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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

unter diesen halbwilden Schwarzen giebt es schlechte Subjecte die Alles fähig sind. Nachdem Jedermann die Sclaven, die ihm tauglich, ausgesucht hatte, beschäftigte sich die Schiffsmannschaft damit, den Schiffsraum zu reinigen. Man brachte Vorrath an Bord; die Kähne nahmen an der Mündung eines Baches frisches Wasser ein und am andern Tage, nachdem die gekauften Sclaven wahrend der Nacht in’s Innere abgeführt worden waren, war keine Spur von der Landung mehr zu sehen. Das vor der Insel stationirte Kriegsschiff lavirte am frühen Morgen; aber die Goelette befand sich gerade auf demselben Punkte, wo wir sie am Tage vorher bemerkt hatten, nur mit dem Unterschiede, daß sie sich der afrikanischen Küste zuwendete, um von Neuem ein Sclavengeschäft zu versuchen.

„Die Kanonen, die in verschiedenen Quartieren der Insel abgefeuert wurden, hallten um uns wie ein fernes Gewitter; ein leichter Wind, der aus der Ebene und den Schluchten kam, brachte uns murmelnd den Geruch der Gewürznelken, vermengt mit den lieblichen Waldesdüften. Die kleinen Lianen, die sich von den Wänden der Grotte losrangen, zitterten sanft; es war der laue Athem der tropischen Nächte, der auf dieser Höhe sich in einen frischen scharfen Wind verwandelte.“

„Eine derartige Nacht bietet in der That das Bild der Ruhe dar,“ sagte der Doctor, indem er den Blättervorhang wegschob. „Sehen Sie wie die schönen Gestirne der mittäglichen Halbkugel im Süden funkeln! Bewundern Sie nicht die wohlthätige Natur, die aus dem Busen des Oceans diese anmuthige fruchtbare Insel hervorgehen ließ?“

„Nicht wahr, meine Herren,“ bemerkte Moritz lebhaft, „nicht wahr, unsere Insel ist ein kleines Kleinod? Mit ihren Gebirgen und Schluchten, mit ihren Pflanzungen und Wäldern, mit ihren Vulkanen und Flüssen erscheint sie dreimal größer als sie wirklich ist, und nur wenige Einwohner kennen sie in allen ihren Winkeln und Krümmungen. Gegen das Meer zu ist sie drohend: sie braucht viele Felsen, um sich gegen die Wogen zu vertheidigen, die ohne Unterlaß an sie schlagen: aber je weiter man sich vom Strande entfernt, je lachender, grüner und frischer wird sie durch die Ströme, bis man zu jenen großen kahlen Bergen gelangt, wo sich deren Quellen verbergen. Dadurch hält sie auch im Sommer die großen Gewölke fest, die sonst nutzlos in den Ocean fallen würden. Die Schwarzen, die man von der afrikanischen Küste hieherbrachte, hätten sich überglücklich fühlen sollen, daß man sie auf unsere Insel führte; ohnedem waren es meistens Kriegsgefangene, deren Loos es war, vom Sieger verzehrt zu werden. Jene von Madagaskar mußten den Tod durch Zagniewürfe[1] erwarten, weil das dort die herkömmliche Art ist, sich der Gefangenen, die sie nicht verkaufen können, zu entledigen. War es nicht besser Zuckerrohr zu pflanzen und Kaffeebohnen zu pflücken? Nun, es war sehr schwer, ihnen das begreiflich zu machen! Es gab welche unter ihnen die, kaum gelandet, schnurstraks in’s Gebirge liefen; aber nach einigen Tagen fand man sie sterbend vor Hunger, wie Hasen zusammengekauert in den Gebüschen, oder sie ließen sich auch wohl an den Rand eines Abgrunds treiben, von wo sie nun nicht anders entrinnen konnten, als daß sie mit dem Kopf voran sich in den Abgrund stürzten. Andere blieben am Fuße eines Baumes gelehnt, die Augen auf’s Meer gerichtet und verweigerten Nahrung anzunehmen, indem sie, unempfindlich für Schläge, auf Drohungen nichts erwiederten; nach und nach sah man sie ermatten, ein fieberhaftes Zittern schlug ihre Knie aneinander und sie starben aus Sehnsucht nach einem Lande, wo sie nicht mehr leben durften. Wie trostlos, kräftige Männer und Weiber in der Blüthe ihres Alters da erlöschen zu sehen, wie Bäume die von der Sonne getödtet werden, ohne ihrem Herrn, der sie so theuer bezahlte, nur einen Sou eingebracht zu haben.

„Der Malgache, den wir eben gekauft hatten, schien keineswegs von dieser schrecklichen Krankheit ergriffen zu sein; es war ein munterer thätiger Bursche, der bald die Hacke mit einer gewissen Geschicklichkeit zu handhaben verstand. Wir behandelten ihn gut, weil man bei diesem Geschlechte schlecht fährt, wenn man sich zu streng zeigt. Wenn er damit beschäftigt war, Piroguen auszuhöhlen, die wir nach St. Pierre verkaufen wollten, sah ich ihm zu und half ihm sogar manchmal: er schnitt mir kleine Schiffe, die ich auf dem Flusse schwimmen ließ, indem ich Federn anstatt der Segel darauf setzte. Ich gewann ihn lieb, aber mein Vater war mißtrauisch gegen ihn; eines Tages sagte er zu mir: Dein Malgache wird uns einen Streich spielen: ich mag sein Gesicht nicht, er ähnelt zu sehr Guinola! – Guinola war ein Schwarzer aus Madagaskar, der seit langer Zeit verschwunden war. Die Einen behaupteten, daß er in den Bergen umgekommen sei. Andere versicherten, daß er die Banden der Flüchtigen leite, deren Zahl sich, trotz der Treibjagden, die man häufig gegen sie veranstaltete, nicht verminderte.“




II.

„Um jene Zeit, meine Herren,“ fuhr Moritz fort, „wäre es mit einiger Gefahr verbunden gewesen durch die Gehölze zu laufen, wie wir jetzt thun, um Pflanzen zu sammeln. Die flüchtigen Neger hatten die Höhen besetzt, die man hier die Ebenen nennt: das sind mehr oder minder hohe Plateaus, die zwischen den Bergspitzen versteckt sind; zusammenhängende Räume von Schluchten beschützt und mit abschüssigen Abgründen umgeben, die den Gräben einer Citadelle gleichen. Es war nicht unmöglich bis zu diesen abgelegenen Gegenden vorzudringen, wenn man den Flußbetten entlang emporstieg; aber außerdem daß dieser Weg während der Regenzeit ungangbar ist, so gestatten die entwurzelten Bäume, die vom Gewässer fortgerissenen Felsen, die Schlinggewächse, die auf beiden Seiten herabhängen und die dornigten Pflanzen, die die Ufer der Schlucht umkleiden, nicht leicht einem bewaffneten Manne diese befestigten Plätze flink zu stürmen. Man wußte so ungefähr, wo die flüchtigen Neger nisteten; manchmal brannten da oben ihre Feuer wie Sterne, denn sie litten an Kälte. Wenn der Hunger sie drängte, so kamen sie in finsterer Nacht mit Ungestüm in die Thäler, plünderten die Gärten und verbrannten und vernichteten in einigen Stunden die Ernte eines Jahres; der Lärm verbreitete sich rasch, man waffnete sich, aber wohin laufen? Die Plünderer rieben sich mit Kokosnußöl ein und entwischten der Hand, die sie ergriff, und wenn man vom ersten Momente der Ueberraschung zur Besinnung kam, waren die Räuber in weiter Ferne: sie hatten Zeit gehabt sich an sichere Orte zu begeben und ihre Beute dahin zu schaffen. Hie und da verbreiteten sie sich vereinzelt durch die Pflanzungen, nahmen ihre Weiber und Freunde mit sich und am Morgen fand der Pflanzer das Haus leer. Für manche Schwarze ist es ein Bedürfniß herumzustreichen; man fängt sie, fesselt sie, man läßt sie die Kugel schleppen, und am Tage, wo die Züchtigung aufhört, entlaufen sie von Neuem, so daß sie ihr Leben mit Abbüßung des Vergehens und mit dem Begehen desselben verbringen.“

„Und man ermüdet nicht sie so strenge dafür zu bestrafen, daß sie mit aller Gewalt frei sein wollen?“ fragte ich den Creolen.

„Menschenfreundliche Herren verzichten manchmal darauf sie selbst zu züchtigen,“ erwiederte Moritz; „sie schicken ihre Sclaven zur Arbeit in den Hafen und dort verfährt man ein wenig hart mit ihnen; das sind jene, die Sie gesehen haben können …“

„Nein Freund, unterbrach der Doctor, „erinnern Sie mich nicht an die betrübenden Scenen, die des Fremden Auge verletzen, wenn er an Euerer Insel landet. Wenn Ihr die Sklaverei so mißbraucht, so beschleunigt Ihr den Tag der Emancipation.“

„Ah! ja, die Freiheit, schön Dank, wie die Schwarzen auf Isle-de-France sagen,“ rief Moritz. „Wozu nützte es denn, frage ich Sie, weiß zu sein? Wenn dies jemals geschieht, werde ich ein Flüchtiger, ich verlasse das Dorf, ich desertire von der Miliz! Wenn man nicht zu viel auf die Vergnügungen der Gesellschaft giebt, kann man sein Leben in den Bergen ruhig zubringen. Es giebt entflohene Sclaven, die schon mehr als zwanzig Jahre dort gelebt haben, und während die Bevölkerung, je nach den Zufällen des Krieges, bald englisch, bald französisch war, hörten jene, die von allem dem nichts wußten, nicht auf, Kaffern oder Malgachen zu sein. Man dachte damals nicht daran, sie zu beunruhigen und sie sehen mit gleichgültigen Augen von der Höhe der Berge zu, wie sich ihre alten Herren am Strande schlugen, ohne sich für eine Partei zu erklären, wie Leute die nichts zu gewinnen oder zu verlieren hatten.

(Fortsetzung folgt.)





  1. Wurfspieß der Mohren.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_146.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2020)