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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Unter die Söldnerschaar, welche die Stadt Bautzen zu ihrer eigenen Vertheidigung hielt, hatte sich auch ein Pole, Namens Bartholomäus Wranitzky auf ein Jahr anwerben lassen, welcher im Gefolge des Königs Sigismund II. von Polen den 12. Februar 1556 nach Bautzen gekommen und dort zurückgeblieben war, als der Polenkönig seine Reise weiter fortgesetzt hatte. Wranitzky nannte sich einen Edelmann und nahen Verwandten des Fürstbischofs von Krakau, gab vor, in Wilna Medizin studirt zu haben, daher er auch den Namen des polnischen Studenten erhalten hatte, seiner mehrfach schon verübten losen Streiche wegen aber auch der tolle Barthel genannt wurde. Eine Zeit lang hatte er mit Hülfe eines gefüllten Seckels in Bautzen ein wildlustiges Leben geführt, dann aber unter den Defensionern Dienst genommen, und sich in einer Fehde Bautzens gegen die Junker von Crosta und Cottwitz insofern um die Stadt verdient gemacht, als er einen der reichsten Rathsherren der Stadt, den Lederhändler Matthias Pribus, aus den Händen der Feinde befreit hatte. Dieser tapfern That wegen ließ der Magistrat dem Polen manch leichtfertigen Streich ungeahndet hingehen, und der durch ihn gerettete Rathsherr hatte zu wiederholten Malen den stets leeren Geldbeutel seines Retters mit ungarischen Gulden gefüllt; als aber fast keine Woche verging, in welcher nicht Klagen gegen Wranitzky beim Magistrat einliefen, da ersterer aus dem Dienste der Defensioner getreten war, und nun auf Kosten des geretteten Lederhändlers lebte, der Gerettete aber nachgerade der Brandschatzungen seines Retters müde wurde, da beschloß der Stadtrath, bei der nächsten Beschwerde, welche gegen den Polen laut werde, denselben hart zu strafen und dann für immer aus der Stadt zu verweisen.

Und auf einen neuen Unfug, welchen der Pole ausüben würde, sollte der Stadtrath gar nicht lange warten, und zwar einen Unfug der Art, daß des Magistrats Ansehen diesmal beim Volke gewaltig darunter gelitten hätte, wenn man nicht mit Strenge gegen den Frevler verfahren wäre, obgleich nicht verhindert werden konnte, daß durch denselben zu einem Sprüchworte Veranlassung gegeben worden war, welches sich bis in die neueste Zeit in der Lausitz erhalten hatte.

Wranitzky war nämlich von Neuem wieder tief in des Rathsherrn Schuld gerathen, und dieser, welcher vor Kurzem erst durch zwei seiner ältesten Diener auf arge Weise an Geld und Leder bestohlen worden war, hatte diesmal nicht die geringste Neigung, sich gegen seinen Lebensretter nachsichtig zu zeigen, und ihm sogar gedroht, daß wenn er mit der versprochenen Rückzahlung nicht zum festgesetzten Termine Wort halte, er sicher darauf rechnen könne, auf längere Zeit sein Quartier im Schuldthurme zu finden.

Nun wußte der Pole recht gut, daß wenn sein Gläubiger Strenge gebrauche, er auf Mitleid für seine Person von Seiten der übrigen Rathsmitglieder nicht hoffen dürfe, zumal ihm der regierende Bürgermeister Wolf Mühlhof vor allen Andern am Wenigsten gewogen war, da er diesem eines seiner schönsten und theuersten Rosse durch Quacksalberkur hingeopfert; eben so genau war es ihm bekannt, daß der Schließer im Lauenthurme seinetwegen von der vorgeschriebenen Gefangenkost nicht abgehen werde, und er selbst zu einer Wasserkur nicht die geringste Neigung verspürte; er befand sich daher zum ersten Male in der guten Stadt Bautzen in der unangenehmen Lage, Geld zu schaffen, oder in den Schuldthurm zu wandern.

Befangener als je ging er diesmal am Zahltage zum Rathsherrn, dem er wiederholt hoch und heilig schwor, daß sein Oheim, der Fürstbischof, ihm in den nächsten Tagen zweihundert ungarische Gulden senden werde, wie ihm bereits von Krakau aus gemeldet worden sei, da er zu einer Stelle an König Sigismund’s Hofe für würdig befunden worden wäre, und daß er von diesem Gelde sofort seine Schuld abtragen und dann dieser undankbaren Stadt für immer Valet sagen wolle. Allein der mit Leder handelnde Rathsherr, noch tief entrüstet über die Untreue seiner Diener, war diesmal noch zäher als seine Waare, welche in Ballen hoch aufgethürmt seine Lagerhäuser füllte, und wies alle Versprechungen des Polen hartherzig zurück. Als dieser nun ihm vorwarf, daß er ihn aus den Händen der Raubritter befreit und doch wohl bessern Dank verdient habe, als durch seine Härte Quartier im Lauenthurme zu nehmen, entgegnete der Rathsherr grollend:

„Ei, hättet Ihr mich doch den Krautjunkern überlassen, ich wäre sicher für ein billigeres Lösegeld wieder frei geworden, als ich Euch bereits gezahlt, und habe daher keine Lust, Euch länger zu borgen, noch mich von Euch brandschatzen zu lassen.“

„Aber bedenkt doch,“ sprach so ernst als möglich Wranitzky, „wie leicht hätte Euch damals einer dieser wilden Schnapphähne den Garaus machen können, wenn ich nicht mein Leben für das Eure gewagt?“

„Das habt Ihr mir nun schon unzählige Male vorgerückt und allemal, wenn Ihr zahlen sollt oder frisch borgen wollt!“ rief der Lederhändler erzürnt. „Nun und wenn dies geschehen wäre, so wäre ich ohne lange Qual aus der Welt geschieden, während Ihr mich täglich peinigt und die Schmach, von meinen vertrautesten Dienern mich bestohlen zu sehen, hätte ich nicht erlebt. Aber diese Schurken trifft ihr Lohn, denn binnen drei Tagen knüpft sie Hans Hämmerling auf, und ich glaube nicht, daß die Welt viel verliert, wenn Ihr meinem getreuen Buchhalter und dessen Spießgesellen Gesellschaft leisten wolltet.“

„Beim heiligen Bartholomäus, meinem Schutzpatron!“ polterte jetzt der Pole, sich beleidigt stellend. „Ihr seid ein hartherzig grober Patron, der völlig vergessen hat, daß er mir sein elendes Krämerleben dankt, und nicht daran denkt, daß er es mit einem Edelmann zu thun hat. Wahrlich, Ihr verdientet eine derbe Lection, damit Ihr Euch künftig besser gegen Leute meinen Standes benehmt, und bitter bereue ich, Euch nicht in den Händen der Plackers gelassen zu haben.“

„Was, Ihr Strolch, der sich einen Edelmann nennt, obwohl man dies eben so wenig weiß, als ob man sagen kann, daß Euer Vater ein Troßbube und Eure Mutter eine feile Metze gewesen sei!“ schrie in heftigen Zorn ausbrechend der Rathsherr. „Ihr wollt mir drohen und mich in meinem eignen Hause verunglimpfen? Den Augenblick packt Euch fort oder ich lasse Euch von meinen Knechten auf die Straße werfen!“

„Ist dies Euer letztes Wort?“ frug drohend der Pole und stampfte [darauf] gewaltig mit seinem verrosteten Ritterschwerte klirrend auf das Holzgetäfel des Fußbodens.

„Mein letztes mit Euch!“ entgegnete kalt der Rathsherr. „Entweder Ihr zahlt binnen drei Tagen, oder stellt mir einen sichern Bürgen, was Ihr jedenfalls nicht könnt, oder wandert in den Lauenthurm, um über Euern Stammbaum nachzudenken.“

„Also einen Bürgen nehmt Ihr an?“ frug höhnend Wranitzky. „Nun gut, den sollt Ihr haben und sollte ich ihn Euch vom Galgen holen!“ und spöttisch lachend verließ er des Rathsherrn Gemach.


In jenen unruhigen Zeiten, in welchen Abenteurer wie Wranitzky oft Jahre lang in einer Stadt auflagen und wenn Gefahr drohete, Monate lang als deren Söldner dienten, dann aber, wenn diese beseitigt, wieder als Spieler und Raufbolde ihr wüstes Leben fortführten, bis heimliche Flucht, Gefängniß und schimpfliche Ausweisung diesem Treiben ein Ende machte, wechselte die gesicherte Ruhe auf Markt und Straßen sehr oft unerwartet mit dem wilden Lärm kriegerischer Rüstungen und die Bürger, die wenig Augenblicke vorher nicht das geringste Unheilvolle ahnend, in ihren Werkstätten gearbeitet, mußten plötzlich Hammer und Pfeile, Hobel und Nadel wegwerfen, wenn die Lärmtrommel ertönte, um sich zu waffnen und ihren Sammelplätzen zuzueilen zur Vertheidigung der Stadt und des eigenen Herdes, denn gar oft und bald wurde die erstere von einem feindlichen Ueberfalle bedroht, oder fremde Truppen, denen der Durchzug gestattet, übten so rohe Gewaltthätigkeiten auf dem der Stadt gehörigen Gebiete oder auch im Innern derselben aus, daß der Magistrat sich genöthigt sah, mit bewaffneter Hand einzuschreiten, um sich von den Plagereien einer solchen zügellosen Sodateska zu befreien.

Eine so unverhoffte Störung der innern Ruhe erfuhr auch Bautzen an demselben Tage, an welchem Wranitzky, mit sich und der Welt zerfallen, den Rathsherrn verlassen hatte und nun seiner Herberge zum goldenen Lamm zuschritt, in welcher ebenfalls ein immer peinigender werdender Gläubiger, der Wirth, den Polen schon seit mehreren Tagen mit Verweigerung fernerer Aufnahme und Zurückhaltung der [nöthigsten] Zehrung bedroht hatte, wenn nicht bald durch eine frische Geldsendung aus Krakau die Schuld desselben auf dem Kerbholz des Wirths verwischt wurde. Aber aus Krakau, das wußte Wranitzky sehr genau, da kam sicher nichts zu seiner Hülfe, denn die Geldsummen, mit welchen er geprahlt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_216.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)