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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

ja mein Kind! zur Lust des letzteren den Scherz endet, um ihn durch die lebhaftesten Zeichen des Wohlgefallens des Kleinen dazu aufgefordert, von Neuem wieder zu beginnen. Jetzt ist durch häufige Wiederholung der Nachahmungstrieb – diese wichtigste Triebkraft zu geistigem Fortschreiten – auf das Lebhafteste angesprochen und beginnt sich zu äußern, das Kind ist im Verständniß dieses Spielen so weit vorgeschritten, daß es sich verstecken läßt oder sich selbst versteckt, um gesucht und gefunden zu werden, daß[WS 1] es nach dem Orte blickt, von woher ihm der Ruf der sich verbergenden Mutter tönt. Es wird nun mit der Mutter so wie jene zuvor mit ihm spielen. Durch Lächeln oder Lallen wird es der Mutter seine Gegenwart anzeigen. Da es noch nicht selbst sich entfernen kann, so wird es durch Verstecken des Köpfchens oder durch Verdecken des Gesichts mit einem Tuche etc. sein Fern- oder Verborgensein ausdrücken, und in freudiger Spannung wird es den Augenblick erwarten, wo die Mutter es findet. – Dieses Spiel, welches in einem wiederkehrenden Entgegensetzen oder Trennen und Wiedervereinigen der Persönlichkeiten, der Mutter und des Kindes, besteht, begründet im Kinde das Bewußtsein seines Ich, seiner Person, und mit diesem Bewußtsein, so dunkel es immerhin noch sein mag, beginnt nun – leibliche Kraft und Gesundheit vorausgesetzt – in Wahrheit erst das geistige Leben des Kindes, beginnt jene fortlaufende Kette von Geistesthätigkeiten, die im ersten Kinderspiele symbolisch vorgebildet, – ein immer wiederkehrendes Suchen und Finden des Verborgenen sind.

Mit dem Auftreten des Bewußtseins, mit den ersten deutlichen Aeußerungen bewußter Sinnesthätigkeit und den Nachahmungstriebes ist die erste geistige Entwicklungsperiode zurückgelegt. Der Zeit nach fällt dieser Abschnitt nach dem ersten Vierteljahre, das, wegen der Zeichen noch mangelnden, dann mangelhaften Bewußtseins in der Volkssprache auch das „dumme“ genannt wird. – Es beginnt jetzt die zweite Periode, die schon durch eine größere Selbstthätigkeit des Kindes sich auszeichnet, und die Aufgabe der Erziehung erweitert. Auch die Spiele gewinnen jetzt an Umfang und Bedeutung und schließen sich in größerer Mannigfaltigkeit dem Bedürfnisse des sich erweiternden Sinneslebens und den ersten Versuchen zu freier Bewegung und zur Sprachnachahmung an.




Hans Christian Oersted.

Durch Tausende von Fäden, die Nerven, ist der Mensch an die Außenwelt geknüpft. Aus einem gemeinsamen Mittelpunkte, dem Gehirn, laufen sie durch alle Theile seines Leibes, nach jedem Punkte seiner Körperoberfläche. Dort stehen sie als Kunde empfangende Wächter und als Kunde gebende Sendboten, nimmer, rastend in der blitzähnlichen Behendigkeit ihres räthselhaften Doppelamtes, welches so schnell wechselt, so schnell, daß seine Geschwindigkeit nur mit sich selbst verglichen werden kann: der Schnelligkeit des Gedankens, der den Sturmwind und den Blitz und den Schall und den Lichtstrahl als Lahme hinter sich zurückläßt.

Im Nu von der Außenwelt gezeugt, im Nu aus dem Gehirn, dem Mutterschooße des Geistes, geboren, tritt der Gedanke, neugeboren und sofort selbst wieder zeugungskräftig in die Welt hinaus und knüpft den Menschen an den Menschen, das Volk an das Volk, baut aus den Menschen die Menschheit auf.

Die zarten Fädchen der Nerven, die weiche Masse des Gehirnes erfüllen den todten Erdball mit Leben, erheben das Leben zum Geist; sie ziehen die ganze unermeßliche Außenwelt in unser kleines Innere hinein und stellen unser Inneres als etwas Gegenständliches aus und heraus, damit wir dieses wie jenes erkennen.

Wie wunderbar! bis jetzt nur das Ergebniß der Thätigkeit unseres Nervensystems kennend, was wir bald Wollen, bald Denken, bald Empfinden nennen, müssen wir, um der Erkenntniß seines Wesens um einen Schritt näher zu kommen, dies unbekannte Wesen selbst danach fragen, daß es uns sage, was es sei; wir sind dabei Fragender und Gefragter in einer Person.

Bisher haben wir auf diesem großen Kampfplatze der neu gewordenen Wissenschaft vorerst eine wichtige Antwort erhalten: Stoff und Kraft sind untrennbar Eins.

Siehst Du also eine Wirksamkeit, so suche nach einem Stoffe, dem die Kraft angehört, von welcher jene Wirksamkeit ausgeht.

So suchen jetzt unbestechliche Denker nach dem Räthsel unserer Gehirn- und Nerventhätigkeit; und giebt es für den Menschen eine höhere Aufgabe?

So suchte auch der Mann, dessen Bild wir heute vor uns haben, nach einem Naturgesetze, dessen Aeußerung ohne Zweifel in der allernächsten Verwandtschaft zur Nerventhätigkeit steht und dessen Wirkungen, nachdem jenes Gesetz gefunden war, heute noch selbst der Kundige kaum mit minderem Staunen sehen kann, als der Laie. Oersted eroberte nach langjährigem und beharrlichem Kampfe gegen das Dunkel, hinter welches die Natur sich so oft verbirgt, den Elektro-Magnetismus; denn so muß man es nennen; nicht entdecken oder erfinden, wobei ja oft der glückliche Zufall das Hauptverdienst hat. Ihm verdankte Oersted nichts; was er fand, das hatte er gesucht.

Es sind in Folge dieser großen Entdeckung oder, wie wir es eben lieber nennen, wissenschaftlichen Eroberung nicht minder Tausende von Fäden, wodurch Ost an West, Süd an Nord geknüpft ist. Die Geschwindigkeit, womit die Kunde eines Schalles vom Ohr nach dem Gehirn fliegt und dort zur Vorstellung wird, ist nicht größer, als diejenige, mit welcher die Depesche auf den Drähten des elektromagnetischen Telegraphen von Paris nach London gleitet. In einer Secunde legt der elektrische Strom 62.000 Meilen zurück. Die dabei zu Tage tretende Erscheinung ist hier wie dort beinahe dieselbe.

Bedarf es noch weiterer Worte, um eines Mannes Bedeutung für die Menschheit zu schätzen, dessen große Erfindung das Nervensystem des menschlichen Körpers in ein Nervensystem der Menschheit umwandelte? Ober wäre dieser Ausspruch da falsch, wo in derselben Secunde in Hamburg ein Gedanke vernommen wird, den Jemand in Wien aus den Nerven seiner Fingerspitzen auf den elektromagnetischen Telegraphendraht überströmen läßt? Ist das nicht ein wahres Aneinanderknüpfen der Nerven der beiden so weit von einander entfernten Männer?

Wenn die Erfindung der Buchdruckerkunst und der Benutzung der Dampfkraft bisher die größten Erfindungen waren, so ist die elektromagnetische Telegraphie die dritte im Bunde; und Oersted, ihr Begründer, ist der ebenbürtige Genosse von Gutenberg und dem ersten Erfinder der Dampfmaschine, über dessen Namen leider gestritten wird.

Hans Christian Oersted, 1777 in dem Städtchen Rudkjöbing auf der dänischen Insel Langeland geboren, war der Sohn eines unbemittelten Apothekers, daher die Bedingungen seiner geistigen Entwickelung wenigstens äußerlich keine besonders günstigen. Aber schon als zwölfjähriger Knabe wurde er vom Vater zur Mithülfe in die Apotheke gezogen und so die Richtung seiner geistigen Entwickelungsbahn durch seine chemischen Beschäftigungen vorgeschrieben. Wie Humboldt gleichen Schrittes mit einem im Alter nur wenig verschiedenen Bruder im thätigsten Wetteifer fortschreitend, ging er mit diesem 1794 nach Kopenhagen, wo zuletzt beider Studienbahnen eben so weit auseinander gingen, wie die der Gebrüder Humboldt. Hans Christian Oersted wurde der größte Physiker und der um ein Jahr jüngere Brnder der größte Rechtsgelehrte des Nordens. Beide mit einem Eifer, der bald allgemeine Bewunderung erregte, ihren Studien sich hingebend, versäumten sie fast den Umgang mit der Welt, und ihr beinahe einziger, aber um so innigerer Genosse war der nachmalige große Dichter Oehlenschläger, den das greise Brüderpaar in der letzten Zeit zu Grabe geleitete.

Wie es selten vorkommt, so durchdrangen in dem langen Zeitraum von mehr als einem Menschenalter diese drei Geister einander so innig, daß einer dem andern von seinem Wesen mittheilte; und es ist ohne Zweifel der Einfluß des geniale Funken sprühenden Oehlenschläger, daß Oersted’s Naturforschung innig verschwistert ist mit Begeisterung für das Schöne; während von dem philosophirenden Scharfsinn des jüngern Bruders ein Theil auf den älteren übergegangen ist; so daß er lange Zeit mehr für einen Naturphilosophen als für einen Physiker angesehen wurde.

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  1. Vorlage: das
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_257.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)