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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Aroma gründlich zu genießen. Kann sich der Harem durch Intriguen auch „Liqueur“ oder auch nur gemeinen Fusel verschaffen, desto besser. Von Geist und geistiger Nahrung kommt ihnen nichts zu, kein Buch, keine Literatur, keine Erzeugnisse der Kunst. Von Liebe zu ihrem „Eigenthümer“ kann auch keine Rede sein. So vergehen ihre öden Tage in thierischem Müßiggang, Klatschereien, Intriguen, mit Rauchen, Kaffeetrinken, Sehnsucht nach „Spiritus“ und in Bemühungen, durch Reiß und Hammelfleisch fett, d. h. türkisch schön zu werden. Zuweilen dürfen sie ausgehen und einkaufen oder auf den prächtigen Kirchhöfen die Todten beweinen oder mit Lebensgefahr Liebes-Intriguen spielen.

Die Stellung des weiblichen Geschlechts unter einem Volke ist ein Hauptmerkmal von dessen Civilisation. Das weibliche Geschlecht der Türken kann nicht niedriger gedrückt werden, als es ist. Nichts als Werkzeuge, Sachen, gekauftes Eigenthum. Dies hat für unsere Begriffe etwas Empörendes, um so mehr, als das weibliche Geschlecht in der Türkei sich durch die schönsten Tugenden auszeichnet, welche die Schönheit und Heiligkeit der Familie begründen, ganz besonders durch mütterliche Liebe zu Kindern und kindliche Verehrung der Aeltern, wenigstens der Mutter. Das weibliche Geschlecht ist nicht nur in der Regel schön, sondern auch von der größten Gutmüthigkeit und voll der herrlichsten Anlagen. Alles wird schmachvoll unterdrückt durch ihr sociales Loos. Das Weib in höhern Kreisen wird Gefangene des Harems, in niederen Plackholz des Hauses, um dem krummbeinigen Manne, der auf seinen Füßen sitzt und raucht, Essen und Trinken zu schaffen.

Diese Art von „Integrität“ wird nun allerdings nicht länger aufrecht erhalten, und diese Wirthschaft könnte durch die vereinigten Heere der Russen, Türken, Engländer, Franzosen, Preußen und Oesterreichs nicht gerettet werden, seitdem die Soldaten des Westens auf Türkisch zu sagen gelernt haben: „Ich liebe Dich! Du bist sehr schön!“ Liegt doch schon in diesen schnöden Spielereien übermüthiger, müßiger Krieger des Westens für die türkischen Damen eine höhere Civilisations- und Sittlichkeitsstufe!

In dem türkischen Boden schlummern unermeßliche Schätze mineralischen und vegetabilischen Reichthums, eben so in den verwahrlosten Herzen und Köpfen der Menschen. Diese in Todesschlummer gezwungenen Schätze warten nur auf den Tod des alten Türkenthums, damit alle Erden- und geistigen Kräfte zu freudigem Leben auferstehen. Was der Orient Schönes, Edeles in sich hat, wird nicht mit dem Lande sterben, sondern vielleicht als Ersatz für den geistigen und materiellen Export des Westens im Abendlande seine neue Culturstätte finden, mehr, als einst die Kreuzzüge für die Cultur des Westens sich wohlthätig erwiesen.




Aus der Menschenheimath.
Briefe des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Dreiundzwanzigster Brief.
Die Insektenverwandlung. 3. Der Puppenzustand.

Ich schloß meinen letzten Brief (Gartenlaube Nr. 18) mit der Bemerkung, daß ich Dir im nächsten sagen wolle, warum dort die Raupe (Fig. 11 sich durch einen Seidengurt um den Leib an dem Aestchen festgebunden habe. Ich komme daher zunächst hierauf zurück. Jene Raupe befestigte sich aber außerdem noch auf andere Weise. Ehe sie jenen Gurt mit dem Spinnapparate ihres Maules spann, heftete sie ein kleines verworrenes Häufchen feiner Seidenfäden an der Rinde des Aestchens fest. Dies sollte eine Art Ankergrund sein, um die beiden After- oder Larvenfüße ihres letzten Leibesringels darin festzuhaken. Es sind nämlich die Afterfüße der Raupen mit einem doppelten Kreise sehr feiner Häkchen besetzt, was ihnen das Gehen auf glatten Flächen sehr erleichtert.

Erst nachdem sie so mit dem Ende ihres Leibes befestigt war, spann sie sich jenen Gurt, den Dir auf meinem vorigen Bilde ein Sternchen bezeichnete. Diese doppelte Befestigung ist die Vorbereitung zur Verwandlung in die Puppe, welche die Raupen namentlich vieler Tagfalter machen. Nun sieh Dir auf meinem heutigen Bilde Fig. 1 an. Du erblickst hier in derselben Stellung, auf dieselbe doppelte Weise befestigt, an der Stelle der Raupe nun die Puppe. Fühlst Du was das sagen will? Laß Dich einmal bis an den Hals in einen Sack stecken und um den Leib und an den Füßen an einen Baumstamm festbinden; dann streife, ohne die Hände zu brauchen, und ohne der Bande an den Füßen und um den Leib Dich zu entledigen, den Sack ab. Würdest Du es können? Ich glaube es kaum. Die Raupe kann es. Sie hat den Sack, ihre Raupenhaut, abgestreift und sie unter dem sehr eng anliegenden Gürtel und von dem Seidengewirr am Schwanzende losgemacht. Die Haut fiel dann vom Baume herab; und während dieses Kunststückes hat sich die sechszehnfüßige gelenke Raupe in die fußlose steife Puppe verwandelt. Braucht es neben diesem einen der Tausende von natürlichen Wundern der Thierwelt noch erst ersonnener Wunder?

Vielleicht hättest Du nun gern, daß ich Dir genau beschriebe, wie hierbei die Raupe verfährt. Aber in der Natur gilt vor allem das Wort: „selber ist der Mann.“ Wir haben dies Jahr leider keinen Mangel an Insekten und ich fürchte, daß auch unser Baumweißling sich bereits in Menge eingestellt hat. Bald kommt die Zeit, dieses Wunder selbst beobachten zu können. Thue es!

Ich gehe daher zu Fig. 2 über. Sie zeigt Dir die Erfindung der Mäusefalle. Ich habe Dir schon einmal angedeutet, daß die Natur eine Menge Dinge den Menschen vorerfunden hat, und Du siehst hier einen solchen Fall. Ich meine jene bekannte, einem kleinen Vogelkäfig gleichende Falle, an deren oberem Theile nach abwärts ein Kreis von spitzen Drähten, trichterförmig zusammengeneigt, so angebracht ist, daß das Mäuschen durch ihn wohl leicht hinab zu dem lockenden Speck gelangen kann, indem sich die Drähte auseinander geben; durch den aber wie leicht begreiflich für die Gefangene nicht wieder herauszukommen ist. Gerade so nur in umgekehrter Wirkung, richtet sich die schöne Raupe des kleinen Nachtpfauenauges, Saturnia pavonia minor, ihr Puppengespinnst ein. Du siehst in Fig. 2 davon einen senkrechten Durchschnitt. Oben endigt es in einen sich verschmächtigenden Hals, der von kraus durcheinander gewirrten Coconfäden gesponnen ist. Unter diesem siehst Du einen nach außen in eine Spitze zusammengeneigten Kranz

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_294.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)