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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

nachdem sie sind!“ erwiederte die Lene kurz und der Bediente trollte sich. Denselben Tag erhielt die Lene auch ein Briefchen von Richard Saldern. Er warnte uns vor den Schlichen des Grafen K. Derselbe sei ein berüchtigter Mädchenjäger aus Berlin; er, Richard, bewache zwar jeden seiner Schritte, allein Vorsicht auch von unserer Seite könne nicht schaden. – „Das hab’ ich dem Patron gleich angesehen,“ sagte die Schmidt-Lene; „man versteht sich nach so langem Reisen ein wenig auf die Menschen. Die Warnung ist ehrlich gemeint; der junge, schöne, blasse Herr, der sie schickt, hat mir gleich Vertrauen eingeflößt. Wenn er nur nicht krank wär’!“ – Krank? fragte ich erschrocken. „Nun ja,“ sagte sie, „sahst Du ihn denn noch nicht, den schönen, schwarzlockigen Herrn? Man sieht’s ihm ja an, daß er leidet, wenn nicht am Körper, so desto mehr im Gemüthe.“ – Ja so – dachte ich und war froh, daß er nicht noch anders erkrankt war. Ich hatte aber der Lene verschwiegen, daß und auf welche Art ich mit ihm bekannt geworden war, und verschwieg es auch ferner, denn es war eben mein Geheimniß, das ich Niemand sagen durfte. Der Graf ließ sich durch die Abfertigung der Lene nicht abschrecken, mich mit seinen Aufmerksamkeiten zu verfolgen. Den andern Tag nahte er sich mir ganz dreist und stellte mich zur Rede, daß ich sein Billet nicht angenommen. Er schalt mich grausam und fügte dazu einen Schwall von Schmeichelreden, der mir Uebelkeit verursachte. Von da an konnt’ ich ihn gleich gar nicht leiden, und es verdroß mich nun Nichts so sehr, als wenn er nach jedem Stücke, das ich sang, klatschte wie ein Verrückter. Das that Richard nie. Einige Abende später machten wir mit einer durchreisenden Gesellschaft aus Preßnitz Compagnie zu einem größern Concerte. Ich gestehe, daß ich mich fürchtete, von der Preßnitzer Vorsängerin ausgestochen zu werden, daher nahm ich mich zusammen, meine Sache recht gut zu machen. Die Preßnitzerin sang wirklich recht brav, aber die Gäste, einmal an mich gewöhnt, wendeten mir den größten Beifall zu. Das Alpenhorn von Proch und „Wenn die Schwalben heimwärts zieh’n“ mußte ich da capo singen. Am Schlusse aber kommt der Geck von Grafen auf mich zu, hat ein goldnes Armband mit funkelnden Steinen in der Hand und will es mir mit den Worten anlegen: „Nur ein kleines Huldigungszeichen statt des Lorbeerkranzes für meine erzgebirg’sche Nachtigall.“ Richard stand unweit davon und sah mit düstern Augen herüber. Ich hätte das Geschenk so wie so nicht genommen, nun aber hatte ich den Muth, es dem Grafen ohne Weiteres mit den dürren Worten zurückzugeben: Ich bin nicht Ihr, sondern meiner Mutter, und die Nachtigallen fliegen im Walde herum, da fangen Sie sich eine! – da bricht Dir der Mensch in ein Gelächter aus, daß es durch den ganzen Saal schallt, und spricht: „Nein, ist die Kleine naiv – hat man so was von einem Harfenmädchen erlebt? Spielt da Trutz-Nachtigall! Auf Ehre! – Na, die Politur kommt schon noch – der erste Ausflug das – beim zweiten sind wir schon kirre! Allerliebstes Naturkind –“ und dabei knipp er mich in den Arm. In dem Augenblicke aber flogen ihm ein Paar Ohrfeigen dergestalt um den Kopf, daß ihm Hören und Sehen verging. Mir verging es aber auch, denn es war kein Anderer, als Richard, der diese Züchtigung austheilte, mich dann bei der Hand nahm, und nachdem er dem Grafen eine Karte hingeworfen hatte, auf unser Zimmer begleitete. Hier sank ich weinend auf einen Stuhl – ich wünschte mich weit weg, in unsere Berge, wo man sich durch züchtiges Benehmen leicht gegen jede Zudringlichkeit schützen kann. Ich dachte in dem Moment nicht daran, daß Richard Saldern zugegen war; daher riß ich das Bild des Vaters von der Brust und bat Gott bei diesem, seine Hand über mir zu halten, daß kein Verführer je Gewalt über mich gewönne; dann schwor ich feierlich, lieber zu sterben, als je der Schande zu verfallen. Jetzt nahm ich wahr, wie Richard neben mir niederknieete und seine Hände faltend, ausrief: „Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor Dir! Wie konnte ich Deine Welt zu richten wagen, so lange sie noch solche Wesen trägt? O Herr, gehe nicht in’s Gericht mit mir, wie ich es mit der ganzen Menschheit that, und nimm mich wieder zu Gnaden an!“ – Ich bin wohl ein furchtsam, schüchtern Ding, Mutter, aber in diesem Augenblicke wich alle Scheu von mir – ich legte meine Hand auf sein Haupt und sagte: „Gott ist barmherzig und geht nicht gleich mit uns in’s Gericht, wie die schwachen Menschen thun. Wer möchte sonst auch bestehen vor ihm? Da stand er auf und ergriff meine Rechte und drückte sie an sein Herz, dann nahm er das Bild aus meiner Linken und sagte: „Ihr Vater also?“ betrachtete es lange und murmelte für sich. Laut begann er hierauf: „Ich möcht’ ihn kennen, diesen Vater.“ Da sagt’ ich ihm, daß er schon lange im Himmel sei – und nun gab ein Wort das andere, so daß er bald Alles wußte, was mich und Dich betrifft, unser Leid und unser Glück; ich aber auch von ihm, daß er, eines reichen Mannes Sohn und Miterbe seiner Güter, an Nichts Mangel litte, worein die Menschen gewöhnlich das Glück auf Erden setzen. Dennoch sei er nie glücklich gewesen. In seiner Kindheit mit finsterer Strenge erzogen, dann von seinem vierzehnten Jahre an fern vom Elternhause in einer klösterlichen Erziehungsanstalt wieder kalt und herzlos behandelt, sei er um seine Jugend betrogen worden. Unter Büchern und Bücherwürmern zum Jünglinge herangereift, sei er, dem Leben entfremdet, in die Welt getreten und nach wenig Jahren eines vergeblichen Ringens, in ihr heimisch zu werden – von Freunden, denen er sich sorglos anvertraut, verführt und betrogen, von einer Geliebten, der er sein ganzes Herz geschenkt, treulos verlassen, von den Seinen daheim nie verstanden – eben dahin gekommen, worüber ich ihn betroffen. „Gott sandte Sie mir, weil er nicht

den Tod des Sünders wollte“ – schloß der arme gute Mensch – „sondern daß er sich bekehre und lebe. Und ich will mich bekehren und will leben; ich will das Leben erfassen mit aller Kraft und Gluth meines Wesens – dieses Leben, das Ihr Werk ist. Erhält mir’s Gott, so sehen wir uns einst wieder und zwar in Ihrer Heimath. Zuvor aber muß ich Buße thun, und das sei der Anfang meiner Buße, daß ich noch heute von Ihnen scheide, ohne nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_406.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)