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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Populäre Chemie für das praktische Leben.
In Briefen von Johann Fausten dem Jüngeren.
Dritter Brief
Die Verwitterung der Gesteine in ihrer Beziehung zum Ackerbau und den Gewerben.

Aehnlich wie in der Wissenschaft eine jede Entdeckung zur Quelle wird für eine Menge neuer Wahrnehmungen, indem an die Beantwortung der einen sich sogleich eine Menge neuer Fragen anreiht, die zur Lösung anspornen, daher neue Arbeiten veranlassen, die nun ihrerseits wieder Stoff zu andern liefern und so bis in’s Unendliche fort, – bieten auch mir meine Briefe reichlich Gelegenheit zu neuen, indem ich oft nur Andeutungen geben kann, die erst später zur Ausführung gelangen. Sogleich in den vordersten Zeilen meines ersten Briefes berührte ich im Vorübergehen die große Wichtigkeit, welche das Walten des chemischen Prozesses in der Natur noch heute ausübt. Ist man auch geneigt anzunehmen, daß die großen Umwälzungen, welche die Erde in ihrer Jugend erlitten hat, nicht wiederkehren, scheint auch die starke Kraft, welche das wilde Chaos ordnete, gebrochen, so ist nichts destoweniger doch eben so gewiß, daß unser Erdkörper, sowohl die einzelnen Mineralien, als ganze Gebirge, unausgesetzt von den Einwirkungen der Bestandtheile der atmosphärischen Luft, die bei ihrem Zerstörungswerke von dem Licht und der Wärme unterstützt werden. angegriffen wird. Und doch ist die zerstörende Kraft eine so schwache, daß wir die rastlose Thätigkeit derselben nur erst nach einem sehr langen Zeitraume wahrnehmen können.

Dieser Zerstörungsprozeß, der mit dem Namen „Verwitterung“ belegt worden, ist schon lange bekannt; eine nähere Untersuchung der Veranlassung und der Endproducte der Thätigkeit verdanken wir erst der neuesten Zeit. Auch hier war es die Chemie, welche die Mittel an die Hand gab, das geheimnißvolle Walten der Natur zu enthüllen.

Unter den Bestandtheilen der Luft sind es besonders der Sauerstoff wegen seiner ausgezeichneten Verbindungsfähigkeit mit allen übrigen Körpern, und mehr noch, trotz der geringen Mengen, in denen sie in der Luft enthalten sind, das Wasser, theils für sich allein, theils in Gesellschaft mit dem Sauerstoff, und die Kohlensäure, womöglich in Vereinigung mit dem Regen-, Schnee-, Fluß- und Quellwasser, die bei diesem in seinen Resultaten großartigen Vorgange die Hauptrolle spielen. Der Stickstoff, die bei Weitem größte Menge der Luft ausmachend, bleibt hierbei zwar nicht gleichgültig, doch tritt er nur insofern thätig auf, als er besonders die chemische Einwirkung des Sauerstoffs mildert. In diesem Vorgange spricht sich deutlich der Unterschied der unorganischen – unbelebten – und der organischen – belebten – Natur aus. Der Feind der einen ist der Freund der andern; Luft, Wasser, Licht und Wärme, ohne die Pflanzen, Thiere und Menschen nicht bestehen können, zerstören nicht allein einzelne Mineralien, sondern sogar ganze Gebirgsmassen und diese Zerstörung muß stattfinden, um dem organischen Leben die Bedingungen seines Seins zu gewähren. Denn zu diesen gehören nothwendig, außer den bereits angeführten, gewisse mineralische Stoffe, ohne die weder die Pflanzen, noch die Thiere und Menschen bestehen können. Die Asche, welche die Pflanzen beim Verbrennen zurücklassen, sind nicht zufällige oder unwesentliche Bestandtheile, wie man dies lange annahm, sondern durchaus für das Gedeihen erforderlich. Die Pflanze entzieht sie dem Boden einmal zu ihrem eigenen Nutzen, dann aber ist ihr auch die Aufgabe zu Theil geworden, diese Stoffe für die Aufnahme im thierischen Körper geschickt zu machen; und letzteres scheint der Hauptgrund für die Anwesenheit der mineralischen Bestandtheile in den Pflanzen zu sein. Ohne diese Verwitterung aber ist keine Ackererde denkbar.

Wie ist nun diese entstanden? Sind auch die Felsmassen, welche man das Knochengerüste unserer Erde nennen kann, dem Anschein nach fest und dicht, so findet das Wasser dennoch überall Eingänge und einmal eingedrungen, vermag selbst der größte Koloß der allmäligen Zerbröckelung durch diesen winzigen Feind nicht zu widerstehen. Theilweise ist die Wirkung eine mechanische, indem das Wasser sich beim Gefrieren beträchtlich ausdehnt und so kleinere oder größere Stücke absprengt, die in die Tiefe hinabrollen und hier demselben Geschick verfallen, bis sie gänzlich zerstört, zu Staub zerbröckelt sind. Andererseits aber ist die Wirkung auch eine chemische; schon an und für sich benagen die eben aufgeführten Feinde die bloßliegende Oberfläche der Gesteine und bereiten so das Eindringen des Wassers vor, indem sie die feste Masse auflockern und so die Pforten öffnen; dann aber sind in einem jeden Wasser Sauerstoff und Kohlensäure enthalten, die, in das Innere eingedrungen, einen Zersetzungsprozeß bedingen und so Gelegenheit geben, zur Bildung neuer Verbindungen, die dem Einfluß des Wassers leichter unterliegen; sie werden ausgewaschen und fortgeführt, das Gestein wird lockerer und das Wasser erhält um so mehr Macht, seine zerstörenden Wirkungen zu üben.

Auf Versuche gestützt, die der Chemiker freilich in einem sehr kleinen Maßstabe im Laboratorium anstellt, sagt er zwar, diese oder jene Substanz ist unlöslich in Wasser, aber er weiß sehr wohl, daß dieser Ausspruch nur in gewisser Beziehung richtig ist, bedingt durch die Beschränktheit der Mittel, die ihm zu Gebote stehen. Im großen Haushalt der Natur ist von einer Unlöslichkeit keine Rede; sie gebietet über mächtigere, wenngleich sehr einfache Mittel und diese sind: die Massen, die Zeit, starker Druck und hohe Temperatur. Die Macht dieser Bundesgenossen hat bereits auch der Chemiker erkannt und sie sich dienstbar gemacht, so weit seine geringen Mittel es zulassen.

Ist die Zerstörung durch die Einwirkung der Atmosphäre beendet, so werden die Trümmer theils von dem Regen fortgeschwemmt, theils von den Flüssen in’s Meer geführt, wo sie sich ablagern. Noch heute finden solche Ablagerungen in den Flüssen statt, sobald der rasche Lauf gemäßigt worden ist. Daß in früherer Zeit diese Zerstörung in einem weit großartigeren Maßstabe stattgefunden hat, dafür geben uns die geschichteten Bildungen unserer Erde, Absätze der verwitterten Gesteine aus dem Wasser, die später aus demselben hervorgehoben sind, Zeugniß. Mit ihrem Auftreten waren die Bedingungen des organischen Lebens erfüllt, das Erscheinen desselben vorbereitet.

Vermögen wir auch dem Werke der Zerstörung selbst mit unserem Auge nicht zu folgen, nehmen wir auch nicht wahr, daß sich die Gebirgsmassen im Laufe der Zeit auffällig vermindern, so lehren uns die Flüsse doch, daß die Einwirkung der Atmosphäre auf den festen Erdkörper ungehindert fortgeht. Die ganze Wirkung können wir nicht berechnen, da die nöthigen Grundlagen fehlen. Ueber die Massen, welche die Flüsse dem Meere zuführen, haben wir nur wenige und unsichere Angaben, die aber doch zeigen, daß diese Vorgänge gerade nicht unwesentlich sind, wenngleich die fortgeführten festen Theile, im Hinblick auf die ganze Erde, sich dem Raume nach nur winzig klein herausstellen. So z. B. führt der Rhein alle 5 Jahre ungefähr eine Kubikmeile Wasser in die Nordsee; die festen Bestandtheile betragen davon den tausendsten Theil, so daß er also in 5000 Jahren eine Kubikmeile davon in dem Meere absetzt. Hingegen gelangen mit den drei mächtigsten Strömen Asiens: Obi, Jenisei und Lena, die zusammen 37 Mal größer sind als der Rhein, in 500 Jahren 72/5 Kubikmeilen feste Masse in das Eismeer.

Hat die Verwitterung mit dazu beigetragen, den Boden für die Pflanze zu bereiten, so sorgt sie auch unausgesetzt dafür, daß es den Pflanzen nicht an Nahrung fehle. Das mit Kohlensäure beladene Wasser, nach allen Richtungen den Erdboden durchdringend, nimmt die Stoffe auf, welche die Pflanze zu ihrem Gedeihen bedarf und führt diese den Wurzeln zu. Neuere Untersuchungen eines amerikanischen Chemikers haben uns die große auflösende Kraft des Kohlensäure enthaltenden Wassers gegen Mineralien deutlich vor Augen geführt. Er unterwarf eine große Reihe dieser Gebilde der Einwirkung des in der Natur überall verbreiteten Auflösungsmittels und so gelang es ihm stets nicht unbeträchtliche Mengen des Aufgelösten nachzuweisen.

Gleichfalls von großer Bedeutung ist die Verwitterung der Gesteine auch für den Gewerbebetrieb. Hier bietet sich uns Gelegenheit einige Beispiele dieses merkwürdigen Vorganges näher in’s Auge zu fassen, durch die wir einen ausgedehnten und geordneten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_184.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)