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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

thust, thust Du mir, Deiner einzigen Tochter.“ „Ich habe keine Tochter mehr,“ sagte er, vom Zorn zum Schmerze übergehend mit gebrochener Stimme; „dieses stolze halsstarrige Mädchen ist nicht meine Tochter Leonore.“

Meine Thränen begannen zu fließen. Ich demüthigte mich, indem ich zu seinen Füßen sank und um Vergebung und Billigung meiner Liebe flehte. Umsonst, er blieb hart und kalt wie Stein; all’ meine Bitten rührten ihn nicht.

Falk verschwendete vergebens am folgenden Tage seine Beredtsamkeit, seine innigen Bitten. Mein Vater behandelte ihn mit empörender Verachtung und tief in den zartesten Punkten seiner Ehre gekränkt verließ er unser Haus. Ich schrieb heimlich einen Brief voll Liebe und Schmerz an ihn, beschwor ihn, mit mir zu entfliehen und malte mein Verhältniß im elterlichen Hause mit den düstersten Farben. Ach mir ahnte, was er antworten würde. Er wies meinen Vorschlag der heimlichen Flucht als seiner unwürdig zurück und bewies mir, daß mein Vater alsdann mit vollem Rechte seinen Namen beschimpfen könne. Ach, alle Gründe, die er nannte, waren von überwiegender Wichtigkeit und dennoch beleidigte mich sein warmer, zärtlicher, im Schmerze der Entsagung geschriebener Brief. Er deutete auf seine Stellung als Beamteter, die er, ohne ehrlos zu erscheinen, nicht durch heimliche Flucht aufgeben könne und erinnerte mich, daß er nichts weniger als reich sei und es darum für ein schweres Unrecht halte, mich aus dem Ueberflusse zu locken und einem vielleicht dunkeln Schicksale Preis zu geben. Aber er bat mich auch, treu auszuharren und dem Baron standhaft meine Hand zu verweigern. In ihm lebte die feste Hoffnung, daß wenige Jahre unserm Schicksale eine freundlichere Wendung geben würden, und darum beschwor er mich, Muth zu fassen, ihm treu zu bleiben und stets seiner unwandelbaren Liebe zu vertrauen.

Es verflossen nun einige trübselige Wochen. Baron Neuhaus setzte trotz meiner entschiedenen Kälte seine Bewerbungen fort und nahm meine Versicherung, ich würde nie heirathen, mit ungläubigem Lächeln auf. Meine Mutter lag seit den heftigen Auftritten in der Familie krank. Die Großtante kränkelte ebenfalls seit lange und verließ nie ihr abgelegenes Zimmer. Falk wurde in dieser Zeit zu einem ehrenvollen Amte in der Schweiz berufen; und wir mußten scheiden ohne Abschied. Der Gedanke, daß er nicht mehr mit mir an demselben Orte, nicht mehr dieselbe Luft athme, machte mich unaussprechlich muthlos. Er gibt mich auf, sprach ich mißtrauisch zu mir; er hat mich vergessen, sonst wäre er in der schrecklichen Prüfungszeit, die ich zu bestehen, nicht fortgezogen. Er will mich lieber unglücklich sehen, als daß ein Fleck an seiner Ehre hafte.

Die Krankheit meiner Mutter verschlimmerte sich täglich und ihre bisher unterdrückte Liebe zu mir brach in diesen Leidenstagen wieder siegend hervor. Sie nannte mich wieder ihre geliebte Leonore, ließ mich im Gefühl der nahen ewigen Trennung wenig von sich und versprach mir sogar bei dem strengen Vater für mich und Falk zu bitten. Das that sie auch wirklich; aber selbst der Wunsch der sterbenden Gattin vermochte nicht sein hochmüthiges stolzes Herz zu erweichen.

Dem Drange meiner Sehnsucht folgend hatte ich während der Krankheit meiner Mutter einmal an Falk geschrieben, doch keine Antwort erfolgte. Es ist gewiß, er hat Dich vergessen, flüsterte mein böser Genius mir zu, er ist ein Mann wie Alle, treulos, flatterhaft. Aber trotzdem wollte mein Herz seinen Glauben zu ihm nicht so schnell aufgeben.

Da wollte es ein unerforschliches Geschick, daß eine meiner früheren Gespielinnen, die von einer Reise zurückkehrte, meinen früheren Lehrer in B. gesehen haben wollte. „Er führte eine junge schöne Dame,“ erzählte sie arglos, „die er küßte und nach einem Reisewagen führte, in welchem eine ältliche Frau saß. Als er sie in den Wagen hob, küßte er sie nochmals und bat sie, ihm bald zu schreiben. Es war gewiß die Braut Deines ehemaligen Schuldespoten.“ Die gute schwatzhafte Anna hatte keine Ahnung, welchen Wintersturm sie durch ihre Erzählung in mir hervorbrachte, wie sie mein Herz folterte. Als sie fort war, warf ich mich schluchzend zur Erde und gab mich einem wilden, leidenschaftlichen Schmerze hin. Ich dachte gar nicht an die Möglichkeit eines Irrthums, dachte gar nicht daran, Nachforschungen anzustellen. Falk’s Schwester konnte es nicht sein, weil diese zu weit entfernt lebte. Ach und später erfuhr ich, daß sie es doch gewesen. Auch die Kunde, daß mein Vater meinen Brief an Falk unterschlagen, erfuhr ich erst, als es zu spät war. Wehe über meine unzeitige Eifersucht, über mein Mißtrauen und meine maßlose Heftigkeit; sie legten den Grund zu meinem spätern maßlosen Unglück.

Nach einem schrecklichen Tage, dem eine schlaflose Nacht folgte, trat ich bleich, mit kalten starren Zügen vor meinen Vater und erklärte ihm, daß ich bereit sei, Neuhaus meine Hand zu gehen. Er war überrascht und hocherfreut und bemerkte in der Freude über meine Sinnesänderung nicht einmal die Blässe meiner Wangen. Als Herr von Neuhaus mir seine Aufwartung machte, erklärte ich ruhig und kalt, ich wolle nach dem Wunsche meiner Eltern die Seinige werden, falls ihm noch daran gelegen, eine Frau zu besitzen, die keine Liebe und Zuneigung zu ihm besitze. Er war erbärmlich genug, darauf einzugehen.

Den Tag nach meiner Verlobung starb meine Mutter, mich segnend und für das Opfer, das ich gebracht, dankend. Thränenlos stand ich in der Nacht einsam an ihrem Sarge und hatte keine andre Empfindung, als Ekel gegen das Leben, Haß gegen die Lebenden und Neid gegen die Todten. „Mutter,“ sprach ich, ihre kalte Hand erfassend, „warum bin ich nicht statt Deiner gestorben? Mir ahnt es, ein harter Kampf ohne Sieg wird meine Zukunft sein.“ Ich setzte die Lampe auf die Erde und versank neben der Leiche in düstre Träumereien. In meiner Seele leuchtete nicht das tröstende Bild der Religion. Ich hatte weder wahren Glauben an Gott noch Liebe zu ihm; und wurde von Zweifeln an Unsterblichkeit und dunkler Ahnung von etwas Höhern hin und her gerissen. „Was ist das Leben anders als ein Puppenspiel,“ flüsterte ich, „Könige und Bettler wirft man nach beendetem Trauerspiel in die Gerüllkammer.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_443.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)