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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

und durch verschiedene Beobachtungen sich als die wahrhaft unmittelbare erwiesen hat, trug ich nach kurzer Zeit kein Bedenken mehr, mich zu der üblichen Zeit Morgens dem Strome anzuschließen und dem kosmopolitischen Elemente anzuvertrauen. Ich erfuhr dabei, daß Rousseau eigentlich recht hat mit seinem Ausspruche, daß gerade die Bekleidung viele Schuld an der Demoralisation habe. Die Sünde ist hier weniger zu Hause als in irgend einer andern großen Stadt, obgleich das weibliche Geschlecht sich blos mit einem „Camisa“ (Hemd) von der feinsten Gaze und einem eben so unmateriellen Hüftenrock, mit Silber und Gold gestickt, bekleidet. Alles Andere, selbst der Hut erscheint überflüssig und lästig, nur daß die Füße in ein Paar farbigen, leichten Schuhen stecken. Zwar hat unsere Landsmännin aus Königsberg in Preußen, die mir gegenüber wohnt, eine Art Putzgeschäft etablirt und die Pariser Tracht einzuführen angefangen; sie dringt aber nicht in das Volk, schon wegen der Temperatur und dann auch, weil es zu viel Mühe macht, sich so einzuschnüren, zuzuheften und eine Menge Luxus mit Bändern und Stecknadeln zu befestigen. Die europäische Damentracht hat hier dasselbe Schicksal, wie die Bloomer-Costüme in England. Man lacht darüber und muß auch darüber lachen, da die hiesigen Damen sich gar nicht in dies Costüm finden zu können scheinen, darin furchtbar schwitzen und mit den Kleidern wedelnd die Straße fegen, als wären sie von Zucker, von welchem man immer die Fliegen wegfegen müßte. Charakteristisch ist’s, daß gerade die Damen, welche sich in europäischer Tracht sehen lassen, in schlechtem Rufe stehen. Im Anfange dachte ich, man könne die Damen in ihrer fabelhaft leichten Kleidung auch leichtfertig behandeln, überzeugte mich aber bald, daß auch hier „die Sittlichkeit, wie eine Mauer, umgiebt das zarte, leicht verletzliche Geschlecht,“ wobei ich natürlich blos an die wirklich gebildeten Kreise denke. Das männliche Geschlecht der ersten Klasse (Spanier, Regierung) trägt feine weiße Jacken, die zugleich das Hemd mit vertreten, eben solche Beinkleider, leichte gelbe Schuhe, einen feinen hohen Strohhut und eine blutrothe Schärpe um die Taille. Solch ein vornehmstes, vollständiges Costüm kostet nach Eurem Gelde etwa 21/2 Thaler. Die zweite Klasse, aus indianisch-spanischen oder indianisch-deutschen und anderen Mischlingen hestehend, trägt sich ebenso, nur ohne die rothe Schärpe, welche der Orden unserer Aristokratie ist. Die Indianer (dritte Klasse) begnügen sich mit Beinkleidern und Hut; alles Andere ist ihnen von Uebel; deren Frauen und Töchter vollenden ihre Toilette, indem sie ein weißes Tuch um die Hüften schlagen und einen Männerhut dazu aufsetzen. Kinder tragen bis zum 10., 11. Jahre gar nichts. Schneider und Kleidermagazine können also nicht hierher speculiren. Die Mädchen sind hier vom 11.–12. Jahre an Jungfrauen und die Knaben vom 13.–14. Jünglinge. Erstere heirathen oft schon im 12. Jahre. Meine schwarzäugige Nachbarin, die noch gar keine Toilette machte, als ich vor etwa vier Monaten hierherkam, trägt jetzt ihr Camisa und ihren goldgestickten Hüftenrock, denn sie ist Frau und feiert erst in etwa sechs Wochen ihren 14. Geburtstag. Die erste Klasse der Bevölkerung hier regiert und thut nichts, die zweite hilft regieren und thut auch nichts, die dritte nur läßt sich regieren und besorgt das Bischen Arbeit sehr heiter, fleißig und treu. Die Indianer und ihre Frauen und Mädchen bieten Früchte feil, Hunderte von kostbaren, süßen, duftigen Fruchtarten, von denen Ihr gar keine Ahnung habt, waschen und nähen, tragen Packete und Briefe, kehren und fegen und putzen, kaufen ein, schaukeln die Damen in ihren Hängematten, besorgen Pferde und Maulesel und was sich sonst für sie zu thun findet. Die zweite Klasse handelt. Fast in jedem Hause giebt’s etwas zu verkaufen, aber meist ohne Laden und Schild. Man kennt sich gegenseitig und Barthels weiß genau, wo er den Most holt. Unser Granada hat kaum 25,000 Einwohner in luftigen, größtentheils fensterlosen Lauben, die manchmal vergittert sind, größtentheils aber nur des Nachts mit vergitterten Läden geschlossen werden. Es ist Alles so offen und frei und durchsichtig, wie ich mir kaum einen größeren Gegensatz zu dem englischen Leben denken kann. Der ewig speculirende Engländer ist bis über den Hut hinaus, über das ganze Gesicht hinweg zugeknöpft und wohnt hinter Eisengittern in seiner stets verschlossenen Burg und hinter noch besonders verschlossener Thür und spricht entweder gar nicht, oder nur mit wenigen, einsilbigen, unarticulirten Stößen; wir Schlaraffen hier wohnen in offenen Gartenlauben, speculiren nicht und rauchen Cigarren dazu und sprechen so volltönig und wohlklingend gravitätisch, daß jedes Wort vokalreich einsetzt und austönt. Wir brauchen zu einem bloßen „Guten Morgen“ mehr Zeit und Worte, als der Engländer zu einem Geschäft um 100,000 Pfund. Er spricht nie, sondern stößt blos unwillig schauderhafte, unverständliche Töne aus; blos der Spanier weiß zu sprechen in der heitern, hellen Luft, die so liebenswürdig zum Müssiggange einladet. Karl der Fünfte hatte Recht, wenn er das Englische zur Unterhaltung mit Gänsen, das Spanische zur Audienz bei Göttern und das Deutsche zum Plaudern mit unsern Freunden empfahl. Deshalb schreibe ich republikanischer Spanier und Schlaraffe auch Dir, lieber Freund, in der reichen Muttersprache, die Du bereits in allen Höhen und Gegenden der Welt findest, wo Civilisation hingedrungen ist, und die jedenfalls das Organ aller Menschen für ihre geistigen und Herzensbedürfnisse werden wird, wie das Englische die Welt- und Geldsprache. Unser bequem und majestätisch austönendes Spanisch bleibt für die Götter der Erde, die holden, höhern Faullenzer von Profession und Genie.

Aber Du wirst nun fragen, was ich eigentlich hier mache? Wie gesagt: Nichts. Cartesius glaubte Wunder was zu sagen mit seinem „Cogito ergo sum“ (ich denke, folglich bin ich). Ich sehe mitleidig auf den großen Philosophen herab mit meiner Philosophie: „Ich bin, folglich brauch’ ich nicht zu denken. Ich bin, ich befinde mich.“ Wie? Das ist schon Luxus. Sich schlecht befinden, ist ein Mangel, sich wohl

befinden ein Ueberfluß. Befinden! Befinden! Nichts als Befinden! Doch bin ich offen genug, Dir auch meine Schwachheiten zu bekennen. Ich habe nämlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_389.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)