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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

und haben sich drüben am Ufer hingesetzt und herüber nach den deutschen Feldern geschaut, wo trotz Verfolgung und Hohn ihr ganzes Herz geblieben war. Später haben’s uns die Douaniers im französischen Zollhause wohl erzählt. Wenn am badischen Ufer ein deutsches Lied erklungen ist: „Wenn i komm, wenn i komm, wenn i wieder komm,“ da ist selbst dem Stärksten das Herz weich geworden, und still und bekümmert, die hervorquellende Thräne verbergend, ist er wieder hin nach der fremden Stadt gezogen, immer die Worte wiederholend: Wenn i komm, wenn i wieder komm. Aber es ist keiner wieder gekommen – keiner, und Manchem dadrüben ist das Herz gebrochen.“

Ja die Heimath – die liebe Heimath!


Zur Literatur. Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß das Volk die jetzt erscheinenden wohlfeilen Volksausgaben deutscher Dichter und Novellisten so fleißig benutzt, daß der Absatz nicht mehr nach Hunderten, sondern nach Tausenden gemessen werden muß. So ist die seit einigen Monaten erscheinende Volksausgabe der Hauff’schen Werke bereits in Vierzigtausend Exemplaren verbreitet und ein neuer Abdruck von 20,000 Exemplaren unter der Presse. Die mit Hauff zugleich erscheinende Volksausgabe des Democritos zählt bereits über 30,000 Abnehmer und täglich laufen noch Nachbestellungen ein. Auch die neue Ausgabe der Stolle’schen Werke erfreut sich einer weiten Verbreitung. Durch solche Bibliotheken der besten deutschen Autoren wird Geschmack und Literaturkenntniß auf überraschend schnelle Weise gefördert.


Für Auswanderer.. Wenn in’s Werk gesetzt wird, was uns ein gewisser Brown in seiner Schrift als ausführbar schildert, so werden Auswanderer nach Amerika in nächster Zeit binnen 48 Stunden von Hamburg nach New-York fahren. Nach Brown’s Behauptung läßt sich nämlich ein Schiff bauen, das binnen der angegebenen Zeit Amerika erreichen kann. Er gründet seine Behauptung im Wesentlichen auf folgenden Lehrsatz: „Um eine viel größere als die bisher erreichte Geschwindigkeit zu gewinnen, kommt es darauf an, die Schiffe so zu bauen, daß sie nicht in Folge des Eintauchens, sondern in Folge der Bewegung über dem Wasser erhalten werden, das heißt flach, nach vorn zu ein wenig aufsteigend. Wenn ein solches Fahrzeug mit großer Geschwindigkeit fortgerissen wird, so wird es fast ganz über die Oberfläche des Wassers emporsteigen, nach demselben Princip, nach dem ein flacher Stein, unter einem spitzen Winkel auf das Wasser geworfen, ein sogenanntes Butterbrot, abprallt. Einen gewissen Widerstand wird die Bewegung natürlich finden, nach dem Hintertheile des Schiffes zu; aber man kann leicht verhüten, daß er mit der Beschleunigung der Bewegung zunimmt, wie bei der jetzt üblichen Bauart, indem man den Neigungswinkel des Schiffbodens spitzer macht. Angenommen z. B. ein Schiff von 100 Tonnen mit 30 Meilen Geschwindigkeit in der Stunde und mit einer Schiefe des Bodens von 1 Fuß auf 100 erleide einen Widerstand von 1 Tonne, so würde es bei 60 Meilen Geschwindigkeit auch nur eine Tonne Widerstand erleiden, wenn der Boden in dem Verhältnis von 1 zu 400 geneigt ist. Ein gewöhnliches Dampfschiff erleidet bei doppelter Geschwindigkeit den vierfachen Widerstand, und es giebt kein Mittel, diesen Widerstand zu überwinden, als eine entsprechende Vermehrung der Maschinenkraft, also auch des Kohlenvorraths. Ein flaches Schiff wird sich um so höher aus dem Wasser erheben, je schneller es bewegt wird. Die nothwendige Vergrößerung der Maschinen ist also gar kein Hinderniß. Ein so construirtes Schiff würde auf dem Wasser fliegen wie der Vogel in der Luft.“


Das Spiel in Baden-Baden. Das großherzoglich badische Ministerium hat alle Hazardspiele[WS 1], „insofern nicht hinsichtlich einzelner solcher Spiele eine Ausnahme ausdrücklich gestattet ist,“ mit einer Strafe von 100 Fl. oder vier Wochen Gefängniß belegt. Das Pharao- und Roulettspiel in Baden-Baden wird indeß durch diese Verordnung nicht betroffen. Wer also trotz des Verbots seiner Leidenschaft fröhnen will, braucht nur eine kleine Strecke per Dampf zu durchfliegen, und er kann, was ihm zehn Minuten davon in demselben Lande vier Wochen Gefängniß kosten würde, hier ohne Furcht treiben. Wunderbare Welt!

Wer war in Baden-Baden und schwärmt nicht für dieses reizende Stückchen Erde! Deutschland hat wenige solcher Thäler. Und doch wie viel Jammer und Unglück, wie viel Flüche lasten auf diesem Paradiese! Es sind noch nicht drei Wochen, als ich in dem berühmten Conversationssaale am Pharaotische stand. Glänzend geschmückte Damen und rothbebänderte Herren, französisch parlirend, durchwogten den großen Saal, an dessen einem Ende der stark frequentirte Rouletttisch steht. Im zweiten kleineren Saal wird nur Pharao[WS 2] gespielt. Müßig zuschauend hatte ich mich einem jungen Mann gegenüber postirt, dessen hohes Spiel die Aufmerksamkeit Aller auf sich zog. Er war blutjung, vielleicht zweiundzwanzig Jahre alt, seine Züge waren von seltener Schönheit und so mädchenhaft weich, daß man eine emancipirte Dame hätte vermuthen können, wenn nicht das kleine Schnurrbärtchen alle Zweifel gehoben hätte. Daß er ein Deutscher war, bewiesen einzelne Fragen, die er dem Bankier hinwarf. Er spielte mit „vielem Anstand,“ wie ein alter französischer Edelmann neben mir bemerkte. Keine Miene zuckte, wenn der Gruppier seine Rollen mit 50 Napoleonsd’or einstrich, seine Finger bewegten sich kaum, wenn der Krückstock ihm Hunderte von Goldstücken als Gewinn zuschob. Aber mit jedem neuen Spiele ward sein Goldhaufen kleiner und sein Antlitz blässer. Zuletzt war er gespensterhaft bleich. Dazu aber immer dieselbe erkünstelte Ruhe, dieselbe Nonchalence, dasselbe kecke Wagen! Nur die Ader auf der kleinen weißen Hand, womit er die Nadel aufstach, war hoch aufgeschwollen, ein leises Zittern lief dann und wann durch den Arm, sonst keine Bewegung, keine Aufregung.

Zuletzt war auch die letzte Rolle Gold verspielt. Schon wollte sich der Unglückliche erheben, als er rasch noch einmal die Taschen durchsuchte. Zum ersten Male flog ein Lächeln der Befriedigung über seine Züge – er hatte noch eine Rolle mit 50 Napoleonsd’or gefunden. Er setzte sich wieder und brach die Rolle in zwei gleiche Hälften. Gleichgültig schob er dann die eine Hälfte auf eine Nummer. Sie gewann. Er ließ den Betrag stehen und warf dann mit verächtlichem Lächeln auf den Lippen auch die zweite Hälfte der Rolle auf dieselbe Nummer. Alles ward still am Tische. Gleichgültig hob der Bankier die Karten ab, von den Lippen der Damen, die den Tisch umstanden, flog ein mitleidiges Ach – der Krückstock zog auch das Letzte ein. In Zeit von drei Stunden hatte der junge blasse Mann 30,000 Francs verloren.

Mit leichtem Lächeln stand er auf, grüßte den Bankier verbindlich und verließ den Saal. Aller Blicke folgten ihm. „Das ist der dritte unglückliche Abend,“ sagte mein Nebenmann achselzuckend – „er ist ruinirt!“ – Ruinirt – ruinirt, das wird hier so gleichgültig ausgesprochen, als ob es sich um eine Partie Billard, nicht um die Zerstörung eines ganzen langen Lebens handelte. Und für diese Ruiniranstalten giebt es keine Verbote! E. K.     


Zur Beachtung.

Mit dieser Nummer schließt das 3. Quartal und ersuche ich die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das 4. Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Ernst Keil 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Glücksspiele
  2. siehe w:Pharo
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_428.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2023)