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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 16. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Die Candidaten-Braut.
Von Amely Boelte.
(Fortsetzung.)

„Dein Vater ist recht schwach geworden,“ sagte Auguste, als der Präpositus das Zimmer verlassen hatte, und sah ihm mit einem sorgenden Blicke nach. – „Dein Bruder Wilhelm ist ihm nun als Gehülfe an die Seite gesetzt, und kann in den nächsten Tagen hier eintreffen. Du wirst ihn jedenfalls noch sehen.“

Am nächsten Morgen ging August zum Herrn Pastor Sommer, um diesem und seiner Gattin einen Besuch abzustatten. Er fand den Ersteren so hager und schwach, daß er ihm fast unkenntlich erschien; die Frau Pastorin dagegen hatte noch an Fülle zugenommen.

„Mein lieber junger Freund,“ sprach sie zärtlich und reichte dem Knaben beide Hände entgegen, „Sie sind mir wie ein Sohn willkommen und in gewissem Sinne betrachte ich Sie auch so!“

„Leonie!“ rief der Pastor vorwurfsvoll, „ich bitte Dich dringend, rede nicht so, es ist ganz unpassend!“

„Gott, warum denn aber? Denke doch an Dich und mich!“

„Eben weil ich daran denke,“ sagte er mit ungewöhnlich scharfer Betonung, „eben darum soll hier davon keine Rede sein. Sie haben Ihren Aeltern rechte Freude gemacht, lieber August;“ wandte er sich an diesen. „Setzen Sie sich zu mir und erzählen Sie mir von Ihrer Schule.“

Dies Thema war der Frau Pastorin zu trocken und sie verließ das Zimmer. Leonie wanderte indessen im Garten auf und ab. Sie war heute zu glücklich, den Freund ihrer Kindheit sich nahe zu wissen, um es im Hause aushalten zu können. Als August seinen Besuch beendet hatte, folgte er ihr hierher nach. Er war verlegen.

„Leonie,“ sagte er, „ich habe Deine Abschiedsgabe noch ganz bewahrt. Aber ich freue mich oft daran!“

„So?“ sagte sie, und sah ihn mit einem überglücklichen Gesichte an. – „Deine Mutter sagte vorhin, ich wäre ihr wie ein Sohn willkommen, Leonie! – Willst Du, daß ich ihr Sohn sein soll, so gieb mir die Hand. Aber treu und fest für das Leben.“

Sie reichte sie ihm. „Treu und fest für das Leben,“ flüsterte sie und sich plötzlich losmachend, eilte sie im Fluge dem Hause zu.

Es war nicht wieder die Rede hiervon. Beide vermieden es, allein zu sein und so schieden sie denn, ohne daß ein anderes Wort dies erste bekräftigt hätte. Es genügte ihnen, so wie es war, sie glaubten an einander und scheueten den Ausdruck dessen, was in ihnen vorging.

August strebte nun mit erneuertem Eifer seinen Studien nach. – Nach wie vor lebte er im Hause des Gewürzkrämers und besuchte seine Freitische; das letztere aber mit immer schwererem Herzen. Oft war es ihm beim Hinausgehen aus dem Hause, als möchte er den Staub von seinen Füßen schütteln, so innerlich gekränkt und geknickt fühlte er sich. – Der Sommer schwand indessen dahin, und als der Herbst die Blätter färbte, da schrieb ihm seine Mutter, der Pastor Sommer sei gestorben. – August war tief betrübt darüber. Leonie hatte nun keinen Vater mehr und mußte noch Jahre warten, bis sie auf seinen Schutz rechnen konnte. Das stimmte ihn lange sehr ernst.

Die Frau Pastorin sollte nun ein Wittwenhaus beziehen und sich mit einer kleinen Pension behelfen, und diese Lage theilte die Tochter. Das waren Veränderungen, mit denen der Mensch sich nur im Laufe der Zeit aussöhnen kann. – Dieser Winter brachte August aber noch Schlimmeres. Sein eigener Vater wurde täglich leidender; als der Frühling nahte, schloß sich sein müdes Auge und Auguste stand weinend an seinem Grabe. Sie betrauerte ihn wahrhaft, denn was sie an Glück kannte, das kannte sie ja einzig durch ihn. August wollte kommen und die Mutter aufrichten, aber sie verbat es sich. Sie wollte ihn in seinen Studien nicht unterbrochen wissen, sagte sie; eigentlich aber wünschte sie es zu vermeiden, ihn einen Blick werfen zu lassen in die pekuniär traurigen Verhältnisse, die seinen Aufenthalt in Rostock zu einer kaum bestreitbaren Ausgabe machten. Bevor sie nicht klar ihre Lage übersah und die Ueberzeugung hatte, daß ihr theurer Sohn seine Laufbahn fortsetzen könne, wollte sie ihn nicht wiedersehen, um ihm ja jede unnütze Sorge und Kränkung zu ersparen.

Leonie war ihre Vertraute in dieser Angelegenheit; mit dieser berieth sie Alles. Das Mädchen hatte den unverständigen Launen ihrer Mutter gegenüber einen tiefen Lebensernst gewonnen und war ihren Jahren an Reife weit voraus; sie konnte ihre Lage daher völlig übersehen. Sie wußte, daß in ihrer kleinen Wohnung kein Friede einkehren würde, sie sah voraus, daß ihre Mutter sich nirgends gefallen könne, wo sie auf Einschränkungen angewiesen sei und der langgewöhnten Geselligkeit entbehren müsse. Sie schlug Augusten vor, mit ihr gemeinsam eine Mädchenschule zu beginnen und den Ertrag August zuzuwenden, während der dadurch herbeigeführte Verkehr im Hause ihre Mutter zerstreue. – Dieser Plan war annehmbar und wurde vielfach besprochen. Für den Augenblick blieb derselbe aber noch unausführbar, indem jeder Wittwe noch ein Jahr gestattet blieb, in den alten Verhältnissen zu bleiben.

Die Folge dieses Aufschubs war, daß August nicht in seine Vaterstadt zurückkehrte, bis er sein achtzehntes Jahr zurückgelegt hatte und schon die Universität beziehen sollte. Da erst gelang

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_179.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2016)