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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

und der Lymphe in den Blutstrom gelangen und aus dem Blute endlich in das Gewebe des Körpers übertreten, werden erst mit Hülfe des Sauerstoffs (also durch eine Verbrennung) in gewebsbildende Substanzen umgewandelt und zwar so, daß aus dem Eiweiß sich Faser- und Käsestoff, Leim und Harnstoff hervorbildet, aus dem Fette aber die verschiedenartigen und eigenthümlichen Fettsorten des Körpers hervorgehen. Auch bei diesen Verbrennungen (von denen die stickstoffhaltiger Substanzen eine geringere Menge Sauerstoff als die stickstoffloser verlangen) bildet sich Wärme und es wäre nicht unmöglich, daß wenn sie unvollständig vor sich gingen, solche Stoffe erzeugt würden, welche Gewebe zu bilden unfähig wären und als krankhafte Substanzen sich hier und da im Körper aus dem Blute ablagerten (wie Tuberkel- und Krebsmasse). Der zur Gewebsbildung nicht zu verwendende Ueberschuß an Eiweißsubstanzem scheint ebenfalls zu Harnstoff verbrannt zu werden.

Das Bilden und Zerfallen der Bestandtheile unseres Körpers (d. i. der Stoffwechsel ist sonach die Hauptquelle unserer Eigenwärme und es wird also nicht blos eine Portion in unsern Körper mit der Nahrung eingeführten Feuerungsmaterials, sondern auch unser eigener Körper verbrannt. Es leuchtet deshalb gewiß auch ein, daß sich bei Hunger und Ruhe weniger Eigenwärme, als bei kräftiger Kost und Bewegung entwickeln muß, und daß sich ein großer Einklang zwischen unserer Wärme und dem Stoffwechsel findet, so daß die Eigenwärme als ein Maaß des Lebens angesehen werden kann. Darum das Sinken der Wärme bei herannahendem Tode. – Außerdem dürfte sich in unserm Körper aber auch noch auf andere Weise Wärme entwickeln können und zwar durch gewisse chemisch-physikalische Vorgänge, welche mit dem Stoffwechsel in engem Zusammenhange stehen und beständig im Gange sind. So entsteht Wärme, wenn sich ein Salz (eine Verbindung einer Basis mit einer Säure) bildet oder ein Mittelsalz in ein basisches umwandelt. Dies findet besonders statt, wenn kohlensaures Natron durch Milchsäure, Harnsäure, Fleischsäure oder Phosphorsäure zerlegt wird und wenn die Phosphor- und Schwefelsäure, welche durch das Verbrennen schwefel- und phosphorhaltiger eiweißartiger Substanzen sich gebildet hat, Salze bildet, in welchen Natron oder Kali vorherrschen. Ferner entwickelt sich dadurch auch noch Wärme, daß die durch Verbrennungen entstandene Kohlensäure von den Flüssigkeiten des Körpers verschluckt wird, so wie in Folge der steten Benetzung und Tränkung aller festen Gewebe mit wässeriger Flüssigkeit, weil dabei das Wasser in den feinsten Räumchen verdichtet wird. Sodann ist noch jede Bewegung im Körper als eine Quelle von Wärme zu betrachten.

Hiernach sind also die Wärmequellen im menschlichen Körper sehr mannigfaltige und es dürfte wohl niemals genau ergründet werden können, wie viel von Wärme jeder Quelle entströmt. Jedoch bleibt es gewiß, daß die verschiedenen Verbrennungsprozesse die meiste Wärme liefern und daß durch zweckmäßige Unterhaltung derselben willkürlich einiger Einfluß auf die Wärmebildung ausgeübt werden kann. Bedenkt man nun, daß nur bei dem gehörigen Wärmegrade die Lebensprozesse ordentlich gedeihen können, so wird man auch stets auf das richtige Maaß von Wärme im Körper halten, in manchen Fällen dasselbe zu erhöhen, in andern zu erniedrigen suchen müssen. Deshalb ist die richtige äußere und innere Anwendung von Wärme oder Kälte, von Hunger oder solchen Nahrungsstoffen, welche die Verbrennungsprozesse besser oder schlechter unterhalten, von Ruhe oder Bewegung u. s. w. von großer Wichtigkeit bei Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit. Mit derartigen Hülfsmitteln werden aber die Aerzte sobald noch nicht kuriren, weil dazu mehr gehört als Arzneimittel und Receptformeln auswendig zu lernen. (Ueber Erwärmung, Abkühlung und Erkältung s. später.)

B. 




Pariser Bilder und Geschichten.
Die unbekannten Gewerbe.
Manufaktur angerauchter Pfeifen. – Der Rebus-Auflöser. – Ameisenzucht. – Der Katzen-Vertilger.

Nicht weit von der Rue des Anglais besteht ein Gewerbe, wie Sie es in Deutschland wahrscheinlich vergebens suchen würden. Es ist die Fabrik angerauchter Pfeifen. Zwei Geschäftsmänner, die schon zu den Gelehrten gehören, haben eine geistreiche, geniale Erfindung gemacht; ihre Werkstätte könnte in einigen Stunden die ganze Armee des Orients mit angerauchten Pfeifen versorgen.

Dieses Anrauchen der Pfeifen hat einer Klasse kleiner Gewerbsleute den Todesstoß gegeben, die im Kleinen das Anrauchen betrieben. Wenn man längs der Quais der Seine spazieren ging, sah man sonst eine ganze Legion von Zigeunern (was man in Paris so nennt, Bohémiens), die ernst und behaglich in der Sonne saßen und den Duft ihrer Pfeifen einschnüffelten. Sie würden sich vielleicht gefragt haben, wie diese pariser Lazzaroni es anfingen, mitten in ihrem Schmutz und Lumpenstaat ihre Zeit mit Tabakrauchen zubringen zu können, also eigentlich mit Nichtsthun. Ihre Beschäftigung bestand gerade im Rauchen: Ein Unternehmer gab ihnen eine neue Pfeife, Taback für 40 Centimes (4 Sous) und 20 Centimes Lohn. Dafür mußte er eine gut angerauchte Pfeife geliefert erhalten. Sie konnten also zwei Meisterstücke in Einem Tage ausführen, nämlich sie profitirten für zwei Pfeifen 40 Centimes (8 Sous) und damit bestritten sie die Tagesauslagen auf folgende Weise:

 Ein Harlekin (Fleischbrocken mit Gemüse u. dergl. gemischt)   2 Sous
 Ein Canve (Glas) von etwas Violettem, genannt Wein 4  
 Brot oder Erdäpfel im Hemd (im Schlafrock) ein Pfund 2  
 Nachtlager in einer allgemeinen Schlafstube, auf einem Eiderdun
  von 3 Schuh (auf Stroh)
2  
Summa 8 Sous.

Man kann unmöglich das materielle Leben auf geringere Proportionen reduziren. Aber, mein Gott, das ist nun ein todtes Gewerbe! Die Industrie hat es umgebracht. Man kann heutzutage in Pfeifen rauchen, die mittelst eines chemischen Prozesses angeraucht werden. Dieser besteht darin, daß man die Gypspfeifen in einen Tabacksud taucht, nachdem man sie vorläufig etwas erwärmt hat.

Diese Pfeifen sind eben so parfümirt, als die nach der ursprünglichen Methode hergestellten; sie sind sogar eleganter, regelmäßiger angeraucht und besonders reinlicher. Dieses seltsame Gewerbe beschäftigt zehn Arbeiter, die täglich fünf Francs verdienen und zwanzig Arbeiterinnen mit täglichen drei Francs. Täglich werden davon fünf bis sechs Kisten, jede zu 1000 Stück in die Provinz geschickt und Paris selbst verbraucht ihrer ebensoviel.

Nun aber führe ich Sie zu einem ganz anders kuriosen Specialisten; ich meine einen Menschen, der sich sein Brot damit verdient, Räthsel, Rebusse u. dergl. aufzulösen, die man in gewissen Zeitungen zur sogenannten geistigen Unterhaltung der Abonnenten auftischt. In denjenigen Stadttheilen von Paris, wo die kleinen Rentner wohnen, giebt es Kaffeehäuser, Estaminets und Pensionen, Kosttische, die von einer allgemeinen Aufregung ergriffen werden, sobald in dem Morgenblatte eine solche geistige Aufgabe erschienen ist. Jeder glaubt sie dann gelöst zu haben.

Man spricht, schreit, wettet, erhitzt sich die Köpfe und disputirt sogar; zuletzt wendet man sich an die aufgeklärte Einsicht des Wirthes. Man kann sich nun leicht die Verlegenheit dieses Herrn vorstellen, der durch eine einzige positive Erklärung die Schwierigkeiten schlichten soll. Zum größten Glück für ihn hat sich ein Industrieller gefunden, der die zügellose Leidenschaft der kleinen Rentner für die Rebusse begriff und seine Existenz darauf zu bauen beschloß.

Er hat sich also als allgemeiner Oedip etablirt. An den Tagen der Rebusse läuft er frühzeitig in der Stadt herum, besucht alle solche Anstalten, giebt dem Wirthe eine schriftliche Erklärung des Räthsels und zieht dann mit seinem Honorar ab, das fünf Sous beträgt. Zuerst beschränkte sich seine Kundschaft auf das Stadtviertel aux marais, aber allmälig hat sie sich auf die übrigen Quartiere ausgebreitet. Jetzt ist er genöthigt, einen Mann aufzuwenden, um die Austheilung seiner papierenen Lösungen zu besorgen. Damit verdient er nun bei einem Rebus 50 Francs: nun erscheinen deren aber wöchentlich drei, so daß er monatlich 600 Francs verdient.

Das Seher-Talent dieses Specialisten hätte vor einigen Jahren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_390.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)