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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

zu sagen, ob Gott unser Gebet erhört, oder ob ich ein elender Mensch bleiben soll mein Leben lang!“

„Alice!“ erscholl die rauhe Stimme des Vaters vom Hofe her, und die Liebesleute fuhren auseinander.

Wenige Tage später wanderte François mit einem leichten Bündelchen auf dem Rücken nach dem Pfarrhause, um seinem alten, ehrwürdigen Lehrer Lebewohl zu sagen. Der Greis empfing den Jüngling mit freundlichem Händedruck.

„Du willst also unser stilles Dörfchen verlassen, mein Sohn, um anderswo Dein Glück zu versuchen?“ begann der alte Pfarrer. „Gott möge Dich leiten, daß die fromme Saat, welche ich in Dein reines, unverdorbenes Herz gestreut, nicht untergehe in dem wilden, lasterhaften Treiben der Hauptstadt. Habe immer Gott vor Augen und im Herzen und denke oft der Lehren, die ich Dir gegeben, so wirst Du ein guter Mensch bleiben. Dein kleines Vermögen, es besteht in etwa tausend Franken, werde ich übrigens treulich verwalten.“

„Noch eine Bitte habe ich auf dem Herzen, ehrwürdiger Herr!“ sagte traurig der Jüngling.

„Welche ist es, mein Sohn?“

„Ihr kennt ja meine Liebe zu Alice Meunier, sie ist Ursache, daß ich die Heimath verlasse, um einer ungewissen Zukunft entgegen zu gehen. Uebertragt die väterliche Freundschaft, welche Ihr mir stets gezeigt, auf die arme Alice, seid Ihr ein freundlicher Schützer und Rather, und wenn ich nach drei Jahren nicht wiederkehre, so tröstet das arme Kind,“ schluchzte François[1].

„Wohl kenne ich Deine tugendhafte Neigung,“ lächelte der Greis, „aber bedenke nur, mein Sohn, daß ein Jüngling von zwanzig Jahren sich mit dem Heirathen nicht zu übereilen braucht. Sei fleißig, sparsam und redlich, so wirst Du vielleicht in wenigen Jahren ein kleines Vermögen erworben haben, und trittst Du dann vor Alice’s Vater, so dürfte er eher Deinen Wünschen ein geneigtes Ohr leihen.“

„Aber Bissot, der alte, reiche Pächter, wirbt um Alice’s Hand!“ jammerte der junge Bauer.

„Ich glaube nicht, daß Meunier dem alten Manne seine blutjunge Tochter zum Weibe geben wird,“ tröstete der Pfarrer. „Und nun, François, ziehe mit Gott Deiner Bestimmung entgegen, sei fromm, redlich und fleißig, und möge Gottes Auge stets über Dich wachen!“

Weinend verließ François den ehrwürdigen Pfarrer, und wanderte aus dem traulichen Dörfchen, in dem er so lange glücklich gewesen war. Noch einmal blieb er stehen auf dem Hügel, welcher ihm die letzte Aussicht nach Carillon gewährte und bat Gott in brünstigem Gebete, ihm Alice’s Liebe zu erhalten, dann eilte er rasch auf der Landstraße dahin dem fernen Paris entgegen.

Nach einigen ermüdenden Tagereisen sah François eines Abends die ungeheure Hauptstadt vor sich, und blickte staunend auf das Häusermeer, welches vor ihm ausgebreitet lag. Er setzte sich unter einen kleinen Baum, zog seine Abendmahlzeit hervor und verzehrte sie frohen Herzens, denn das Ziel seiner Reise, die Quelle, aus der sein Glück fließen sollte, lag vor ihm.

„Da wäre ich denn angelangt, gesund und voller Hoffnung,“ rief er, „aber wie werde ich wieder von dannen ziehen? Glücklich und wohlhabend, oder arm und verachtet?“

„Das wird ganz von Dir abhängen, Bursche!“ sagte eine Stimme hinter François[2].

Ueberrascht wandte sich der junge Bauer, und sahe einen langen Mann, der wenige Schritte von ihm im Grase saß und ruhig seine Pfeife rauchte.

„Ihr habt mich belauscht, Herr?“

„Wenigstens habe ich gehört, was Du da vor Dich hinplaudertest,“ antwortete der Mann mit der Pfeife. „Du willst also Dein Glück machen in Paris. Bauer? Da mußt Du es gescheidt anfangen, denn glaube mir, die Stadt ist angefüllt mit den besten Kerlen, die aus gleicher Absicht nach Paris gekommen sind. Hast Du viel Geld mitgebracht?“

„Ich bin ein armer Teufel, Herr, meine ganze Baarschaft besteht in wenigen Franken.“

Der Fremde that einige mächtige Züge aus seiner Pfeife. „Es würde nicht übel für Dich sein, Bursche,“ begann er, „wenn Du einen Freund hättest, der Dich vorerst mit dem Treiben in Paris ein wenig bekannt machte. Ich interessire mich für Dich, Du bist ein hübscher, glatter Junge, und solche sind zu brauchen – vielleicht würde ich mich entschließen, Dich unter meine Leitung und Aufsicht zu nehmen.“

„Gott lohne es Euch, mein Herr, daß Ihr so viel Güte gegen einen armen Burschen hegt, aber wißt, ich habe einen Onkel in Paris, den Portier Brassin im Hotel der Madame Garnier, zu dem will ich, da er mich seiner Herrin als neuen Garçon empfohlen hat.“

„Den findest Du heute nicht mehr auf,“ sagte der Fremde, „ich kann Dir aber für diese Nacht eine Herberge vorschlagen, die ihresgleichen in Paris nicht hat. Du kannst da in lustiger Gesellschaft für ein Billiges leben, so lange es Dir gefällig ist.“

„Ihr seid sehr gütig, Herr!“

„Wenn Du es erlaubst, mein Sohn, so werde ich also in Deiner Begleitung nach der Stadt zurückkehren. Uebrigens erwähne ich noch, daß ich Sergeant Callier bin, ein alter Krieger, der nach der Schlacht bei Jena wegen schwerer Verwundung seinen Abschied nehmen mußte. Doch wird es Zeit, Bursche, daß wir aufbrechen!“

Die Beiden erhoben sich, und gingen nach der Stadt; der überglückliche François aber hielt es für ein höchst günstiges Zeichen, daß bei seinem Einzuge in dieselbe er schon einen Freund gefunden, der ihn mit Rath und That zu unterstützen versprochen hatte. Unterweges erzählte er daher dem alten Krieger alle die kleinen Leiden und Freuden seines Lebens, und verschwieg ihm auch seine Liebe zu Alice nicht.

„Das ist dummes Zeug,“ sagte der alte Soldat. „Ich wette, ehe Du einen Monat in der Stadt bist, hast Du das Dorfgänschen vergessen und küssest eine glatte Pariserin mit Locken und Federhut, o ich kenne das!“

„Was glaubt Ihr, Sergeant Callier?“ rief erröthend der Jüngling. „In meinem Leben wird es mir nicht einfallen, ein anderes Mädchen zu lieben als Alice Meunier!“

„Schon gut, Junge, aber jetzt laß uns links abschwenken, da kommen wir in die Straße Poissonniere, und nicht weit davon ist das Hotel meiner Freundin, der Madame Mabel, wo Du eine heitere, angenehme Gesellschaft kennen lernen sollst. Uebrigens rathe ich Dir, François, in Paris Dich über nichts zu wundern, oder Dein Erstaunen offen zu zeigen, sonst erkennt man in Dir sofort den unwissenden Bauer, und lacht Dich aus. Die Leute in großen Städten sind nun einmal anderen Schlages als Ihr beschränkten Landleute – und – vergiß ja diesen Rath nicht, mein Sohn, – wer unter Wölfen lebt, muß mit ihnen heulen!“

Der Sergeant war jetzt mit seinem jungen Begleiter in einer schmalen Gasse angelangt, deren unreinliche, baufällige Häuser von einem übelriechenden Dampfe umzogen waren, der aus den Fenstern und Essen verschiedener Garküchen hervordrang. Vor einer solchen blieb Callier stehen, und zog seinen Schützling hinter sich her auf die dunkle Hausflur. Stolpernd und um sich tappend erreichte das Paar endlich einen Hof, so klein, daß er zwischen den Gebäuden wie eine schmale Röhre sich hinaufzog, und von hier aus schob der Sergeant den Jüngling einige Stufen hinab in ein ziemlich großes Zimmer, welches durch das Licht einer Thranlampe matt erhellt war.

„Guten Abend, Mutter Mabel! Gebt mir ein Glas Genever und diesem kleinen Gelbschnabel hier auch eins, damit wir miteinander auf unsere glückliche Ankunft in Paris anstoßen können,“ rief der Sergeant einem alten, scheußlichen Weibe zu, die neben dem Kamine auf einem Bänkchen hockte.

„Was habt Ihr denn da für ein Bürschchen gefangen, Sergeant?“ erwiederte die Alte, indem sie aus einer großen steinernen Flasche den verlangten Branntwein in die Gläser goß.

„Es ist ein Bauernkind aus der Provinz, das seine Studien in Paris machen will. Mein Freund François wird einige Tage hier wohnen, Mutter Mabel, und ich hoffe, der junge Mann soll den vorzüglichen Ruf, welchen Euer Hotel in Paris genießt, vollständig gerechtfertigt finden.“

„Gewiß, Sergeant, er soll zufrieden sein! Nehmt Platz, meine Herren, und Ihr, junger Mann, mögt zur Aufbewahrung mir Euer Reisebündel übergeben.“

Der arglose François übergab seine Habseligkeiten der Mutter Mabel, die sich damit entfernte und bald darauf mit einigen Männern zurückkehrte, die den Sergeanten mit frohem Jubel begrüßten. wie einen Freund, der nach langer Abwesenheit wieder in den Kreis der Seinigen zurückkehrt. Der Sergeant warf ein Fünffrankenstück in Mabel’s Schoos und befahl ihr, die große Steinflasche


  1. WS: Vorlage: Francois
  2. WS: Vorlage: Francois
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_068.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)