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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)


Wie so das Kind den Born des Lebens trinkt,
Wankt eine Frau daher, die matten Glieder
In dürft’ge Lumpen eingehüllt, und sinkt
Ohnfern der hohen Dame kraftlos nieder.
Ein Säugling schreit in ihrem Achselbund;
Nach Nahrung stöhnt des armen Weibes Mund,
Dann schließt in Ohnmacht sie die Augenlider.

Rasch eilet auf der edlen Frau Gebot
Die Magd mit Wein die Arme zu erquicken,
Die schlägt die Augen auf und nimmt das Brot
Und deutet nach dem Kind auf ihrem Rücken.
„Weh’ mir! das arme Würmlein unterliegt!
Die Quelle meiner Brust ist heut’ versiegt.“
So stammelt sie mit thränenschweren Blicken.

Die Fürstin reicht den Sohn der Zofe hin
Und leget schnell mit seligem Genügen
An ihre Brust das Kind der Bettlerin,
Das trinkt den süßen Born mit gier’gen Zügen.
O göttliches Gefühl, der Liebe Lohn,
Die ihre Brust entzieht dem eignen Sohn
Und läßt das Kind der Armuth daran liegen!

Viel große Thaten nennt das Weltgericht,
Doch eine schön’re hab’ ich nicht gefunden,
Und eine würd’gere für mein Gedicht.
Das Herz, das solcher Liebe Kraft empfunden,
Ist mehr als eine Fürstenkrone werth,
Das sei mit einem Sternenkranz geehrt,
Den ihm der Dichter ehrfurchtsvoll gewunden!

Ludwig Storch. 


Anmerkung. Sophie Charlotte, regierende Fürstin von Isenburg, eine der edelsten und trefflichsten deutschen Frauen, starb im Jahre 1784 in ihrem 38. Lebensjahre.




machen. Ich habe ihr öffentlich und herzlich ewige Treue geschworen, d. h. Treue meiner Bewunderung, meiner Heiterkeit gegen sie, Treue zu mir selbst in dem Sinne, daß ich mich mit Händen und Füßen gegen den gewöhnlichen Ehemannscharakter wehren würde, der am Kaminfeuer sitzt und der Frau und den Grazien und der Kunst den Rücken zukehrt. Treue geschworen in Gegenwart ihres vortrefflichen Bräutigams, des Majors –“

„Mein Gott, mein Gott, wie thöricht! Wie unsinnig!“

„Alice! Hast Du mir nicht versprochen, Alles, was Du von mir Nachteiliges hörst und Dich beunruhigt, mir ohne Ausnahme bis auf das letzte Jota mitzutheilen, damit keiner der vielen Eheteufel, die jedes Paar zum Altare umschwärmen – “

„Es waren die besten Freundinnen, die es so furchtbar, so wahr darzustellen wußten –“

„Wie alt sind diese holden Damen?“

„O mein Gott, wie verblendet –“

„In der Blüthe der Vierziger, Oberste der Teufel!“

„Und Alles so mütterlich, heimlich, beweisend“

„Niemals verheirathet, scharfe Mundwinkel, spitzige Nasen, geschliffene Zungen, ungeschliffene Tugend, rother Zorn, gelber Neid, blaue Strümpfe, grüne Galle, schwarze Hysterie, weiße Jungfräulichkeit, Gold im Munde, damit die Zähne nicht ausfallen, Silber unter der falschen Tour, englische, hochkirchliche Tugend in Kupfer gestochen, gußeiserne Säulen des Himmels –“

Alice schluchzte jetzt so laut, daß Cranston sich plötzlich unterbrach und die so plötzlich von ihren Leiden Befreite in seine Arme schloß. Da sie jetzt nicht davonlief und auch nicht klingelte, haben auch wir keinen Grund, sie aus diesen Armen herauszureißen und überhaupt keinen anständigen Grund, diesen Dialogen der Arme und Lippen weiter Gehör zu geben.




Dieses tragische Doppel-Ereigniß hielt indessen Freunde und Freundinnen der angeblich Ermordeten nicht ab, schon den folgenden Abend einer Einladung der Offiziere der königlichen Garde zu Pferde zu einer außerordentlichen Privatvorstellung von Dilettanten im Saale des St. James-Theaters zu folgen, um so mehr, da man bei dieser Gelegenheit Näheres über den außerordentlichen Doppelselbstmord zu erfahren hoffte. Die Equipagen rollten zu und ab und dienstbare Geister mit künstlichen Waden unter ihren weißseidenen Strümpfen, unförmlichen Blumensträußen vor der Brust, weißen Halstüchern und puderstarren weißem Haar sprangen herab, öffneten die Thüren, spannten Regenschirme auf und schützten die herausspringenden Schönheiten mit weit vorgehaltenem Arm vor dem Naß von Oben, während kostbare Teppiche sich jedesmal, wie durch einen Zauber von der Thür des Theaters bis an den Wagenschlag rollten, sobald eine andere Schönheit vorfuhr, damit sie mit ihrem überirdischen Fuße nicht den gemeinen Bürgersteig zu betreten brauche.

Oben sah es gar nicht aus, als sollte Theater gespielt werden. Der Saal war ganz gemüthlich zum Essen und Trinken eingerichtet. Man wunderte sich und sprach von ungewöhnlichen Ueberraschungen, die sich denn auch bald in dem Erschossenen und der Vergifteten nebst der erwähnten Schauspielerin vorstellten. Cranston führte beide Damen am Arme, gab Zeichen, daß er sprechen wolle, so daß sich sehr schnell Alles so arrangirte, daß er mit den beiden Damen der ganzen Gesellschaft gegenüberstand.

Not so bad, as we seem[1]“, fing er an, „dies ist das Stück, welches Sie heute in einer sehr abgekürzten freien Travestie anzuhören gebeten werden. Personen: Cranston, ehemals Schuldner und Junggeselle von angenehmem Aeußern und noch angenehmerem Herzen, der Zeit verheirathet. Moralischer Werth: 1500 Pfd. jährlich. Mrs. Cranston. geb. Miß Sandford, vergiftet durch Briefpapier und durch die Zungen einiger tugendhaften Klapperschlangen, vollständig hergestellt durch einen Wunder- und Wundenbalsam, den wir beide gemeinschaftlich erfunden und gehörig rührten, nicht wahr, Alice? Miß R…, erste Liebbaberin am St. James-Theater (mehrere tugendhafte Seufzer in der Gesellschaft) und erste Freundin von Mrs. Cranston (tugendempörtes Schluchzen). Später noch eine andere Person als Bräutigam.“

„Sie erlauben uns wohl die einzelnen Akte nicht vorzuspielen. Es kommt viel Dummes, viel Lächerliches, aber auch viel Trauriges darin vor. Cranston erschießt, Mrs. Cranston vergiftet sich und trotzdem bleibt das Ganze ein Lustspiel, obwohl giftige Zungen und alte Weiber bestens für eine Umwandlung zu einem Trauerspiel gesorgt hatten. In den Zwischenakten aber, hinter den Coulissen ging der rothe Faden der Intrigue verloren, aus dem Trauerspiel formte die Liebe ein Lustspiel. Nur den vierten Act dieses Lustspiels lassen Sie uns vollständig auflösen. Dieser beginnt so eben. Mein Koch soll sehr gut sein und ich bitte die verehrten Herren und Damen, den braven Mann auch als untergeordneten Mitbruder zu ehren und die Früchte seiner erhabenen Kunst mit Appetit und Heiterkeit ihrer Bestimmung entgegen zu führen.“

Cranston drückte dabei sein junges seliglächelndes Weib an sich und führte sie zu Tische. Alles jubelte und lachte und selbst die giftigen Zungen zogen ihre Gesichter in freundliche Falten.


  1. „Nicht so schlecht als wir scheinen“, ein beliebtes Stück von Bulwer, das namentlich oft zum Besten des neuen Unterstützungsfond (mit Dickens in der Hauptrolle) für Schriftsteller privatim aufgeführt ward.




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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_039.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)