesiger Nachbar: das todte Krokodil.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_311.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)