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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Vorgang zu melden. Schon die nächste Post brachte ihm ihre Antwort. Sie lautete:

„Mein geliebter Sohn!

„Ich danke Dir für den Beweis Deines Vertrauens, den das Herz Deiner Mutter für die schönste Gabe hält. Du weißt es ja, daß ich nur in und mit Dir lebe, und daß ich das, was Dir das Leben an Freude oder Kummer zuführt, stets zwischen den Zeilen lese, selbst da, wo Du es nicht aussprichst. Glaube daher nicht, daß es mir ein Geheimniß ist, wie oft Dein stolzer Sinn schon Demüthigungen gesucht und erfahren, wo ein Anderer mit dankbarer Anerkennung den Umständen erkenntlich wäre; glaube auch nicht, daß ich in solchen Stunden nicht mit Dir gelitten! Das Mutterherz fühlt ja Alles doppelt mit dem geliebten Kinde, und sehnt sich nur darnach Alles allein zu tragen, jede Bürde auf die eigenen Schultern legen zu können, damit ihr Liebling frei ausgehe. Aber ich konnte ja nicht helfen, konnte bei dem besten Willen keinem Umstande Deines Lebens eine andere Gestaltung geben. Darum schwieg ich und darum schwiegst vielleicht auch Du; denn ich glaube, Du erkanntest meine Ohnmacht und meinen Willen.

„Heute stehen die Sachen anders. Du bist hinausgetreten in die Welt. Du hast den Beruf des Mannes auf Dich genommen und nicht länger ist es die Mutter, die schützend über Dir gewacht, von deren Rath Dein Wollen und Thun abhängt. Du bist meiner Obhut entwachsen. Du gebietest frei über Dich selbst; darum auch suchst Du in mir die Vertraute Deiner Sorgen und bangst nicht ferner vor Mahnung und Tadel. Beides hast Du überdem auch nur selten erfahren, mein Sohn!

„So wie Du bist, konntest Du in Deiner Stellung nicht anders auftreten, mein August, und ich zweifle nach diesem Versuche, ob irgend ein Verhältniß der Art Dich befriedigen, könnte. Darin liegt kein Tadel. Ich sehe die Sache objectiv an, ich sehe Dich und sehe den Lehrerstand, und ich fühle, daß mein Sohn diese Unterordnung unter Gesetze, die die Willkür und ein oft unvernünftiger Wille macht, nicht erträgt. Warum ich das nicht im Voraus in Betracht gezogen? magst Du fragen. Ich hätte es freilich wissen können. Aber wie häufig geht es uns nicht so, daß wir Dinge für möglich halten, bis wir durch die Erfahrung eines Bessern belehrt werden.

„Ich würde Dir nun rathen in der Stadt Mücheln als Privatlehrer Dein Heil zu versuchen. Der junge Solger ist dorthin versetzt als Bürgermeister, nachdem er einen glänzenden Richter-Examen bestanden, und als alter Schulkamerad wird er Dir, denke ich, die Hand bieten, und froh sein, Dich in seiner Nähe zu haben. Mir scheint dies das Beste für Dich; Du wirst prüfen, ob mein Vorschlag Dir zusagt, und Dir nicht ein noch besserer Gedanke kommt. Es bleiben Dir ja noch fünf Monate zur Ueberlegung, eine Zeit die Dir, ich weiß es, höchst peinlich sein wird; aber es ist auch eine von den Nothwendigkeiten diese bösen Tage zu bestehen, denen wir uns im Leben nun einmal nicht entziehen können.

„Ich frage mich jetzt oft, und habe mich auch früher schon deshalb gefragt, ob ich Deine Erziehung hätte anders leiten sollen, ob es gut war, daß ich Deinen stolzen Sinn nicht brach? Hätte ich dasselbe Werk noch einmal zu verrichten, so weiß ich nicht, ob ich es anders und besser machen würde. Ich wollte einen Mann und vor Allem einen Menschen aus Dir erziehen und konnte Dir nicht lehren, Dich vor Autoritäten zu beugen, die mir keine waren. Ich konnte es nicht. Dein frischer, schöner Jugendmuth sollte Dir nicht getrübt werden, ich ließ Dir Deine Welt der Ideale, ich lehrte Dich nicht Menschenfurcht kennen, sondern Gottesfurcht. Wie freuete ich mich an Dir, wie glücklich war ich in Deinem Anblick, wie meinte ich eine beneidete Mutter zu sein! Und bin ich es denn nicht? Warst Du nicht stets der beste der Söhne, habe ich durch Dich wohl etwas Anderes gekannt, als die Freude, die ein wohlgerathenes Kind umgiebt, eine Freude, die selbst Engel theilen möchten. Und nun wollte ich mich beklagen, keinen Knecht aus Dir erzogen zu haben? Ich schäme mich jetzt, daß Dieser Gedanke mir aufsteigen konnte!

„Leonie schreibt Dir heute selbst. Sie hat viel Leid und Plage mit der Mutter, die mit jedem Tage grämlicher wird, und wahrscheinlich Brustwassersucht bekommt. Dabei verliert sie nie ihre heitere Miene und ihren Lebensmuth. Das Mädchen gehört wahrlich nicht in unsere Zeit, sie hätte eine Römerin sein müssen. Ihr seid ein Paar, wie es die Welt nicht mehr sieht.

„Schreibe uns recht bald, mein theurer Sohn, und erleichtere Dein Herz durch Mittheilung. Wir wissen ja, daß Du jetzt trübe Stunden verlebst und es beruhigt uns, wenn Du uns aussprichst, wie Du diese Prüfung hinnimmst. Ich bin ja in Gedanken täglich, stündlich mit Dir und meine Wünsche und mein Gebet sind ja für Dich allein.

„Mit der treuesten, herzlichsten Liebe
Deine Mutter  
Auguste Liebig. 

August hatte diesen Brief zuerst gelesen, weil er das Couvert des inliegenden bildete und daher sogleich mit seinem Inhalte vor sein Auge trat. Jetzt entfaltete er auch das andere Blatt. Es lautete:

„Mein theurer Freund!

„Gefesselt wie ich bin an das Krankenlager einer Mutter, die meiner jetzt jede Minute bedarf, in welcher unaufschiebbare Geschäfte mich nicht von ihr rufen, muß ich mir doch heute einen Augenblick erobern, um Dir zu sagen, daß ich ganz einverstanden bin mit Deiner Art des Auftretens in dieser hochadeligen Familie. Ich hätte Dich weniger geachtet, wenn Du es anders genommen, wenn Dir die Umstände etwas abgewonnen hätten, vor dem Dein Selbstgefühl erröthen gemußt. Was auch das Leben bringt, nur bleibe der Mensch sich selbst getreu! Nur opfere er nichts von dem Adel seiner Natur, nur halte er in sich fest an dem Ideal, das ihn zum Verwandten der Gottheit macht. Ich weiß es, so denkst auch Du, und ich wiederhole heute nur, was uns gemeinsam ist, um Dich dadurch zu befestigen und zu stärken, um keinen Preis irdischer Vortheile Dein herrliches Naturell zu verkümmern und zu verkleinern. Ich kenne Dich zu genau, um nicht zu wissen, daß Du nur leben kannst, wo Du frei athmest, frei Dich auslebst, ein Unterthan des höchsten Sittengesetzes bist, das dem Menschen über sich gestellt ist. Wo Du diesem entsagen müßtest, da wärest Du nicht mehr Du selbst, da müßtest Du zu Grunde gehen. Ich bitte Dich vor allen Dingen, Dich nie auf Deinem Lebenswege durch eine Rücksicht für mich gehemmt zu fühlen. Was der Mann nach Außen hin für sich erstrebt, dabei darf die Frau nicht mit in Rechnung kommen; ist er da mit sich fertig, kehrt er in sich zurück, dann ist sie da für sein Stillleben und sein Haus. Handle daher Deiner Neigung entsprechend und thue einstweilen, als wäre ich nicht da. Nur so gestaltet sich Dein Schicksal nach meinem Sinne, nur so kann ich. freudig der Zukunft entgegenblicken und in allen Beziehungen mich Deine erste Freundin nennen.

Leonie. 

August faltete den Brief sorgfältig zusammen und steckte ihn in seine Brusttasche, ein Platz, den er auch nicht wieder verließ. Bei der nächsten Gelegenheit, wo die beiden Knaben von den Aeltern auf ein benachbartes Gut mitgenommen wurden, bat er um ein Pferd und benutzte die Zeit zu einem Spazierritt nach Mücheln. Hier suchte er sogleich seinen alten Schulkameraden auf und dieser war nicht wenig erfreut in dieser ihm fremden Gegend plötzlich einen Freund zu entdecken, mit dem er die heitern Tage der Jugendzeit recapituliren konnte. August sprach ihm den Wunsch aus, zum Winter ganz in die Stadt zu ziehen und dort einige Knaben zum Privatunterricht um sich zu versammeln. Dieser Plan fand des Bürgermeisters ganze Billigung und er erbot sich sogar selbst thätig zu sein ihm die nothwendige Zahl von Schülern zu gewinnen. Beiderseits befriedigt von diesem Wiederfinden trennten sie sich und August ritt mit erheiterter Miene auf das Schloß zurück. Gleich in den nächsten Tagen meldete er seiner Mutter, daß ihr Rath von ihm befolgt worden und er von der dadurch eröffneten Aussicht auf eine Thätigkeit, die seine persönliche Freiheit nicht beschränkte, befriedigt sei.

Es wurde ihm von diesem Tage an weniger schwer die Ketten zu tragen, die ihm das Gebundene seiner Stellung anlegte, und jeder neue Morgen zählte ja überdem eine Verminderung dieser bösen Zeit, wodurch auch die schwierigsten Stunden leichter zu durchleben sind. Sieht man das Ende, so hilft man sich mit einem Seufzer über die Gegenwart fort. Der Sommer schwand

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_192.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2016)