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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

weiße Glacé-Handschuhe und Batist-Schnupftücher, von denen unsere Großmütter nichts wußten, gehören zu Nothwendigkeiten des Lebens. – Fällt es nun einem Manne ein, einen Hausstand zu gründen unter Bedingungen, wie es sein Großvater ohne Bedenken gethan, so steht ihm häusliches Elend bevor, wo jener im Wohlstand lebte. Denn wie könnte es auch anders sein, da die Einnahme ja nur dieselbe geblieben ist, während alle Ausgaben sich verdoppelt haben. Ersparnisse, die unsere Großmütter weise in Anwendung brachten, können wir von unsern talentvollen jungen Damen nicht erwarten. Die Wäsche, die in den Haushaltungen nach altem Schnitte, von der Mutter und den Töchtern geplättet wurde, wird fremden Händen übergeben; denn den Dunst ertragen die Nerven unserer heutigen Damenwelt nicht. Ihre Kleider selbst zu machen, haben sie nicht gelernt, dazu wird eine Nähterin gehalten. Die feinen Hemden des Hausherrn werden in einem Laden gekauft, während es der Stolz unserer Mütter war, dieselben mit eigener Hand recht sauber anzufertigen, und wie sorgsam mußte dann in der Wäsche damit verfahren werden! Die Kinder werden von einer Dienerin angekleidet und spazieren geführt, wobei sie rohe Sitten und eine schlechte Sprache lernen; die Mutter aber konnte selbst diese Pflicht nicht übernehmen. Auch ihre Talente, das Einzige, was die Erziehung ihr gab, sucht sie nicht zu verwerthen; denn die Musik ist nach und nach liegen geblieben, die Sprachen hat sie vergessen und aus Liebe zu ihren Kindern kann sie nun nicht wieder rückwärts lernen.

Jahre vergehen, der Schmuck der ersten Jugend ist dahin, und dieselbe Frau, die wir als Mädchen talentvoll nannten, erscheint uns jetzt entsetzlich langweilig, und nur geeignet, mit Klatschereien und fadem Geschwätz die Stunden auszufüllen, die sie ihrem Vergnügen widmen will. Ihr Geist hat keine Nahrung gesucht, weil ihre Erziehung ihr kein Bedürfniß der Art eingeflößt, und aus Langeweile suchte sie mitunter ein Buch, das aber nur ein Liebesroman sein durfte, der ihr nichts zu denken gab. Unter der Leitung einer solchen Mutter wächst nun eine neue Generation empor.

Ein anderer schwarzer Punkt in diesem häuslichen Bilde ist noch die Armuth, die hier verborgen mit giftigem Zahne tödtet. Der Schein soll gerettet werden, man hat eine Position in der Welt zu vertreten. So wird der Entschluß gefaßt, heimlich zu entbehren, und was man sich auf diese Art versagt, das zehrt am Lebensblute. Die Ausgaben für den Tisch werden beschränkt, die Kinder erhalten die angemessene Nahrung nicht, gutes kräftiges Fleisch wird selten gereicht, und lebenslängliches Siechthum ist oft Folge dieser traurigen Oekonomie. An ein frisches fröhliches Gedeihen des physischen Menschen ist dabei nicht zu denken, und der moralische gewinnt wahrlich ebenso wenig. Diese Kargheit in Allem, dies ewige Rechnen und Berechnen thut der jungen Seele so weh, es beugt sie und erdrückt sie. Einen Freund mit heimführen, damit er am Tische der Familie mit genieße, was es giebt, das darf der Sohn nie wagen; denn es soll ja ein heiliges Geheimniß bleiben, was man hier vorgesetzt findet. An eine Handlung des Wohlwollens der Menschenliebe, darf nicht gedacht werden, es sei denn, daß der Schein sie fordere.

Die Töchter wollen auf einen Ball gehen, und haben keine Kleider. Sie sticken heimlich für einen Laden, und benutzen den Ertrag, um dafür den bunten Flitter zu erstehen, mit dem sie in der Gesellschaft glänzen wollen. Wüßte dort Jemand, wie sie diesen Putz erworben, sie würden vor Scham in die Erde sinken; aber man weiß es nicht, und so tanzen sie mit dieser Lüge im Herzen der Welt einen Cotillon vor. Vielleicht fällt es einem jungen Manne gerade heute ein, sich zu verlieben und seine Hand zu bieten; wie kann das Mädchen da anders handeln, als froh die Gelegenheit ergreifen, die sie dem Aelternhause entführt, wo sie gleichsam eine Last ist. Gottlob, ein eigener Herd! seufzt sie, und findet an demselben die ganze Kette von stillen Sorgen wieder, die sie zurückzulassen begehrte. Dies sind die Folgen unserer heutigen Mädchenerziehung.

Wer nicht in sich schaut, der schaut auch nicht um sich, der übersieht den Kreis seiner nächsten Pflichten nicht, und ermangelt des Muthes, um sie mit starkem Willen zu erfüllen.




Blätter und Blüthen.

Eine Tigerjagd in den Certoes. In seiner Reise durch Brasilien erzählt der bekannte Reisende Weechs: An der Grenze von Minas-Geraes beginnt ein ungeheurer Landstrich, welcher eben nur mit Gras bedeckt, manchmal wieder mit Gebüsch überzogen, beinahe noch ganz unangebaut und so wenig bevölkert ist, daß man Tage lang reisen kann, ohne auch nur die Spur einer menschlichen Wohnung zu entdecken. In der Landessprache werden diese Gegenden Certoes genannt, und dort allein findet man dieselben großen Heerden, welche in den Pampas von Buenos Ayres den Reichthum der Einwohner ausmachen. Aus diesen Certoes stammte mein Vater, und als ich mein achtzehntes Jahr erreicht hatte, beschloß er, mich zu seinen Verwandten zu schicken; ich bekam einen treuen Neger und ein gutes Pferd mit, und langte wohlbebalten und freudig empfangen bei dem Bruder meines Vaters an. Nachdem ich gehörig ausgerastet hatte, gesellten sich die zwei ältesten Söhne des Hauses zu mir und erboten sich, mir ihres Vaters Heerde zu zeigen; ich wurde in ein Zimmer geführt, bekam Hose, Weste, Jacke und Hut, von Sohlleder verfertigt, ein frisches kräftiges Pferd und eine lange, mit einer Spitze versehene Varra oder Lanze in die Hand, und nun ging’s über die Ebene weg, was die Pferde laufen konnten. Bei dieser Gelegenheit gaben mir meine Vettern eine Menge Beweise ihrer Reitkunst, welche an Tollkühnheit gränzten, ich war oft nicht im Stande, ihnen zu folgen, und als wir dichtes Gebüsch erreichten, verlor ich sie gänzlich aus den Augen; kaum bemerkte dies mein Pferd, als es den Kopf zwischen die Beine nahm, in wüthendem Galopp mit mir in das Dickicht stürzte und, alle Hindernisse besiegend, mit mir fortrannte. Ich blieb mechanisch auf dem Pferde sitzen; anfangs bemüht es aufzuhalten, oder es auf eine bessere Bahn zu leiten; aber jede Anstrengung war vergebens. In dem Gebüsche angekommen, fühlte ich nur den Widerstand, welchen Zweige und die Stacheln der Dornhecken der reißenden Gewalt, mit welcher mein Pferd zwischen ihnen durchsetzte, leisteten; ich war allein bedacht, mein Gesicht zu schützen, übrigens vollkommen überzeugt, meine Kleider und einen Theil meiner Haut bei diesem verwünschten Ritte zu verlieren. Ich besinne mich nicht mehr, wie lange das Rasen meines Pferdes dauerte, ich fühlte nur, daß es plötzlich stille hielt, und als ich die Hände vom Gesicht brachte und ganz verwirrt um mich sah, erblickte ich meine beiden Vettern, welche sich vor Lachen die Seiten hielten. So roh sie übrigens waren, so bemerkten sie doch, daß meine Erschöpfung zu groß war, um mit Anstrengung weiter zu reiten; wir setzten daher den Weg langsam fort, bis wir einen Theil der Heerde erreichten. Es befanden sich auf dieser Stelle 12,000 Stück Hornvieh auf einem Umkreise von einer halben Stunde weidend, großes, prächtiges Vieh, und der kleinste Theil von dem Eigenthume meines Oheims, der 40,000 Stück des schönsten Hornviehes und 10 Quadratlegoas unbestrittenes Land besaß. Mehrere berittene Schwarze, ebenso wie wir gekleidet, mit einer Varra bewaffnet und mit einem Lasso (Fangschlinge) versehen, hüteten die Heerde. Während dieser Zeit konnte ich nicht unterlassen, mich zu besehen und zu betasten, und zu meinem Erstaunen war ich nicht im Geringsten beschädigt und sah nun die Zweckmäßigkeit der schweren ledernen Kleidung vollkommen ein; dadurch kühn gemacht, forderte ich meine Vettern selbst zu einem rascheren Ritte auf, und wir legten eine beträchtliche Strecke Weges zurück, als wir plötzlich auf einen halberwachsenen Ochsen stießen, welcher zerrissen und zum Theile aufgezehrt an dem Rande eines Dickichts lag. Meine Vettern baten mich zu warten, sprengten in das Gebüsch und kamen bald darauf wieder zurück. Sie beklagten sich sehr über den Schaden, den sie durch die Raubgier eines großen Tigers leiden mußten, dem sie schon lange vergebens auf der Spur wären, versicherten mich jedoch, daß er ihnen nicht mehr lange entgeben könnte, und daß sie zuversichtlich hofften, mir vor meiner Abreise noch das Vergnügen einer Tigerjagd zu verschaffen. Als wir vor der Wohnung ankamen, wurde ich einstimmig befragt, wo ich meine Varra gelassen hätte, und es blieb mir nichts übrig, als mein Abenteuer zu erzählen, und mich tüchtig auslachen zu lassen. Da ich übrigens seit meiner zartesten Jugend mich geübt hatte, so reichten wenige Tage hin, und ich blieb hinter dem besten Reiter der Certoes nicht mehr zurück, und brachte jedesmal meine Varra mit nach Hause. Die Lebensweise auf dem Gute meiner Verwandten war mir ebenso auffallend; wir hatten beinahe keine andere Nahrung als Fleisch, und nur, wenn mein Oheim oder einer seiner Söhne von Babla zurückkamen, wohin sie im Jahre zweimal einige tausend Stück Hornvieh zum Verkaufe trieben, brachten sie Salz, Manoio-Mehl, Wein und Branntwein mit sich; war der Vorrath aufgezehrt, so lebten sie wieder allein vom Fleische; die Jäger erhielten nie etwas Anderes. Eben so wenig sah mein Oheim jemals Leute bei sich oder besuchte seine Nachbarn, und nur zwei- bis dreimal im Jahre ritt er mit seiner Familie nach einem Kirchspiele, welches dreißig Stunden von seiner Wohnung entfernt war.

Am achten Tage meines Aufenthaltes und im Augenblicke, als wir die gewöhnliche Mahlzeit einnehmen wollten, sprengte ein Sklave vor das Haus und kündigte uns an, daß soeben ein gewaltiger Tiger sich in der Nähe der Heerde gezeigt habe. Wir sprangen alle vom Boden auf, und selbst mein alter Oheim warf sich auf eines der schnell gesattelten Pferde: die Söhne brachten sechs gekoppelte Hunde herbei, und nun ging es im raschesten Laufe der beschriebenen Stelle zu. Die Hunde wurden losgelassen, und wenige Augenblicke darauf hatten sie die Spur des Tigers aufgefunden. Einer der Söhne stürzte in’s Dickicht, und das Geheul der Hunde verrieth, daß sie sich bereits im Kampfe mit dem Raubthiere befanden. Ihre

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