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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

noch am meisten an Deutschland. Die Anstrengungen Rußlands, alle diese gewonnenen Provinzen so viel wie möglich zu russificiren, haben reichliche Früchte getragen, und in den Gesinnungen dieser Völker dürfen die Feinde Rußlands keinen Beistand gegen das gewaltige Reich zu finden hoffen. Als Befreier würden hier die Engländer nirgends empfangen werden. Der Standpunkt, welchen die den Ton angebenden Klassen des Landes einnehmen, wird ganz richtig durch das von ihnen selbst gebrauchte Sprüchlein bezeichnet:

Rußland, um uns zu schützen,
Der Bauer, um uns zu nützen,
Deutschland, um dort zu sitzen. [1]




Eine Jagd auf entlaufene Neger.
(Fortsetzung und Schluß.)

„Aber das Land der Schwarzen,“ fuhr Moritz fort, „kann für die Weißen nicht taugen und Sie sehen, daß auch die Schwarzen sich nicht leicht daran gewöhnen, bei uns zu leben, weil sie so gerne den Weg in’s Gebirge einschlagen. Dadurch, daß sie die Höhen der Insel aufsuchen, entdecken sie in der That hübsche Orte, und diese Palmenebene, von wo wir sie eben verjagten, wäre für sie ein Paradies geworden, wenn man sie in Frieden gelassen hätte. Von der ersten Station verjagt, zogen sie sich auf eine höhere zurück, die besser geschützt war, indem sie sich ohne Zweifel Hoffnung machten, daß sie dadurch, daß sie unsere Verfolgung in die Länge zogen, uns die Lust zu solchen Expeditionen benehmen würden. Indessen sie nach allen Seiten flohen, verfolgten wir sie ruhig und in Ordnung, in einer Linie entfaltet, und durchsuchten die Gebüsche und Felsenhöhlungen. Die Pflanzenwelt wurde spärlicher und das Land wilder. Schon trafen wir kein „Apfelholz“ mehr; rings um die Felsen, die sich in der Form von Zuckerbroten erheben, verbreiteten die „schwarzen Bäume“, die in dichte Gruppen geschlossen sind, reichlichen Schatten; diese Bäume keimen immer in Gesellschaft empor, selbst aus dem Gesteine. Wenn man sie von der Ebene aus an der Seite des Gebirges sieht, würde man sie für kleine Pflanzen halten, ähnlich denen, die vor dieser Grotte wachsen.

„Die flüchtigen Schwarzen verstecken sich unter ihrem Schatten, und wenn sie nur Feuerwaffen hätten, wie – frage ich Sie, könnte man sie von da vertreiben. Zudem ist das Terrain oft durch Brüche durchschnitten und durch Felsenmassen unzugänglich gemacht, und das Gras verbirgt tiefe Löcher, in welche man der Länge nach auf Steine fällt, die Flinte auf die eine Seite, den Hut auf die andere. Währenddem versetzt Ihnen der Schwarze, den Sie verfolgen, einen Schlag, oder er macht sich wenigstens davon.

„Wir umzingelten eines der Gehölze, worin sich die Flüchtlinge gesammelt hatten; sie entglitten uns dort aus den Händen, stiegen eine Bergwand hinab, an deren Fuß ein Fluß fließt, und wir verfolgten sie im Schnellschritt, ohne zu wissen, wo diese Treibjagd zu Ende gehen würde. Je weiter wir vorrückten, um so mehr Kraft verlieh uns der Zorn, und je weniger hatten wir Aussicht, die Ausreißer zu fassen; zuletzt wurde es wahrscheinlich, daß wir Einige von ihnen mit Flintenschüssen niederstrecken würden. Vornehmlich lief der Malaye, der im Lager der Hochebene Lärm geschlagen hatte, Gefahr, eine Kugel zu bekommen. Auf der ganzen Insel verabscheute man ihn wegen der seiner Race natürlichen Wildheit und wegen seiner eigenen Missethaten; des Mords überwiesen, war er aus dem Kerker entflohen, und benahm sich nun wie ein wahrer Bandit, der nichts zu scheuen hat. Von schmuggelnden Sklavenhändlern, die man des Seeraubs bezüchtigte, jung in die Colonie gebracht, brachte er, kühn in seiner Macht, Verwirrung und Unordnung hervor. Mit dergleichen Sclaven könnte man niemals sicher leben. Gott sei Dank, sie sind nicht zahlreich! Die Farbe des Malayen, weniger dunkel, als die seiner Gefährten, verrieth ihn selbst im Schatten, der die andern verbarg; aber seine unglaubliche Beweglichkeit und die Schnelligkeit seiner Füße schirmten ihn vor Gefahren, denen er sich nach Lust aussetzte.

„In diesem vorläufigen Asyle schienen sich die Schwarzen an einem einzigen Punkte zu vereinigen, um über den Gießbach zu setzen, bevor wir ihnen den Weg verlegen konnten. Ein über die Schlucht geworfener alter Baum diente ihnen zur Brücke; aber da dieser Baum wurmstichig war, so mußten sie ihn Einer nach dem Andern überschreiten, aus Furcht, ihn zu zerbrechen. An beiden Ufern bedeckten hohe Farrenkräuter den Boden und die Feuchtigkeit der Bäche, die Wasserfälle am Abhänge bilden, erhält fast bis zum Gipfel der Abdachung eine üppige Vegetation. Unter diese Holzmassen liefen die Neger und verschwanden vor unsern Augen, und wir mußten wohl oder übel einem Punkte zusteuern, der nicht immer entdeckt werden konnte. Der Malaye, der zuerst an’s andere Ufer gelangte, schien, anstatt seinen Weg fortzusetzen, seine Gefährten zu erwarten; diese zogen fröhlich, Mann für Mann, dahin, beeifert, sich in die Dickichte zu werfen, wo sie hoffen konnten, sich zu zerstreuen, um sich unsern Nachforschungen zu entziehen, und so Zeit zu gewinnen, um in die benachbarten Berge, andere unzugängliche Lager, zu gelangen. Wie Einer von ihnen den Fuß auf’s andere Ufer der Schlucht setzte, schien er frische Kraft zu gewinnen; alle diese abschüssigen, wilden und mit Gebüschen bedeckten Wände, über welche dicke Bäume ihre theils todten Zweige aufrichten, waren für diese aufgelöste Bande das wahre Land der herumschweifenden Unabhängigkeit. Einmal da, waren die Flüchtlinge zu Hause. Wir gaben Feuer, obwol aus ziemlicher Entfernung, und bei dem Geräusche des von den Echo’s der Felsenwände wiederholtem Getöse sahen wir den, der über dem Abgrund schwebte, zittern und wanken; aber der Vogel, nach dem man in zu weiter Entfernung im Fluge schießt, senkt seine Flügel vor Schrecken, dann schwebt er von Neuem und entfernt sich, ohne nur eine Feder fallen zu lassen.

„Während die Einen verlorene Kugeln von der Höhe absendeten, rückten die Andern so schnell als möglich durch die Zweige, und der durch den Brückenübergang veranlaßte Verzug brachte uns den Flüchtlingen nahe. Sie Alle, die nicht wußten, ob sich hinter ihnen ein verspäteter Kamerad befand, und außerdem noch durch unsere Flintenschüsse getrieben wurden, stürzten sich schreiend und ohne umzuschauen in’s Gehölz; deshalb wurde die Brücke nicht abgebrochen. Im Augenblicke, wo wir selbst sie überschreiten wollten, ordneten wir die Reihe des Zuges; zuerst ging ein alter Creole, ein tüchtiger Jäger, hinüber, der die Gebirgspfade besser kannte als die Andern. Er war besonders auf diesen dämonischen Malayen aufgebracht, den er beschuldigte, seine Gewürznelken vernichtet zu haben, und wir bestritten ihm das Recht nicht, sich zu rächen, wenn er Gelegenheit dazu fand.

„Das Geheule der Schwarzen ertönte noch, aber man sah keinen mehr von ihnen. Der alte Jäger schwang sich kühn auf die Brücke, indem er sich seiner Flinte dazu bediente, um das Gleichgewicht zu halten. Er durchlief mit seinen langen Beinen diesen über das Wasser gelegten Baumstamm, und schon wollte ihm einer meiner Gefährten folgen, als ein heftiger Stoß gegen diese zerbrechliche Brücke, sie mit schrecklichem Getöse in den Abgrund stürzte; der Malaye, der in den Farrenkräutern versteckt war, hatte sie mit der Ferse kräftig getroffen, aber ein wenig zu spät, denn der Creole konnte in dem Augenblicke, wo der Baum unter ihm nachgab, den Baum noch überschreiten, der ihn von Ufer trennte. Indem er auf die Erde sprang, ergriff er den Malayen, und ein heftiger Streit entspann sich zwischen ihnen, ein wahrer Kampf, Leib an Leib. „Schießt, Ihr Anderen, schießt,“ rief der Creole, „ich bin unten!“ Der Gießbach, der mit vielem Geräusche floß, hielt uns ab, seine Worte deutlich zu verstehen, und im hohen Grase sahen wir nur die verzweifelten Bewegungen der beiden Gegner. Wir zauderten auf die Gruppe dieser beiden Männer, der Eine Freund, der Andere Feind, die sich so nahe bei uns das Leben zu entreißen suchten, zu feuern; jeder forderte seinen Nachbar auf zu schießen und Niemand wagte es, zu diesem Aeußersten zu schreiten. Endlich drang ein so durchdringender Schrei zu uns, daß mein Vater sich entschloß, auf den Kopf des Malayen, sobald


  1. um dort zu leben.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_172.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)