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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 33. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der Schutzgeist des Hauses.
(Fortsetzung.)

Arnold, der sich diesen Anfall erklärte, näherte sich seiner Schwester, zog ihre Hände vom Gesichte und trocknete ihre Thränen, indem er sprach: „Weine doch nicht, liebe Schwester. Ich kenne nun den Wunsch Deines Herzens und Du darfst auf dessen Erfüllung zählen. Ein Mädchen wie Du ist doch ganz was Anderes, denke ich, als so eine hergelaufene Person, die Niemand angehört, und die schön sein muß, um ihr Brot zu gewinnen. Entweder wird der Rausch bei Alfred wie ein anderer vorübergehen, oder ich werde diese Schlingen zu zerreißen wissen, in denen sich sein Herz verfangen. Dafür bürge ich Dir mit meinem Kopfe. Ich hasse dieses Weib, das eine Störung in unsern friedlichen Kreis gebracht, damit die Schwester und den Freund leiden macht. Es muß mit dieser Geschichte ein Ende gemacht werden“, setzte er kaum hörbar hinzu.

Seit dieser Scene arbeiteten die Gedanken Arnold’s an einem Plane, wie Alfred von Adele loszureißen und mit seiner Schwester zu verbinden sei, wodurch nach seiner Ueberzeugung Beiden der erheblichste Dienst geleistet würde. Und bald schritt er zur Anwendung eines Mittels, das er ersonnen, um diesen Zweck zu erreichen.

Der wohlmeinende Freund Alfred’s begab sich zu Delphine’s Bruder, Herrn Thomas Flaireau, rue des bons enfants Nr. 11. Er fand einen jungen verlebten Mann „mit Runzeln und grauen Haaren“, mit verloschenen blauen Augen, die wüst aus tiefen Höhlen hervorblickten, von blasser Gesichtsfarbe, die in’s Graue spielte, in einen Schlafrock gehüllt, der nichts als schwache Erinnerungen an glänzende Zeiten bewahrt, am Kamine sitzend, mit nichts weiter beschäftigt, als ein lebhaftes Feuer zu unterhalten, sich zu wärmen und Rauchwolken, die er aus einer Cigarre zog, von sich zu blasen.

„Herr Flaireau?“ sprach Arnold, als er in die Stube trat.

„Der bin ich!“ antwortete eine tonlose Stimme.

„Ich habe mit Ihnen über eine Angelegenheit zu sprechen.“

„Sie sehen mich zu Ihren Diensten. Belieben Sie Platz zu nehmen.“

Arnold, nachdem er dieser Einladung gefolgt, sieht einen Moment den Bewohner der Stube prüfend in’s Gesicht.

„Sie haben Unglück auf der Börse gehabt“, begann er hierauf.

„Politische Ereignisse“, gab der Andere zurück, „die sich unmöglich vorhersehen ließen, haben mich zu Grunde gerichtet. Das beweist aber nichts gegen mich, eben so wenig als bewiesen ist, daß Napoleon kein großer Feldherr war, weil er die Schlacht bei Waterloo verloren, wo Blücher eintraf, anstatt daß Grouchy hätte eintreffen sollen. Wenn Sie also Kapitalien haben, die Sie durch geschickte Operationen verdoppeln, verdreifachen wollen, können Sie sich keines geeigneteren Mannes, als ich bin, bedienen.“

„Es handelt sich um ein Geschäft, Monsieur Flaireau, das seinen Nutzen sicherer abwirft, als eine Börsenspekulation“, sagte lächelnd Arnold.

„Ich bin zu jeder Unternehmung bereit, bei der was heraussieht“, versetzte hierauf Thomas. „Man muß vielseitig sein, will man es heutzutage zu etwas bringen. Findet man einen Weg verrammelt, so daß man nicht weiter kann, ist es natürlich, daß man einen andern einschlägt. Der Mensch kann dies vom ersten besten Strome lernen.“

„Ich glaube, daß wir uns verständigen werden“, sagte lächelnd Arnold.

„Lassen Sie gefälligst hören, um was es sich handelt.“

„Sie kennen den Grafen Worsakof?“

„Ich habe die Ehre.“

„Der Mann ist außerordentlich reich?“ frug Arnold. „Aber nicht unternehmend“, erwiederte Thomas. „Auch kein Mann von Genie; er begnügt sich mit dem, was er hat. Und dieses beweist immer eine Beschränkung des Geistes; mag nun das, womit man sich begnügt, eine Million oder fünftausend Franken sein. Ein bedeutender Mann ist und hat nie genug. Das ist mein Grundsatz.“

Arnold lächelte wieder als er sagte: „Sie sind sehr ehrgeizig, Monsieur Flaireau. Doch um wieder auf den Grafen Worsakof zu kommen. Ihre Schwester gefällt ihm?“

„Auch das wissen Sie?“ frug der Börsenspieler, indem er seinen Besuch mit großen Augen ansah.

„Wie kommt es“, fuhr Arnold fort, ohne diese Frage aufzunehmen, „daß Sie hier wohnen in der kleinen Stube der rue des bons enfants?“

„Das kommt daher“, versetzte mit einiger Heftigkeit Thomas, „weil meine Schwester das eigensinnigste Geschöpf ist, welches jemals einen Weiberrock getragen. Glauben Sie, ich kann von ihr erlangen, daß sie dem russischen Nabob nur Hoffnung macht? Unmöglich, ob dieses gleich vollkommen hinreichend wäre, nur einen großen Einfluß auf den Grafen zu gewinnen, was von unberechenbarem Nutzen werden könnte.“

„So!“ sagte Arnold überrascht. „Wie ist es aber zu erklären“, setzte er hinzu, „daß sich Ihre Schwester so hartnäckig erweist?“

„Du lieber Himmel, Launen, nichts als Launen! Sie wissen doch, wie die Weiber sind, und daß kein Philosoph und kein Schafskopf aus ihnen klug werden kann. Bald sind sie verschwenderisch,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_381.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)