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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

schlecht gemacht. Was lag mir daran, wenn Andere litten, kämpften, starben? Warum sollten sie glücklicher sein als ich? Und Sterben schien mir kein Uebel. Ich sah im Tode das Ende alles Schmerzes, aller Leidenschaft, alles Unheils.

„Du hältst das Mittel, das dich von allem Weh befreit, das dich schmerzlos aus diesem elenden Leben führt, in den Händen,“ sprach ich zu mir. Der Gedanke, mich dieses Mittels zu bedienen, ward immer lebendiger. Schon reifte der Entschluß, als mich plötzlich eine feige Angst erfaßte. „Aber wie?“ frug ich schaudernd, „wenn diese italienischen Worte hier, die einen sanften, schmerzlosen Tod verheißen, lügen? Wenn dennoch Kämpfe, Qualen die Pforte des Todes umlagerten? Wenn ich unter schmerzvollem Sturme mein Leben endigen müßte?“ Eine erbärmliche Todesfurcht bemächtigte sich meiner. Hierzu gesellte sich ein anderer Gedanke: „Du bist noch so jung,“ flüsterte es in mir, „dein Geschick kann sich plötzlich wenden; ein reiches Leben kann sich dir noch erschließen. Wenn du jetzt stirbst, hast du nur des Lebens Elend gekostet, nicht seinen Hochgenuß, die Freiheit und die Liebe. Wäre es nicht möglich, daß Neuhaus bald stürbe? Er kränkelt schon lange. – – – “ Es giebt in jedem Menschenherzen eine geheime dunkle Stelle, wo eine giftige Schlange schlummert; ein einziger Gedanke, ein Wort kann sie aufwecken – es muß aber das rechte Zauberwort sein. Bei mir war es der Name meines Gatten. Ein Blitz durchzuckte mein Innerstes, es war der Gedanke: Dein Gatte muß sterben! Ich fühlte keine Reue über diesen schändlichen Vorsatz – im Gegentheil, mir wurde auf einmal leicht und wohl, wie Jemandem, der nach langem, langem Schwanken einen unwiderruflichen Entschluß gefaßt hat. Sorgfältig verschloß ich das Kästchen und nahm es mit nach unserm Gute. Niemand hätte meinen jetzt so ruhigen, leidenschaftlosen Zügen angesehen, über welcher That ich brütete. Vierzehn Tage nach unserer Ankunft auf dem Gute machte ich einen Versuch mit dem Pulver an meinem sprechenden Papagei. Der Vogel war mir lieb gewesen, und jetzt noch nach langen Jahren schaudere ich zurück vor der empörenden Rohheit, mit welcher ich das arme Thier opferte. Kurze Zeit nach Genuß des Giftes wurde der arme Pierre betäubt, taumelte in seinem Käfig wie ein Trunkener und starb nach einer Stunde. Schon ganz matt blickte er noch wehmüthig auf mich und mit einem schnarrenden: gute Nacht, Pierre, gute Nacht, Leonore! erstarrte das treue Thier. Wie konnte ich es nur wagen, den sterbenden Vogel auf meinem Schooße zu liebkosen und über ihn zu weinen? Doch that ich es und es war keine Heuchelei. Ich fühlte eine seltsame Befriedigung, mein Opfer zu beweinen. Aber Reue fühlte ich nicht. O Abgrund der menschlichen Seele!

Laßt mich so schnell als möglich über die dunkelste und verworfenste Zeit meines Lebens weggehen. Sie drückt mir das Kainszeichen auf die Stirn und verweist mich unter die Verworfenen der Menschheit. Fluch jener Zeit! Fluch über mich selber!

Mit einer Vorsicht, Schlauheit und Ueberlegung, die einer Brinvillier Ehre gemacht haben würden, opferte ich das Leben meines Gatten, indem ich langsam und von Zeit zu Zeit seine Speisen vergiftete. Sein allmäliges Hinwelken und Sterben erfolgte ohne alle auffallende und Verdacht erregende Krankheitssymptome. Abzehrung, Traurigkeit, Appetitlosigkeit und beständige Neigung zum Schlaf waren die einzigen Zeichen von der Wirkung des Giftes. Obwohl Neuhaus kein Vertrauen zur Medizin hatte, ließ er doch endlich den Arzt kommen. Dieser verschrieb ein Mittel nach dem andern, ohne die entfernteste Ahnung von der Ursache der Krankheit zu haben. Wer hätte auch so etwas ahnen sollen!

Nach einigen Wochen fühlte Neuhaus sein herannahendes Ende. Er ordnete seine Angelegenheiten und bedachte mich reichlich in seinem Testamente. Kalt und ruhig sah ich die Stunde herannahen, wo sein Lehen erlöschen mußte wie die Lampe, der es an Oel gebricht. Ich war erstarkt und vorgeschritten im Bösen; ja es kam mir zuweilen vor, als zucke meine Hand mit geheimer Lust, wenn ich eine neue Dosis Gift in die Speisen mischte. Es gab wieder Augenblicke, wo ich vor mir selbst zurückschauderte; aber eine geheime unwiderstehliche Macht trieb mich weiter auf dem Pfade der Sünde.

Neuhaus war in der letzten Zeit seines Lebens viel sanfter gegen mich geworden; wahrscheinlich weil ihm die Sorgsamkeit und Geduld, mit welcher ich die Rolle seiner Pflegerin spielte, rührte. Am dreißigsten November starb er. Nachdem mir der Arzt vertraut, der Kranke werde die Nacht nicht überleben, ging er. Ich blieb mit dem Sterbenden allein. Still wie ein Marmorbild saß ich neben dem halb Bewußtlosen und trocknete den kalten Schweiß von seiner Stirn. Ja, die Mörderin erfrechte sich, ihrem Opfer die letzten Liebesdienste zu erweisen. Mir war die Ruhe, mit welcher ich des Sterbenden Pulsschläge zählte, selbst unheimlich und entsetzlich. Warum weinte ich nicht? Warum fühlte ich keine Reue? – Plötzlich schlug der Sterbende noch einmal die trüben eingesunkenen Augen auf; er richtete sich mit seltsamer Kraft etwas empor, starrte mich mit einem unbeschreiblich schrecklichen Ausdrucke, der mein Haar sträuben machte, an und murmelte: „Leonore, ich weiß es!“ – Es waren seine letzten Worte. Wenige Augenblicke später war er eine Leiche.

Was war es, das mein Blut erstarren machte? Was bannte mich an den Sessel neben dem Todten und ließ mich ihn starren Blicks, mit krampfhaft gefalteten Händen anschauen? Erkenntniß und Reue meines Verbrechens war es nicht. Es war ein gewaltiges Entsetzen, das über mich kam. Warum sagte Neuhaus, bevor er starb: Leonore, ich weiß es! In diesen drei Worten lag so Geheimes, Schreckliches. Und doch konnte er nicht ahnen, nicht wissen, wie und durch wen er starb. Unbefangen hatte er ja bis zuletzt Speise und Arznei aus meiner Hand genommen. Oeffnete vielleicht die Nähe des Todes sein Auge zu höherem Wissen, und ließ ihn in den Tiefen meines Herzens lesen? O, dieser Glaube war ja mir meinen aufgeklärten Ansichten ganz unverträglich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_455.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2018)