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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Färbung, Gestalt und Manier. Diese einzige Provinz hat nicht weniger als 28 Mill. Einwohner, viel mehr als ganz Frankreich.

Nanking ist auf Wasser gebaut, wie Rotterdam, umgeben von fruchtbaren Thälern, schwammigen Ebenen und Gewässern, die von Fischen strotzen. In südlicher Richtung weitet sich der Fluß plötzlich und bildet eine Art von See mit unzähligen Paradiesen von Inseln, in deren schattige, blüthenduftige Gartenwälder sich die Villa’s der Mandarinen mit ihrer Herrlichkeit vor dem profanen Volke verbergen. Diese Privatlusthäuser der Großen übertreffen an Ueppigkeit und Feinheit der Genüsse die europäische Raffinerie bei Weitem. Eine besondere Liebhaberei bei ihnen ist es, sich ungeheure Massen seltener, größtentheils weißer Vögel in großen luftigen Häusern hinter Gittern und Netzen zu halten, die so fein sind, daß selbst die Vögel meinen mögen, sie seien nicht gefangen. In diesen Villa’s leben, dichten und lieben die poetischen Damen China’s, Aspasia’s des Ostens, in ihrer naiven, leidenschaftlichen Sprache. Freilich erlaubt ihnen die Eifersucht ihrer Herren nicht, das Licht ihrer Schönheit und das Feuer ihrer Poesie vor der Welt leuchten zu lassen und ihre Töne verhallen in echoloser Abgeschlossenheit. Auf dem Wassergeäder leuchten und laufen die elegantesten Schiffe und Fahrzeuge der ganzen Welt. Tausende von Junken bringen fortwährend die Produkte und Fabrikate dieser Provinz bis in die entferntesten Theile des Reiches durch das ungeheure netzreiche Flußgebiet des Jang-tse-kiang, dessen natürliche Arme noch tausendfach durch wahrhafte Legionen von Kanälen vermehrt wurden.

Man kann sich denken, welche Gewalt die Insurgenten, die an diesem Jang-tse-kiang herunterkamen und nun in den Kopf dieses ungeheuren Verkehrsadersystems vorgedrungen sind, bereits erworben haben. Sie sind Herren in der wahrhaften Hauptstadt des Reichs und sitzen in der Hauptspeisekammer für 300 Millionen Menschen. Nanking ist viel mächtiger als Peking und wer erstere mit ihrer Ebene und ihrem Verkehrsadernetze hat, ist der politischen Hauptstadt schon gewiß.

Nanking ist Berlin, Peking das Potsdam dazu. Nanking ist das ehemalige Paris und jetzige Paradies von China, der wirkliche Himmel des himmlischen Reichs. Hier hat eine der himmlischen Schönen einst, dichtend und musicirend in einem schattigen, duftigen Insel-Paradiese des Jang-tse-kiang, oder träumerisch sich wiegend auf dem flüssigen Himmel des „blauen Flusses“ in ihrer sammetnen, goldglitzernden Gondel, die achtseitige Lyra in der Hand, den Namen: „Himmlisches Reich“ erfunden und es besungen. Nach der lebendigen, aus eigener Erfahrung und Anschauung geschöpften Schilderung der Herren Callery und Yvan, die als Dolmetscher und Arzt der französischen Gesandtschaft in China die beste Gelegenheit hatten, lange und genau zu studiren und in die feinsten Geheimnisse der höhern Gesellschaft und Cultur China’s einzudringen und aus deren Werke wir diesen Artikel zusammentrugen, ist Nanking der Brennpunkt aller Größe und Schönheit der Natur, Kunst und Cultur. Alle Reiche, Gebildete und Gelehrte wohnen hier und entwickeln hier alle Pracht, die Verfeinerung des Geschmacks und der Sitten, der Kunst und Wissenschaft in der reizendsten Natur und unter den Augen der Schönsten und Gebildetsten des weiblichen Geschlechts hervorrufen können. Der Speisezettel der Großen ist oft ein hübscher Octavband. Ja die chinesische Kochkunst allein wird die feinsten Hotels von Paris tief in den Staub werfen, wie denn bereits ein chinesischer Restaurateur in St. Francisco alle deutsche und französische Koch- und Küchenkunst besiegt hat.

In Bezug auf das weibliche Geschlecht Nankings kann sich die glücklichste Phantasie des Dichters keine himmlischeren Wesen schaffen, als sie von den genannten Franzosen als wirkliche Wesen geschildert werden. Es ist ziemlich im ganzen Reiche Sitte, daß Eltern ihre Töchter, die durch Schönheit und Talent zu besondern Hoffnungen berechtigen, nach Nanking bringen. Hier fließt ihnen Geld, Bildung, Cultur, Poesie und galanteste Aufmerksamkeit zu. Ihre Schönheit tritt immer im Bunde mit Poesie, Gesang, Musik und Allem, was die Cultur Reizendes bietet, auf und läßt da keine Rohheit aufkommen, wo nach unsern Begriffen verschiedene Tugenden vermißt werden würden. Sie dichten, componiren und singen ihre Dichtungen in der Regel aus dem Stegreife. Welch einen Grad von geistiger Gewandtheit setzt dies voraus. So grob die Gesichter der Chinesen oft sind, die der Chinesinnen sind so fein und durchsichtig wie ihr bestes Porzellan. Ihre Kleidung grenzt an das Bloomer-Costüm, ist aber geschmackvoller, und mit ihrem reichen schwarzen Haar wissen sie diese Gesichterchen mit dem kleinen Munde und den feingeschnittenen lachenden Augen so zu heben, daß diese Kunst der Haartoilette allein eine Revolution unter dem weiblichen Geschlechte Europa’s hervorrufen wird. Gestalt, Wuchs, Hände, Arme und Füße sind durchweg zierlich, klein und von der feinsten Gliederung. Die Japanesinnen sollen noch schöner sein. Da nun die amerikanische Expedition dieses England Asiens, dieses Japan, jedenfalls öffnen wird, welche Aussichten erschließen sich nun dem Weltverkehre, dem Romane und den Heiraths-Candidaten! Damit aber unsere schönen Leserinnen nicht ungetröstet diesen Artikel verlassen, versichern wir sie, daß es nicht nur schöne Chinesen und noch schönere Japanesen giebt, sondern noch viel schönere Damen, Frauen und Jungfrauen, als die himmlischen Dichterinnen Nankings, das sind sie selbst, die deutschen Mädchen, die sich im Wesentlichen vor keiner Concurrenz der Welt zu fürchten brauchen.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_439.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)