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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

einen dicken Baum von schönem Wuchse, von glatter, feiner Rinde, ohne Moos, der am Rande des Abhangs stand; er setzte ihnen in den Kopf, eine Pirogue daraus zu machen. „Darauf,“ sagte er zu ihnen, „fahren wir in unser Geburtsland. Wir verlassen diese Insel, wo man uns wie Schakale umstellt; ich bin sehr alt, meine Kinder, die Kräfte fehlen mir, aber ich habe noch einen guten Kopf und werde Euch führen. Die Sterne, die um die Berge kreisen, erleuchten auch unsere Hütten; sie werden uns führen. Ich bin in drei Tagen von Madagaskar hierher gekommen! …. In drei Tagen aus diesem Kerker, aus diesem Gehölze, das wir nicht verlassen können, aus dieser kleinen Insel, auf der wir keine ruhige Nacht haben, in drei Tagen von hier nach der großen Insel zu unsern Familien! Für Euch, ein Weib und Kinder; für mich, ein Platz neben meinen Söhnen, die reich und verehrt waren!“

„Der alte Schwarze sprach noch besser als so; es war ein Gelehrter seines Landes. Bevor er in die Gebirge entfloh, dichtete er Lieder, die die Malgachensclaven heut zu Tage noch singen, wenn sie das Zuckerrohr abschneiden. Die zwei Bruder antworteten nichts, sie gehorchten. Mitten im Rauschen des Passatwindes, der Donner und Regen bringt, fällten sie den großen Baum, befreiten ihn von seinen Zweigen, maßen die Länge einer Pirogue für drei Personen ab und begannen sie muthig auszuhöhlen. Das war eine harte Arbeit. Gezwungen, fern von dieser Höhle, die ihnen Schutz gegen die schlechte Jahreszeit gewährte, zu übernachten, bald unter feuchten Felsen, bald in wassergetränktem Grase, genöthigt, Tag und Nacht gegen jede Ueberraschung auf der Hut zu sein, sich vor den Blicken der Verräther und Spione und vor denen ihrer hie und da im Gebirge wohnenden Kameraden zu verbergen, beeilten sie sich sehr. Cäsar hieb mit großen Axtschlägen das Boot zu, sein Bruder höhlte das Innere mit Feuer aus und der Greis feuerte sie durch seine Erzählungen an. Das Alter machte ihn geschwätzig; es lag etwas Wahnsinn in seinen Erzählungen und Liedern, die er Nachts wiederholte, während die jungen Leute den dicken, noch grünen Baum in ein kleines Fahrzeug umwandelten, das sie alle drei in ihr Vaterland bringen sollte, aber sie ehrten ihn wie einen Vater. Sie hörten ihm achtungsvoll zu, bedeckten ihn mit ihren Kleidern, aus Furcht, er möchte frieren und litten gerne für ihn. Im Grunde glaubten sie vielleicht nicht an das Gelingen ihres Unternehmens. Sagen Sie mir, meine Herren, ob Cäsar es nicht viel angenehmer bei uns hatte? Wir behandelten ihn gut; nach einigen Jahren konnte er sich loskaufen und für seine Rechnung arbeiten; er hätte mit der Freiheit geendigt und ich hätte mit Glück angefangen.

„In kurzer Zeit war die Pirogue fertig, sie war nicht gerade so wie die unsrigen gemacht, aber aus dem Groben herausgearbeitet und tauglich zum Fahren. Zudem hatten sie keine Zeit zu verlieren; Quinola fühlte, daß es mit ihm auf die Neige ging und sagte oft zu ihnen: „Muth, Kinder. Ihr werdet mich nicht hier sterben lassen!“ Als das Boot fertig war, handelte es sich darum, es an jene Stelle zu schaffen, wo der Fluß anfängt schiffbar zu sein, und das bei Nacht durch kothige Pfade, Sümpfe und Dickichte. Die beiden jungen Schwarzen hatten harten Frohndienst; aber wenn man für sich arbeitet, beklagt man sich nie. Der Neger, so faul von Natur, daß er unter Gewürznelken, die er pflückt und beim Schneiden des Zuckerrohrs einschläft, fürchtet keine Mühe, wenn er seinem Herrn und Befehlshaber Adieu sagt. Schritt für Schritt, in kleinen Tagesreisen zogen die Malgachen dem Flusse entlang, schleppten die Pirogue zu Lande nach, trugen sie auf ihren Schultern und legten sie umgekehrt unter die Farrenkäuter, um sich darunter zu schützen. Den alten Zauberer, der sich schon auf dem Wege nach Madagaskar sah und dem der Kopf schwindelte, führten sie an der Hand. Er sang wie ein Kind, so daß die beiden Brüder oft zu ihm sagten: „Nicht so laut, Vater, nicht so laut, wir sind einem Dorfe nah, die Hunde kläffen.“ Endlich brachte Cäsar sein Fahrzeug zitternd in den Fluß, er versuchte es und fuhr mit dem Ruder hin und her; das Wasser trug die Pirogue aus grünem Holze ganz gut. Quinola setzte sich an das eine Ende, unser alter Sclave auf das Vordertheil und ruderte ganz sanft; der andere Sclave folgte ihnen zu Lande und sah mit großer Freude zu, wie das kleine Fahrzeug wie ein Schatten an den Binsen vorüberglitt, das streng genommen gut dazu war, um auf diesen friedlichen Bächen zu fahren. Gelangweilt durch das Laufen am Ufer, sprang er in’s Wasser und begleitete im weitausgreifenden Schwimmen den jungen Malgachen, der kräftig sein Ruder handhabte und den weißköpfigen Greis, der den Himmel schweigend betrachtete.

„Die ziemlich reißende Strömung brachte die Pirogue bald an die Kieselbänke, welche die See zur Fluthzeit an die Mündung des Flusses treibt. Es war gegen Mitternacht, die Flüchtlinge waren der ersten Gefahr entgangen, indem sie gewandt durch die Felsen glitten, die über das Strombett herein hangen. Die Gewölke, die sich dem Rauche gleich über den Bergen zusammenrollten, bedeckten nur einen Theil des Himmels, und es war hell genug auf dem Wasser, daß ein Schiffer die Richtung halten konnte und finster genug auf dem Lande für den Fall, daß man ihnen dort Fallen legte. Wenn sich ein Fischer dort befunden hätte, der in der stürmischen Nacht seine Netze legte! Schon sagte die am Strande murmelnde See zu den Malgachen, daß sie ihrer Freiheit entgegengingen.

„Ehe sie in das „große Gewässer“ fuhren, erfüllten die beiden jungen Leute eine vaterländische Ceremonie; der Steuermann, das heißt Cäsar, that Wasser in ein Ravenola-Blatt, ging bis an die Knie in’s Meer, besprengte den Rand der Pirogue und flehte zu den Wogen mit gefalteten Händen, daß sie sie ohne Unfälle an ihre Insel bringen möchten, daß sie sie beschützen gegen Sclavenhändler, Klippen und Seeungeheuer. Nachdem dies geschehen, begrub er das Blatt, dessen er sich bedient, im Sande und stieß mit seinem Ruder in die See. Dieser Ravenola, den man den Baum des Reisenden heißt, ist in den Augen der Malgachen heilig, weil er eine große Menge trinkbaren Wassers enthält, selbst wenn er auf sumpfigem, halb salzigem Boden wächst.“

„Das ist eine Mähr,“ sagte der Doctor, der seit einiger Zeit zu schlummern schien, „ein Musa, er vereinigt im höchsten Grade die zwei charakteristischen Zeichen dieser Classe und ist wesentlich aquosus und fungosus.“

„Eine Pirogue ist sehr niedrig im Wasser,“ begann Moritz wieder, „und es genügte für die drei Malgachen einige Meilen entfernt von der Küste zu sein, um sich als gerettet ansehen zu können. Als die Sonne aufging, erschien ihnen die Insel wie Ein Gebirge, grün am Fuße, grau am Gipfel, am Ufer mit einem Schaumgürtel umgeben, mit einem Thronhimmel von Wolken über seinen Bergen. Die Flüchtlinge aus den Hochebenen schwatzten vielleicht gerade von dem alten Zauberer, indem sie nach diesem schwarzen sich entfernenden Punkte starrten, aber wenn man sich mit Quinola noch in den Pflanzungen beschäftigte, wo er sich furchtbar gemacht hatte und in den Lagern der Schwarzen, wo er von Zeit zu Zeit wie ein außergewöhnlicher Mensch erschien, so sprach er selbst kein Wort mehr seit dem Augenblicke, wo ihn Cäsar in die Pirogue gesetzt hatte.

„In der schlechten Jahreszeit um unsere Insel zu fahren, ist für große Schiffe nicht leicht; wie hätte nun eine kleine Pirogue, kaum aus dem Groben heraus gearbeitet, dem Meere widerstehen können? Bald bemerkten die beiden Ruderer, daß das zu schwere grüne Holz immer mehr und mehr sank. Beim ersten Windwehen besprützte das Salzwasser ihre Mundvorräthe. Da sie nicht mehr wußten, nach welcher Richtung sie steuern sollten, so ließen sie das Fahrzeug im Winde der Insel gehen: das war nicht der Weg, der nach Madagaskar führte! Das kleine Fahrzeug schwamm nach einem Tage Schifffahrt so wenig, daß die jungen Malgachen, aus Furcht es möchte untergehen, es abwechselnd schwimmend begleiteten. Ihre Kräfte erschöpften sich, der Sturm trieb sie hin und her, und Regenströme stürzten von der Höhe des Himmels auf sie, und die See schlug sie wie das Seegras, welches die Fluth den Buchten zuführt. Einige Zeit nach ihrer Abfahrt begegnete ihnen ein Schiff, der, welcher in der Pirogue war, ruderte nicht mehr, der andere, an’s Hinterdeck geklammert, erhob mit Mühe den Kopf über das Wasser. Als man sie anrief, schienen sie zu erwachen. Sie drückten sich die Hände und tauchten dann unter. Die Matrosen des Schiffs erwarteten sie bald wieder erscheinen zu sehen, aber sie erschienen nicht mehr an der Oberfläche des Wassers.

„Der alte Quinola blieb allein in der Pirogue und der Capitän des Schiffs schickte einen Kahn zu ihm, weil er denen, die ihn anriefen, nicht antwortete, und sie hätten lange nach ihm rufen dürfen. Als die Anderen untertauchten, war Quinola gestorben, wohl gestorben, nicht auf Madagaskar wie er gehofft, aber wenigstens außerhalb der Insel, wie er es durchaus gewollt hatte.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_174.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)