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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 24. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Das Haus am Meeresstrande.
Eine pommersche Geschichte von Oswald Tiedemann.
(Fortsetzung.)

„Eine Uebereilung? Wie klug die Dirne zu reden weiß! Aber das ist nichts, der ganze Handel kommt an den Tag. Ich habe eine ungerathene Dirne auferzogen, ein verleumderisches Kind, das sich nicht scheut, gegen den Vater zu zeugen. Muß ich so was Arges noch in meinen alten Tagen erleben! Sieh’, ich könnte Dich erwürgen, wenn die Strafe nicht all zu gering für Dein entartetes Beginnen! Sie ist schön, hat von ihrer Mutter gar manche Tugend geerbt, aber die Entartung lauerte darunter, die Tollsucht der Leidenschaft; sie kamen erst jetzt an Tageslicht. Soll ich’s anders nennen? Du hast einen braven Kerl zum Liebsten, der gegen diesen Junker aussieht, wie ein blühender Stamm gegen einen giftigen Pilz, Du hast eine schöne Zukunft, aber Dir geht das Gelüst über Alles. Sieh’, Katharine, mein Haar ist grau, willst Du, daß es vor Zeiten weiß werden soll? Ich habe Dich gehegt und gepflegt, als Deine Mutter starb, ihre Stelle vertreten. Ich habe gehungert, ich kann es Dir wohl sagen, um Dich nicht darben zu lassen. Du solltest die Freude meines Alters werden; das ist nun aus. Es sitzt mir nun hier im Herzen, da wird es sitzen bleiben, um sich fressen, bis ich zu Grabe fahre. Möge es der Himmel fügen, daß es zeitig geschehe, denn nun ist auch die einzige Hoffnung meines Lebens dahin. Was wird Rudolf sagen? Ich höre ihn Dich verwünschen und sehe ihn die Hände ringen. Geh’ wohin Du willst, ich halte Dich nicht, ich warne Dich auch nicht mehr. Wer den Vater und den Geliebten zugleich betrügen kann, dem kann man nur den Fluch zum Geleit geben, oder, wenn man ihn zu sehr geliebt, für ihn beten: Herr, laß ihn sterben in dieser Stunde!“ – –

Der alte Soldat weinte fast, und ballte krampfhaft die Hände. So schwankte er gegen das Haus. Die Pause die eintrat, benutzte der Junker, indem er rasch auf die regungslose Katharina zuschritt und ihr zuflüsterte: „Ich gehe; ich bin kein Freund von väterlichen Predigten. Ich erwarte Dich auf dem gewohnten Platze. Du kommst?“ – Mechanisch nickte Katharina mit dem Kopfe. Pfeifend entfernte er sich. Als er fort war, zuckte Katharina auf, ihr Blick folgte dem Junker, bis er im Walde verschwand, dann stürzte sie zu ihrem Vater, der sich zitternd an die Thürpfosten lehnte, und vor ihm nieder auf die Kniee. „Vater!“ rief sie dabei odemlos, „vergieb mir! Nichts Böses hab’ ich dabei im Sinne gehabt, als ich’s dem Junker erzählte. Ich war weit entfernt davon, zu glauben, es könnte Dir Schlimmes begegnet sein, was Du den Leuten nicht sagen dürftest. Wahrhaftig, Vater, ich rede die Wahrheit! Auch sagte der Junker damals nichts, daß Du bei dem Handel gewesen. Er hätt’s gewiß gethan, wenn Du ihn angefallen. Zu mir hätt’ er’s ganz gewiß gesagt.“

„Zu Dir? Also Du gestehst ein, daß Du ein Verhältniß mit ihm hast? Katharina! Katharina! ich wollt’ ich läge neben Deiner Mutter, tief unter der Erde. Ein alter Soldat hat nichts als seine Ehre, Du häufst Schande auf mein Herz. Du nimmst mir die Ehre. Du hast aufgehört mein Kind zu sein. Noch einmal sag’ ich Dir’s, mit gebrochenem Herzen, geh’ von meiner Schwelle, ich dulde Dich nicht mehr, wo ich verweile!“ Er nahm seine ganze Kraft zusammen, um die Worte mit Nachdruck zu sprechen, aber die Vaterliebe schwächte den Willen.

Katharina stand auf und entgegnete: „Vater, ich habe nichts einzugestehen, was ich nicht vor Gott verantworten könnte.“

„Und Deine Zusammenkünfte? Dein Heimlichthun mit dem Junker?“

„Ich liebe ihn nicht; ich liebe nur Rudolf.“

„Und wirst Du noch ferner mit dem Junker zusammenkommen? Mir schwamm es vor den Augen, aber doch glaubt’ ich zu sehen, daß er Dir etwas in’s Ohr flüsterte, daß Du Ihm zunicktest? War’s nicht so, Katharina?“

Er hing an ihren Lippen, als schwebe auf ihnen eine Entscheidung von Leben und Tod.

Katharina sprach: „Du hast recht gesehen, Vater. Ich werde dem Junker folgen und ihn sprechen.“ –

„Fluch Dir, verworfene Heuchlerin! Mit Lügen und Ränken willst Du noch meinen Verstand umstricken, nachdem Du mir das Herz mit Deinem Thun zerschnitten? Ich hätte beinah’ geweint, ich, ein alter Soldat, als ich Dich verlieren sollte; schämen muß ich mich, mir in’s Gesicht schlagen, daß ich mich so schwach zeigen konnte. Nun bist Du entlarvt. Ich werde nicht mehr weinen, aber ich schwör’ es Dir zu Gott, betrittst Du noch einmal meine Schwelle, und hast mit dem Junker gesprochen, Du hast den Himmel zum letzten Male gesehen. Dein Junker mag thun mit mir, was er will, mich soll’s nicht rühren. Ich habe nichts mit ihm zu thun gehabt, ich bin unschuldig an seiner Wunde; aber was seine Bosheit mir noch bringen kann, brauch’ ich nicht zu fürchten. Das Elend ist recht über mich gekommen. Recht geschieht mir! Hab’ ich doch immer gemurrt und geklagt. Geh’, geh’ fort, ich mein’ es gut! Der Zorn könnte mich noch vorher zu einer That verleiten, die Dir den Garaus machte. Grüß’ Deinen Junker! Vielleicht, wenn Du recht gefällig gegen ihn bist, scheert er sich nicht mehr um den grauköpfigen Thoren, dem Du das Leben verdankst!“ –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_273.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)