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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

daß man den Sinsern nachsagt, sie hätten einmal ein verirrtes Langohr für einen riesigen Hasen gehalten und das erlegte Thier verspeist. Jener kleine Wagen dient dem Engadiner zu allen möglichen Zwecken, bei Freud und Leid, auf der Reise wie bei der Land- und Alpenwirthschaft; er trägt sein Heu und Stroh, wie ein andermal einen fröhlichen Hochzeiter oder seinen Herrn auf dem letzten Gange, den er schon nicht mehr gehen kann, zum – Friedhofe.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Russische Pferdezucht. Die Schwärme von Pferden, welche halb wild in den russischen Steppen umherweiden, bilden den hauptsächlichsten Reichthum der russischen Edelleute. Natürlich oben an steht die Menge von Leibeigenen. Dies Hüten der Pferde ist eine der wildesten, traurigsten, heroischsten Arbeiten. Der Pferdehirt hat einen sehr hohen Lohn, muß sich aber jeden Verlust eines Pferdes durch Wölfe u. s. w. abziehen lassen. Das Leben eines russischen Pferdehirten ist eine ununterbrochene Aufregung, ein Kampf ohne Ende. Nach zwei Jahren ist der Hirt ohne Fähigkeit für jede andere Beschäftigung, und zehn bis fünfzehn Jahre reichen hin, auch den Stärksten, Wildesten aufzureiben. Die Steppen gleichen denen in Tejas: im Winter bleich und brach, im Sommer oft wogende Meere von Gräsern und Blumen, in Sibirien zuweilen 30 bis 40 Meilen groß von Reseda. Die Steppen jenseits des Azow’schen Meeres dehnen sich beinahe 1000 deutsche Meilen von Ungarns bis zur chinesischen Grenze aus. Manchmal ist das furchtbare Einerlei durch einen Fluß und ein Dorf von Haufen und Hütten unterbrochen; dann kann man aber wieder Tage lang und Nächte lang immer in einer Richtung vorwärts schlitten oder reiten, ohne eine Spur von Hügel oder Thal oder Baum oder Menschen zu finden. Ein großer Theil der Einkünfte des russischen Adels hängt von den Theilen der Steppen ab, die ihnen gehören und auf denen sie ihre Pferde im Sommer weiden, im Winter aber in kaum bedeckten Schuppen hungern und frieren lassen; denn vom Heumachen ist nicht viel die Rede. Die Schuppen, in denen die ungeheuern Pferdemassen im Winter eingepfercht werden, bestehen aus Erdwällen, die oft kaum an der Nordseite etwas Dach haben, unter welchem sich die ältern und stärkern Pferde zusammendrängen, so daß die jungen, allem Unwetter ausgesetzt, im Freien jämmerlich ineinander kriechen. Die Zahl der einzelnen Roßheerden beläuft sich zuweilen auf Tausend und mehr, die zwei Hirten wahren und hüten müssen. Im dritten Jahre werden sie in der Regel auf Pferdemärkte getrieben, die an verschiedenen Stellen der Steppen gehalten werden. Hier kauft die Regierung, hier kaufen selbst Tscherkessen und Kaukasier. Der Hirt hat blos eine ungeheure Lasso-artige Peitsche, eine Schlinge und eine Wolfskeule. Ein großartiges Schauspiel gewähren oft die Kämpfe der Pferde gegen Wolf-Attacken. Sobald ein „Taboon“ (Heerde) angegriffen wird, stehen sie plötzlich wie Ein Mann für Alle. Kaum hat eins der Pferde das Zeichen gegeben, laufen Hengste und Stuten geschlossen und wüthend dem Feinde entgegen, und schlagen ihn oft blos durch diesen Marsch in geschlossenen Reihen in die Flucht, oder treten die Herankommenden mit den Hufen nieder. Doch kehren die Wölfe nicht selten in verstärkter Zahl wieder und heulen umher, bis sich etwa ein Fohlen etwas zu weit verirrt; dies wird gepackt und zerrissen, sehr oft auch die zu Hülfe eilende Mutter. In der Regel werden dann alle Fohlen von den Stuten in einen Zirkel eingeschlossen und geschützt, während die Hengste ihre Angriffe mit Kühnheit erneuern und mit den Hufen und Köpfen auf die Wölfe schlagen, sobald diese nahe genug kommen. Außerdem thut der Hirt mit der Keule das Seinige. Am Furchtbarsten sind die Attacken der vom Hunger wüthenden Wölfe in Winternächten, wo sie sich oft, in den Hals eines Pferdes eingebissen, lieber von andern Pferden oder dem Hirten todtschlagen lassen, als ihre Beute aufzugeben.




Fürst Milosch. Von Hause aus ein Bauer, ward er 1813 durch russischen Einfluß zum Fürsten von Serbien erhoben, und war es seitdem über diesen kriegerischen, „unabhängigen“, schönen Menschenschlag bis 1839) geblieben. Die Serbier gehören in Literatur, Poesie, malerischen Trachten und lustigen Volkssitten zu den interessantesten Bewohnern Europa’s.

Milosch vereinigt die Eigenschaften eines Tyrannen und eines Volksfreundes auf die genialste Weise in sich. Er ist sinnlicher, grausamer, falscher als irgend ein Despot; dabei lassen sich aber die Bauern für ihn todtschlagen, blos weil er es früher gelernt und nicht vergessen hatte, mit ihnen nach ihrem Schnabel zu reden. Wenn er Reisen machte, gukte er in’s Volk hinein, und rief sich irgend ein schmutziges Individuum, das er vor zwanzig Jahren einmal gesehen, bei dessen eigenen Namen heran. „Nun, Peter, wie geht Dir’s jetzt? Lange nicht gesehen. Was machen Frau und Kinder? Ist die Rieke oder Röse verheirathet?“ Oder er besuchte gar einen alten Kollegen und ließ sich den Schweinestall aufmachen. „Oh Milo, Kerl, die Schweine gefallen mir noch nicht. Mach’ nen gute Tage, bis sie 100 mehr wiegen.“ Der Bauer ist nun begeistert für den Fürsten und die Schweine-Historie wandert von Haus zu Haus und Dorf zu Dorf und bekehrt die tollsten Freiheitsköpfe zur Unterthanentreue. In den Städten war er freilich desto verhaßter, denn er ist im barbarischsten Grade der Repräsentant eines sehr verbreiteten nationalen Unglücks, das in der Herrschaft des Landes über die Stadt, der Rohheit über Urbanität besteht. Dies Verhältniß machte den französischen Staatsstreich, und ließ in alter und in neuer Zeit alle Staatsstreiche gelingen. In den Städten kennt man Milosch nur als strengen Steuereinnehmer und durch Akte der Willkür und Rache. Da er weder lesen noch schreiben kann, (an der Spitze eines Volkes, das in der hochtönendsten Sprache eine sehr reiche, hochpoetische Literatur hat, und überall singt und dichtet und improvisirt), giebt er seine Befehle blos mündlich und entscheidet manche Streitigkeiten, zu welchen man anderswo ein Fuder Papier und das Vermögen beider Parteien braucht, mit einem einzigen Machtspruche ohne Brief und Siegel und Appellation. Das machte ihn bei dem Sieger im Prozesse zum Gott, bei dem Unterliegenden zum Satan, vor dem ungebildete Leute mehr Respekt haben, als vor dem himmlischen Vater. Ohne Kenntnisse und Religion und ohne die Entschuldigung, die dem Türken sein Glaube bietet, bekamen seine türkischen Unsitten das Gepräge des Wüstlings. In seiner Eifersucht ermordete er einmal Kora George, schnitt den Kopf ab, stopfte ihn aus und schickte ihn dem Sultan zum Präsent. Seine Tyrannei führte endlich 1839 zu der bekannten Revolution und ihn in’s Exil nach der Wallachei, wo er seinen aufgehäuften Reichthum und seine Manier, mit Bauern umzugehen, stets so anzuwenden wußte, daß er Aussicht haben soll, wieder eine Rolle zu spielen. Er empfängt seine Freunde aus Serbien und der Wallachei, und hat immer Geld – viel Geld – und Wein und Delikatessen in Fülle. Er soll jetzt ein Freicorps geworben haben.




Das größte Dampfschiff. Die „Ostdampfschifffahrts-Gesellschaft Englands hat jetzt ihr großes Dampfschiff anfangen lassen, und zwar in der riesigen Anstalt Scott Russel’s zu Millwall. Der Kiel, allein aus 15,000 Centnern Eisen bestehend, ist fertig. Das Schiff soll in zwei Jahren contractlich vollendet sein. Die Länge des Hauptdecks wird 700 Fuß betragen (130 mehr, als die des „Himalaya), die Breite 83 Fuß, die Höhe mit 4 Etagen oder Decks 58 Fuß. Der große Salon wird 80 Fuß lang und 15 hoch. Es wird 10,000 Tonnen (d. h. 200,000 Centner tragen und selbst etwa 240,000 Centner) wiegen. Für Kohlen wird so viel Raum geschafft, daß es in einer Tour um die ganze Erde dampfen können wird. Für Leute „erster Klasse“ bekömmt es 500 besondere Wohnungen, dabei viele Hunderte von Cajüten für Personen zweiter und dritter Klasse und noch ein Paar Tausend Mann Soldaten. Die combinirte Schrauben- und Rädertriebkraft wird der von 2800 Pferden gleichen. Der Hauptkörper des Schiffs bekommt eine doppelte Eisenhaut, zwischen welcher 2 Fuß 6 Zoll leerer Raum gelassen werden. Es wird 14 wasserdichte Räume enthalten, so daß das Schiff untergehen könnte, ohne daß die Personen ertrunken und möglicherweise durch Taucherglocken wieder heraufgeholt werden könnten (freilich nicht aus Tiefen von 1/4 deutscher Meile und mehr). Nach den bisherigen Erfahrungen braucht die Triebkraft nicht in demselben Maße zuzunehmen, als das Gewicht, wenn dieses Gewicht sich in die Länge vertheilt. Die große Länge dieses Riesenschiffs wird also der Triebkraft eine viel größere Gewalt und dem Schiffe eine viel größere Schnelligkeit geben, als man nach bloßer Berechnung der ungeheuern Gewichtsmasse würde erwarten können. Die Amerikaner, die von diesem gigantischen Unternehmen gehört haben, sollen übrigens stark hinterher sein, dem 700 Fuß langen Dampfer eine 1000füßige Pfeife entgegenzubauen. Und wenn das noch lange so fortgeht, baut man einstmals ein Schiff, das gleich von England bis Amerika reicht, so daß man gleichsam zu Lande hinübergehen kann.




Literarisches. Der durch seine ehemalige parlamentarische Wirksamkeit bekannte und aus seiner Stellung als höherer Gerichtsbeamter in gezwungene Ruhe versetzte Herr Schultze-Delitzsch hat seine Muße benutzt, um einen höchst edlen, menschenfreundlichen Plan auszuführen. Weit entfernt von allen socialistischen Ansichten, vielmehr bestrebt, das eigentliche Mittel zu ihrer wirksamsten Bekämpfung zu suchen, glaubt er dasselbe in dem Associationswesen finden zu müssen, um dadurch zunächst dem kleinen Gewerke wieder zur Selbstständigkeit zu verhelfen, damit dasselbe nicht der Capital-Konkurrenz unterliege und der Handwerker zum bloßen Lohnarbeiter herabsinke. Es giebt Länder, wo die Capital-Association schon so ausgebildet ist, daß auch der kleinste Besitzer mit seiner Vermögens-Partikel sich betheiligen kann, und der Arbeiter bei demselben Unternehmen, für welches er arbeitet, auch als Gesellschafter betheiligt ist. Herr Schultze-Delitzsch hat in dem Kreise, auf welchen er durch seinen Charakter, seine Thätigkeit, und seine Einsicht Einfluß hat, sich bemüht, diese Idee durchzuführen und mit einem großen Verständniß klein begonnen, sowohl um Erfahrungen zu sammeln, als auch in der Ueberzeugung, daß es vor Allem erst darauf ankommt, Keime zu stecken, sicher davon, daß das Beispiel später das Beste thun werde. In einem Werke. „Associationsbuch für Deutsche Handwerker und Arbeiter“ hat er sowohl über die Stellung der größern Industrie wie der Gewerke in den verschiedenen Ländern vieles Beherzigenswerthe bemerkt, als auch hauptsächlich dargelegt, was nach seinem Plane bereits in verschiedenen seinem Wohnsitze nahe gelegenen Ortschaften geleistet worden ist. Es fehlt uns hier an Raum, näher auf die erzielten Resultate, sowie auf eine Besprechung seiner Statuten einzugehen. Wir bemerken nur, daß schon jetzt manches Segensreiche erzielt worden und daß es von höchstem Interesse für alle Kreise der Gesellschaft sein wird, sich mit dem Inhalte jenes Buches genauer bekannt zu machen, das besonders auf den Handwerkerstand und alle wahren Freunde desselben berechnet ist. Es ist darin der Weg eines gesunden Socialismus angebahnt, durch dessen besonnene und eifrige Betretung man die Irrgänge des falschen vermeidet. Die in dem Buche gegebenen Mittheilungen über Krankenunterstützungsvereine – Associationen für nöthige Lebensbedürfnisse – Vorschußvereine und über die Buchführung einzelner Associationen – sind für Alle, welche sich für Gemeinwesen interessiren, von höchster Wichtigkeit.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_238.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)