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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

jetzt noch einmal alle meine Anerbietungen, und fordere dagegen, daß Sie meine Heirath als eine unbesonnene Jugendthorheit betrachten und vergessen.“

„Julius, Julius!“ schluchzte die arme Frau, „Ihre Liebe zu mir nennen Sie eine Jugendthorheit?“

„Ich habe Sie aus Mitleiden zum Altare geführt.“

„Das ist gräßlich!“ stammelte Helene. Sie weinte einen Augenblick still vor sich hin, dann trocknete sie ihre Thränen und sagte in einer würdevollen Fassung: „Es ist wahr, Julius, ich war arm, als Sie mich in Wien kennen lernten, ich sorgte durch meiner Hände Arbeit für meine kranke Mutter, und hatte oft mit Noth und Entbehrung zu kämpfen; aber was schworen Sie mit einem furchtbaren Eide, als ich, das arme Mädchen, Ihren Liebesbetheuerungen nicht glauben wollte? Sie schworen, sich zu tödten, wenn Sie mich nicht als Gattin heimführen könnten. Damals sprachen Sie nicht von Mitleid, damals war ich nur das Ideal Ihrer Liebe, die Gattin, wie sie Ihre Phantasie sich gedacht hatte. Und mußte ich nicht an die Uneigennützigkeit Ihrer Liebe glauben, da ich Ihnen nichts als meine Ehre und meine innige Zuneigung bieten konnte? Um meine letzten Zweifel zu heben, ließen Sie sich mit mir trauen, ich war die Ihrige, und Sie versicherten mich, daß Sie völlig glücklich seien. Da reisten Sie ab, um meine Ankunft vorzubereiten und versprachen, mich in zwei Monaten Ihrer Familie zuzuführen. Ich erhielt von Zeit zu Zeit Briefe und auch an Mitteln zu meiner Existenz ließen Sie es nicht fehlen; aber Sie kamen nicht zurück und hielten mich zwei Jahre mit der Versicherung hin, daß Sie Ihren Vater nur vorsichtig auf unsere, ohne sein Wissen vollzogene Heirath vorbereiten müßten, da er ein anderes Heirathsproject entworfen habe, und der Verlust Ihres Vermögens auf dem Spiele stehe. Ich bin Ihre Gattin, Julius, und reiste nach Hamburg, um in ihrer Nähe zu leben. Sie haben mich hintergangen, Herr Morel; nicht Ihr Vater hindert Sie, mich anzuerkennen, sondern die Neigung zu einer andern, die Sie jetzt ebenfalls mit ihren Netzen zu umgarnen suchen, wie Sie mich umgarnt haben.“

„Ach, wie gut Sie unterrichtet sind!“ rief Julius höhnend.

„Es macht Ihrer Verschlagenheit alle Ehre, daß Sie sich so geschickt in den Besitz meiner Geheimnisse zu setzen wußten.“

„Das hat Gott gefügt, Herr Morel!“ rief Helene. „Ich bin zur rechten Zeit nach Hamburg gekommen, um Sie an Ihre Pflicht zu mahnen, um Ihre Ehre zu retten.“

„Meine Ehre? Wer hat sie angetastet?“

„Sie selbst!“

„Helene!“ rief drohend der Advokat.

„Sie schrecken mich nicht zurück, Julius, denn Ihre Ehre ist auch die meine, und wenn ich sie zu wahren suche, erfülle ich eine heilige Pflicht. Ich war zwei Jahre von Ihnen getrennt, und in dieser Zeit habe ich mich mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß ich von Ihrer Liebe mein Glück nicht erwarten darf – der heutige Tag hat es bestätigt. Sie können die arme, liebende Helene zurückstoßen, aber Ihre Gattin werden Sie vor der Welt anerkennen müssen.“

„Wer will mich dazu zwingen?“

„Ich, die arme Helene, die Sie diesen Mittag durch Ihre Domestiken auf die Straße werfen lassen wollten. Mein Herr, Sie haben Ihre Stellung mir gegenüber bezeichnet, ich werde Ihnen jetzt die meinige bezeichnen. Sie sprachen von der Ehe so geringschätzend, wie man von einem gewöhnlichen Handelscontrakte spricht: wohlan, ich verbanne die Liebe aus diesem Contracte, aber ich bestehe darauf, daß er gehalten wird. Mit meiner Bewilligung wird er nie gelöst werden, und Sie werden nun die Folgen Ihrer unbesonnenen Jugendthorheit, wie Sie unsere Heirath zu nennen beliebten, mit mir zugleich tragen. Sie werden morgen Madame Morel der Welt vorführen, und wenn Sie sich weigern – “

„Nun?“ fragte Julius höhnend. „Wenn ich mich weigere?“

„So gebe ich Sie der allgemeinen Lächerlichkeit preis. Man wird über Herrn Julius Morel, den man für den schlauesten Advokaten Hamburgs hält, herzlich lachen, und wo er sich zeigt, mit dem Hohne empfangen, den er verdient. Seht, wird man sagen, da ist der vorsichtige Jurist, der zuverlässige Mann, der die Gattin seines besten Freundes durch die raffinirtesten Floskeln zu verführen trachtete, der ihr die zärtlichsten, eindringlichsten Briefe schrieb, dem es endlich gelang, durch seinen Scharfsinn die arme Frau zu einer heimlichen Unterredung zu bewegen, und als er der Verführten den Schleier lüftete, seine eigene Gattin, die er schändlich im Stiche gelassen und hundert Meilen entfernt wähnt, vor sich sah, da ist der Mann, der sich für den Besieger einer tugendhaften Frau hält, der sich einbildet, daß er leidenschaftlich von Louise Raimund geliebt wird, und die gute Louise weiß kein Wörtchen davon, denn alle seine rührenden und scharfsinnigen Briefe sind nicht in ihre Hände gelangt.“

„Helene! Helene!“ rief Julius mit bebender Stimme.

„Ja, mein Herr, Sie wollten Ihren besten Freund betrügen, und nun sind Sie selbst der Betrogene. Nicht wahr, das ist eine lustige Geschichte? Was meinen Sie, wenn sie die Fama durch die Stadt trägt? Was meinen Sie, wenn man sich Ihre Briefe, ein Muster von Stylistik und Scharfsinn, in Abschriften in den Kaffeehäusern vorliest? Und das Alles hängt von mir ab, Herr Advokat – denn ich besitze die verhängnißvollen Briefe, von deren Existenz Madame Raimund keine Ahnung hat. Jetzt kennen Sie meine Waffen – es steht bei Ihnen, den Kampf einzustellen oder fortzusetzen.“

Julius stand wie versteinert in der Mitte des Saales. Wie aus einem tiefen Nachsinnen raffte er sich plötzlich empor und fragte: „Helene, wo sind die Briefe?“

„Hier!“ rief triumphirend die junge Frau, indem sie ihm ein kleines Paket zeigte.

„Und wer gab sie Dir?“

„Der Schutzengel Louise’s, der sie empfing und aufbewahrte.“

„Gestehe es nur, der Doctor Friedland!“ sagte der Advokat.

Joseph konnte sich nicht enthalten, die Hände des Doctors inbrünstig zu drücken.

„Sie gehören mir,“ fuhr Helene ausweichend fort, „und der freundliche Geber überläßt sie mir so lange, als es zu meiner Sicherstellung nöthig ist.“

Der Advokat betrachtete sinnend die wirklich reizende Helene, die mit hoch gerötheten Wangen und flammenden Augen vor ihm stand.

„Weib,“ rief er plötzlich aus, „welch ein Geist ist in Dich gefahren?“

Die junge Frau trat ihm näher, und ergriff seine Hand.

„Julius,“ sagte sie in einem weichen Tone, „mächtiger noch als die Liebe der Jungfrau, ist die Liebe einer Mutter. Für das Glück ihres Kindes kämpft sie mit dem Muthe eines Mannes; aber sie verzeiht auch eben so leicht, wenn sie auf friedlichem Wege ihr Ziel erreichen kann. Sorge für Dein Kind, schaffe ihm eine ehrenvolle, glückliche Zukunft und Du hast die erzürnte Mutter nicht mehr zu fürchten. Meine Liebe opfere ich – aber nicht mein Kind.“

„Jetzt ist es Zeit,“ sagte der Arzt, indem er aufstand, die Thür öffnete, und Joseph in den Saal zog.

Bei dem Erblicken der beiden Männer erbleichte der Advokat.

„Mein Herr,“ sagte der Arzt, „unser Prozeß ist zu Ende. Wir kommen nicht, um Ihnen Vorwürfe zu machen, sondern unser Erscheinen soll Ihnen nur andeuten, daß wir das Schicksal Ihrer armen Gattin kennen. Sie hat viel gelitten, und nur mit großem Widerstreben hat sie sich zu der Rolle verstanden, die ich ihr zugetheilt. Wären Sie weniger befangen gewesen, so hätten Sie die Pein Ihrer Frau erkennen müssen. Ich bestätige feierlich vor Gott, daß nur die Mutterliebe ihr die Kraft gab, sich meinem Rathe zu fügen. Aber auch Sie mögen meinen Rath hören: folgen Sie dem bessern Gefühle Ihres Herzens, und erfüllen Sie die eingegangenen Pflichten als ein braver Mann. Dann sind Ihre Verirrungen vergessen, und Sie können der Zukunft ruhig entgegensehen. Glauben Sie mir, die Zeit bleibt nicht aus, wo der Verstand zu ohnmächtig ist, um die Gewissensscrupel hinwegzuphilosophiren.“

„Julius,“ rief Joseph mit bewegter Stimme, „Du hast mir also nicht den Zustand Louise’s, sondern den Deiner eigenen Gattin geschildert, als ich diesen Mittag bei Dir war?“

Der Advokat reichte dem Kaufmann hastig die Hand.

„Lebe wohl, Joseph!“ rief er sichtlich bewegt. „Ist es mir vergönnt, so glücklich mit meiner Frau zu werden, als Du es mit Deiner Louise zu sein verdienst, so habe ich mich über die Kur unseres Arztes nicht zu beklagen. Lebe wohl, wir sehen uns nie wieder!“

Julius bot Helenen den Arm und verließ mit ihr das Landhaus. Joseph sank dem Arzte an die Brust.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_346.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)