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ihm Rußland doch im Frieden mit der Türkei 1791 seine „Unabhängigkeit“ zu verschaffen. Da es diese nicht vertragen konnte, kam ihm Rußland so zu Hülfe (ersucht von einem Prinzen von Georgien), daß seit 1798 die Georgier alle Plackereien, sich selbst zu regieren, ausschließlich den Russen zu übertragen für gut befanden. Die Bevölkerung schätzt man auf 450,000 Seelen. Die Hauptstadt Tiflis (von Tbili = warm wegen ihrer warmen Quellen und dem italienischen Klima vom April bis November, von den Georgiern Tbilisk Alaki, warme Stadt, genannt) erhebt sich an den Ufern des Kur, der hier durch ein prächtigen Thal zwischen zwei Waldbergreihen fließt, am Ende der einen Bergreihe stolz mit seinen massiven, starken, hohen Thürmen, beschattet von öden, dunkeln Hügeln. Sie liegt auf beiden Seiten des Flusses, die eigentliche Hauptstadt am westlichen Ufer. Hier erheben sich die Paläste des reichsten Adels, der große Bazar, schöne Plätze, prächtige Kirchen, die Bureaux der Regierung und der Palast des Gouverneurs. Der neue Stadttheil, seit der russischen Zeit angelegt, zeichnet sich aus durch prächtige, gerade Straßen von Häusern und Palästen, ganz im Style europäischer Civilisation. Der „Goretuban“ wäre etwa mit den „Linden“ in Berlin zu vergleichen. – Am linken Ufer liegt die Vorstadt Awlabar, eine große Karavanserei von Kasernen, langen Häuserreihen und manchen blühenden Werkstätten und Läden, die fast durchweg in den Händen Deutscher sind. (Wo findet man nicht Deutsche?) Der Engländer, der Tiflis zuletzt sah und beschrieb, nennt sie Süddeutsche, giebt aber keine nähern Umstände an.

Im alten Tiflis sind Straßen und Häuser größtentheils eng und schlecht, wie man dies im Gegensatz zu neuen Stadttheilen in allen „Altstädten“ der Welt finden wird, nur nicht in Amerika, das gleich von vorn herein neue Stadttheile als ganze Städte gleichsam fabrikmäßig und en gros baut, ohne erst „Altstädte“ abzuwarten. Seitdem aber die Einwohner von Tiflis mehr und mehr mit den Genüssen der Civilisation bekannt geworden, haben sie angefangen, aus Hütten Häuser zu machen und enge Straßen niederzureißen, um weite mit Palästen an deren Stelle zu bauen. – Die Zahl und theilweise Pracht der Kirchen ist imposant. Man findet fünfzehn griechische, zwanzig armenische und zwei katholische Kirchen. Beide Stadttheile sind durch eine Brücke da, wo der Fluß durch vorspringende Felsen eingeengt, eine Stromschnelle bildet, verbunden. Ihr Bogen ist 31 Fuß über dem Flusse und 1100 Fuß über dem Spiegel des schwarzen Meeres.

Tiflis.

Auf der Awlabar-Seite stehen hier Ruinen eines alten Forts, einer Kirche und von Häusern, Ueberbleibseln der Verwüstung eines persischen Chans im Jahre 1795, der das damals „unabhängige“ Georgien den Russen streitig machen wollte.

Die größte Natur-, Kunst- und Civilisationsmerkwürdigkeit von Tiflis sind die warmen Heilquellen und Bäder, die noch eine Zukunft haben, da mit zunehmender Civilisation auch Rheumatismus, Gicht und Hautkrankheiten zunehmen werden. Die Quellen springen in großer Anzahl am Südende der Stadt aus Kalksteinschichten hervor, von welchen sie in große, ausgehauene Felsenhöhlen fließen, die in verschiedene Abtheilungen abgebaut, dem männlichen und weiblichen Geschlechte und den verschiedenen Ständen als Badehäuser dienen. Sie werden sehr romantisch beschrieben. Die dunkeln Höhlen mit ihren natürlichen Felsenwänden sind blos durch schwaches Lampenlicht halb erleuchtet und auch das kaum, da das Licht nur spärlich durch die heißen Dämpfe, welche die Räume erfüllen, hindurchdringen kann.

Die Einwohnerzahl von Tiflis wird auf 50.000 geschätzt. Die Hälfte sind starke, große Armenier, die andere Hälfte besteht aus alten griechischen Christen, kaukasischen Stammes, römischen Katholiken (darunter Deutsche) und Muhamedanern verschiedenen Stammes. Zuweilen lassen sich auch Cirkassier aus den Bergen unangefochten sehen, um hier Pferde, Lebensmittel zu kaufen und mit der Civilisation bekannt zu werden, der sie auf die Dauer doch nicht widerstehen. Sie ist mächtiger, als der seit einem Jahrhundert fortgesetzte Krieg der Russen. Der Kriegszustand mit den Russen bringt ihnen keine Gefahr, wenn sie als Handelsleute kommen – eine russische Politik, die feiner ist, als man glaubt, wie sie denn überhaupt neuerdings gegen ganz Europa feiner war, als sich Napier’s, Aberdeen’s, Napoleon’s träumen lassen mögen. –

Die kaukasische Freiheit, so sehr man sie in ihrer Aufopferung achten muß, stellt sich in der Wirklichkeit nicht sehr dichterisch dar. Ihre Freiheit besteht darin, daß sie in viele Stämme zerfallen. die alle wenig arbeiten, nichts lernen und lesen, da sie nichts von Literatur, ja noch nicht einmal ein A-B-C-Buch haben. Sie leben von Salz und Beute. Ihre größte Tugend ist stehlen. Wenn ein Mädchen ihrem Anbeter einen Korb geben will, wirft sie ihm vor, daß er noch nicht eine Kuh gestohlen habe. Sie erinnern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_253.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)