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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 4. 1854.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 1 bis 1 1/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Vergiftet und erschossen.

Eine englische Mordgeschichte ohne Blutvergießen.


„Und der Hochzeitstag ist also wirklich festgesetzt?“

„Festgesetzt auf Lebenszeit in Eisen! Ohne Aussicht auf Gnade und endliche Befreiung!“

„Glücklicher Cranston! So eine ausgesuchte Schönheit! So ein capitaler Schatz!“

„Was sind fünfzehnhundert Pfund jährlich für meinen Tod, meinen Tod, Frank? Begraben ist ein unangenehmer Zufall, der Jedem im Leben passiren kann; aber heirathen. d. h. sich mit Absichtlichkeit selbst lebendig begraben, ist schlimmer, als sich aus Unvorsichtigkeit hängen.“

„Nun Du kommst wenigstens in kein einsames Grab. Dein Grab wird während der Parlamentssitzungen in ihrem Schlosse am Belgrave-Square, dem vornehmsten unter den Londoner Parks, im Herbst und Winter aber in Lincolnshire oder zwischen den Akazien, Statuen und Fontainen der Alameda von Malaga sein.“

„Also drei Särge! Doch was thut der zweite Sohn einen englischen Lords, dito Lieutenant von Ihrer Majestät schweren Dragonern nicht, um sich endlich mit einem Wesen von Rosenduft und junger Sahne in goldener Schüssel zu vereinigen, um gemeinsam mit ihr sauer zu werden, nachdem sie allein seine Schulden bezahlt hat. Ich hatte keine Wahl mehr; die Liebe siegte, denn nur meine Verlobungskarte bewog den Wüthendsten meiner geldhungrigen Shylocks, mir das bestimmte Logis in Queensbeech[1] nicht gewaltsam aufzudrängen.“

„Du bist sehr witzig, Cranston, aber ich denke, Du hast zu viel Witz, als daß Du nicht bessere Stoffe finden solltest, als Deine Braut.“

„Ich räche mich mit den Pfeilen des „Punch“ und „Diogenes“[2] gegen die Amors, womit sie mich verwundet.“

„Ungleiche Waffen! Ein Lordssohn und Vertheidiger des Thrones Ihrer Majestät“ –

„Reize mich nicht, Frank! Bin ich nicht schon lächerlich genug als kaingestempelter Ehemann? Und Du erinnerst an meine Vaterlandsvertheidigung unter lauter Elihu Burrit’schen Friedenstauben und baumwollen gestopften Puppenbälgen von Menschen! Was hatten wir bewaffnet in der Besikabai als unsere Augen? Was sind wir? Opernguker! Farbloses Frauenglas in rothgesottener Krebsfarbe mit russischer[3] fauler Bärenhaut auf dem Kopfe, unsere russenfreundliche, in den Haaren lebendige Gesinnung vor Schnupfen zu schützen!“

„Hast Du keine scharfe Haarbürste, Cranston?“

„Ha! ha! ha! Sehr gut, Frank! Aber was hilft uns die Reinlichkeit auswendig, wenn aus den großen Raupen, die wir im Kopfe hatten, solche sibirische Schmetterlinge ohne Flügel herauskriechen?“

„Das mache mit Aberdeen und Cobdenoffsky ab. Ich wollte Dir nur rathen, Dich in Bezug auf Deine Braut mehr wie ein Gentleman auszudrücken. Miß Sandford ist unsere beiderseitige Verwandte. Was Dir Dein Herz nicht sagt, laß Dir von Deinem Vetter und Freunde rathen.“

„Ah mein Mentor! Meine bessere Hälfte auch von einer andern Seite. Die leibhaftige Kunst, sich in guter Gesellschaft beliebt zu machen.“

„Im Ernste, Karl, Du willst sie wirklich blos Deiner Schulden wegen heirathen?“

„Im Ernste, lieber Cousin, denkst Du wirklich, daß ich mit meinen achtundzwanzig Jahren, meinem Schnurrbarte, meinem Witze und Leichtsinn, der Löwe von ein Dutzend Saisons, expreß so schön aufgewachsen, um die Schönsten vor mir niederfallen zu sehen (denn die Häßlichen bring ich auf, damit sie nicht fallen), daß ich mich mit Miß Sandford gegen alle diese Casus verschließen –“

„Nimm mir’s nicht übel, aber wenn ich bedenke, daß ein Mensch von Deinem Talent und Deiner ehemaligen ehrenhaften Gesinnung, der eine Zierde der guten Gesellschaft hätte werden können, ich meine in moralischer Beziehung –“

O ich merke! Mal still! Laß uns doch sehen, was Sr. Ehrwürden, mein Bischof von London mit 100,000 Pfund jährlich sein könnender Cousin Alles aus mir hätte fabriziren können! Ah! Sonntagsschulen, Versammlungen zur Unterstützung von Missionären im Innern Afrika’s und allgemeine Verdienste um die Menschheit mit jährlich zehn Schillingen für die Lumpenschulen. Nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft in hochkirchlichem Glanze mit weißem Halstuche und baumwollenem Regenschirm. Und was für irdische Freuden neben diesen himmlischen? O, ich weiß! Auserwählte und gebildete, makellose Gesellschaft, ehrwürdige Männer mit einer Reihe von Knöpfen[4], und Damen – oh! – all’ Eure anbetungswürdigen Miß und Missus in blaustrümpfiger

  1. Schuldgefängniß.
  2. Die beiden englischen Witzblätter.
  3. Rothe Uniform und große Pelzmützen.
  4. Quäker.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_035.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)