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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

indessen still daheim, freuete sich an ihrem Kinde, und arbeitete unablässig für das Haus und die große Familie. Die im Orte üblichen Kaffee’s der Damen machte sie nie mit, so oft ihre Nachbarin sie auch dazu veranlassen wollte. Sie fand ganz einfach kein Vergnügen daran. Durch ihre Verhältnisse auf ein ernstes Leben hingewiesen, hatte sie nie das Bedürfniß gefühlt, die Zeit durch leeres Geplauder zu tödten; stand ihr eine Stunde zu Gebote, so benutzte sie sie gerne, um ein gutes Buch zu lesen, und dieses Geschmackes halber hatte man sie im Orte lange mit dem Beinamen der „Gelehrten“ bezeichnet. Als Frau, meinte man, würde sie davon zurückkommen; das alternde Mädchen hatte sich dadurch nur hervorthun wollen; aber man irrte. Auguste Liebig lebte jetzt im Gegentheile noch weit eingezogener, denn sie bedurfte der Menschen um so weniger, je mehr ihr Herz ausgefüllt war.

Ihr kleiner Sohn wuchs nun heran und sollte von ihr seinen ersten Unterricht erhalten. Sie trat eines Morgens bei ihrer Nachbarin ein und fragte diese, oh sie nichts dagegen habe, wenn Leonie die Stunden theile?

„Gewiß nicht!“ versetzte die Frau Pastorin erstaunt. „Ich begreife nur nicht, meine Liebe, woher Sie die Zeit nehmen wollen? – Sie haben einen so großen Haushalt zu besorgen, daß eine Frau, meiner Meinung nach hinreichende Beschäftigung darin finden müßte.“

„Freilich wohl!“ versetzte Auguste Liebig sanft; „wer nicht, wie ich, sein ganzes Leben hindurch genöthigt gewesen ist, gleichsam mit der Uhr in der Hand seinen Tag zu verleben, der würde die Zeit nicht ausreichend finden. Durch die Gewohnheit, keine Minute zu verlieren, mache ich es allein möglich, und mein Stundenplan ist schon entworfen.“

„Aber mein Gott, liebe Frau Präpositus, haben Sie denn geheirathet, um sich so fortzuplagen? Ich würde es mir, in Ihrer Stelle, jetzt etwas leichter machen. Das kann man als Frau wenigstens davon haben.“

„Ich halte es für meine Pflicht, so viel zu leisten, als in meinen Kräften steht. Ich war ein armen Mädchen und habe Liebig nichts mitgebracht, als meinen Kopf und meine Hände, die müssen nun auch als Kapital verwerthet werden. – Bei so vielen Kindern und einer kleinen Einnahme ist die sorgsamste Eintheilung nöthig.“

„Auf die Art haben Sie aber nichts von Ihrem Leben. – Ihre Schule machte Ihnen am Ende noch weniger Sorgen, dächte ich, und eine Frau allein hilft sich immer leichter durch.“

„Meine Sorgen werden reichlich aufgewogen durch mein Kind,“ sagte Auguste Liebig mit einer Thräne im Auge, die ihr die tiefe Empfindung des Glückes auspreßte; „und dann ist es mir eine solche Herzensfreude, dem Vater desselben sein Leben recht, recht behaglich zu machen, alle seine Wünsche zu errathen und zu fühlen, daß ich ihm vergelte, was er an mir gethan.“

„Sie sind wirklich seltsam, die Sache so hoch aufzunehmen! Ich habe auch kein Vermögen gehabt; darum fällt es mir aber nie ein, zu denken, daß ich meinem Gatten Dank schuldig bin.“

„Das ist mit Ihnen ein Anderes. Sie waren so viel jünger und konnten auf Neigung Anspruch machen. Die Liebe gleicht dann Alles aus, das begreife ich wohl.“

„Wie romantisch Sie sind, liebe Frau Präpositus! – Wenn man Sie sprechen hört, sollte man meinen, es rede ein Mädchen von achtzehn Jahren.“

Auguste lächelte. „Vielleicht, weil ich meinen Empfindungen Worte leihe, weil ich ausspreche, was mir das Herz bewegt, während Sie Alles in sich verschließen.“

„Behüte! Das sollte mir noch fehlen? Aber mich bewegt nichts. Woher sollte das auch kommen? Mein Mann ißt, trinkt, schläft, und ein Tag gleicht dem andern. Hätte man nicht mitunter eine Partie Whist, so wäre die Zeit ewig.“

„Und mir reicht sie nie aus. So verschieden geht es uns.“

„Ja, weil Sie immer arbeiten wollen, und dazu fühle ich mich nicht berufen. Ich möchte meiner Leonie nicht das Lesen lehren, Sie könnten mir bieten, was Sie wollen.“

„Und ich bin so glücklich, daß mein theures Kind nur Alles durch mich und von mir erhalten soll, daß ich jetzt schon bedaure, kein Latein zu verstehen, und ihn später doch den Händen, eines Lehrers übergeben zu müssen. Dafür aber soll er den Vortheil haben, Talente auszubilden, was andern Knaben so oft abgeht, weil es den Aeltern zu kostbar wird und auch, weil sie die Mühe scheuen, dem Kinde die Lust dazu einzuflößen, denn das erfordert sorgsame Pflege. In Bezug auf dies theure Kind kömmt mir nun die Vorschule meines Lehreramtes zu statten. Nur möchte ich jetzt Alles noch viel besser wissen und verstehen, um es ihm so recht gründlich lehren zu können.“

„Gütiger Himmel! Sie werden ja ein wahres Wunder aus ihm machen! – Und wenn meine Leonie das theilen soll, so können wir uns glücklich schätzen.“

Hier unterbrach sie der Eintritt des Herrn Pastor Sommer, der, nicht auf Besuch rechnend, noch im Schlafrock war.

„Sieh da, liebe Frau Nachbarin! Sieht man Sie auch einmal?“ begrüßte er diese. „Sie sind stets geschäftig, wie eine Biene, und nie sichtbar, so oft ich auch zu Ihrem Gatten komme.“ Er rückte dabei einen Stuhl an den Tisch und nahm neben ihr Platz. „Was macht denn Ihr liebes Söhnchen? Auch den habe ich ja lange nicht gesehen! – Aber wie kalt es hier ist. Leonie! Hat man denn nicht geheizt?“

„Gewiß, mein Herzensmännchen! – Aber Deine Dichternatur braucht mehr äußere Wärme, als wir andern Sterblichen, eben weil Du so viel ausgiebst. Du Guter, mußt Dich hier nicht lange aufhalten.“

Er rieb sich die krankhaft magern Hände und zog den Schlafrock enger um sich zusammen.

„Ist Ihnen warm hier?“ fragte er Auguste Liebig.

„Das kann ich nicht sagen, obwohl ich im Mantel sitze,“ versetzte diese, und richtete dabei ihren Blick auf ihn, mit jener forschenden Theilnahme, die aus dem Herzen kommt. „Sie sehen überhaupt nicht gut aus. Sind Sie denn auch recht vorsichtig in Ihrer Diät, und genießen nahrhafte Speisen?“

„Gott! Er lebt ja fast von der Luft, er ist ja ganz Geist, dieser einzige Mann!“ fiel die Pastorin ein.

„Um so mehr muß er es sich zur Pflicht machen, sich zu nähren,“ versetzte Auguste. „Liebig ist nicht krank, aber dafür in Jahren vorgerückt, wo die Pflege auch zu ergänzen hat. Ich bereite ihm daher jeden Morgen selbst irgend ein Frühstück, eine starke Bouillon, eine Chocoladen oder etwas der Art, das nahrhaft ist und ihm schmeckt, und ich bilde mir ein, er gedeiht dabei.“

„Sie verziehen ihn,“ sagte Sommer mit eigenthümlichem Lächeln.

„Mein Ludwig fühlt sich noch zu jung, um mir es zu gestatten, mit Nahrungsmitteln auf ihn einzustürmen,“ bemerkte die Pastorin mit gezierter Freundlichkeit.

„Ich glaube, Sie würden es nicht zu bereuen haben, wenn Sie Ihrer lieben Frau gestatteten, Sie auch zu verziehen,“ sagte Auguste. „Ich bin ein halber Arzt, erlauben Sie mir einmal Ihren Puls!“ – Sie zählt, aufmerksam. „Ich verpflege so gerne,“ sagte sie dann. „Darf ich Sie einmal in die Kur nehmen?“

„Gott! das könnte ich ja auch, wenn er nur nachgeben wollte.“

„Du bist ja aber den ganzen Morgen nicht sichtbar, und dann gerade entbehre ich einer Fürsorge am Meisten.“ sagte der Pastor…

„Aber die gute, vortreffliche Magd ist ja zu Deiner Bedienung ganz da,“ entgegnete die Frau.

„Wenn alles Uebrige besorgt ist. Mein Zimmer wird nicht geheizt, mein Kaffee ist nicht trinkbar, und ich wandere umher wie ein irrender Geist,“ sagte er mit ironischem Lächeln.

„So sind die Männer, gute Frau Nachbarin,“ fiel die Pastorin ein. „Das Mädchen ist da; aber nicht einmal fordern will er! Und weil ihm jetzt kalt ist, so friert er immer.“

Auguste stand auf. Sie mochte die Veranlassung nicht geben, eine so unerfreuliche Erörterung weiter fortgesponnen zu sehen.

„Man kann sich selten auf Dienstboten verlassen,“ sagte sie. „Wir Frauen haben den Vortheil davon, den Männern dadurch um so unentbehrlicher zu sein, und hierin liegt doch unser größter Stolz und unsere beste Befriedigung. – Ich hoffe, Sie erlauben es mir, Sie auch ein wenig verziehen zu dürfen, lieber Herr Pastor! Wir wohnen ja wie in einem Hause, und meine Mühe wird durch ein bischen mehr oder minder nicht vergrößert.“

Sie schied von beiden Gatten auf das Freundlichste entlassen.

„Welch eine musterhafte Frau,“ sagte der Pastor, als die Thüre sich hinter ihr geschlossen. „Ein wahrer Schatz für den Präpositus!“

„Ich kann sie nicht ausstehen!“ versetzte seine Gattin. „Diese Empfindsamkeit! Immer will sie etwas Anderes vorstellen, als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_157.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2016)