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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Am 27. Juni ließ General Dulce die von ihm commandirte Cavallerie absichtlich zu einer Revue ausrücken. Noch ahnte das Ministerium von dem so nahe bevorstehenden Schlage nichts, als O’Donnell schon vor den ausgerückten Truppen erschienen war und sie in einer feurigen Ansprache zum Sturze der auf dem Vaterlande lastendenden verächtlichen Wirthschaft entflammt hatte. Der Ruf: „Tod den Verräthern! Nieder mit den Ministern! Es lebe die Königin! Es lebe die Freiheit!“ zitterte, von den Winden getragen, über Madrid hinweg, und öffnete der Camarilla die Augen über den Umfang der für sie angebrochenen Gefahr. Die gerade mit dem Hofe in Aranjuez weilende Königin kehrte noch desselben Tages eilig nach Madrid zurück, während O’Donnell an der Spitze von zweitausend Reitern und Fußgängern, und von den Generalen Dulce, Messina, Ros de Olano und Echague begleitet, der Hauptstadt vorerst den Rücken kehrte, und dem revolutionslustigen Arragonien zuzog, wo er auf zahlreiche Unterstützung rechnen konnte. Der zu O’Donnell’s Verfolgung ausgeschickte Kriegsminister, General Blaser, ließ es zwar an von der Regierung veröffentlichten pomphaften Siegesbulletins nicht fehlen, einen ernstlichen Zusammenstoß vermied er aber sorgfältig, da die Treue der Truppen immer mehr zu schwanken begann, und sie bei jedem Begegnen regimenterweise zu den Aufständigen übergingen.

Der Hof versuchte es wechselsweise mit Bannsprüchen und Pardonszusicherungen, wobei jedoch seine anfänglich scheinbar sichere Haltung bald der bleichen Furcht Platz machte, denn auf die Kunde von O’Donnell’s glücklicher Schilderhebung folgten fast alle Städte in den Provinzen mit ihren Pronunciamentos (Aufstandserklärungen), traten die meisten Generale dem Aufstande bei, und die Camarilla sah sich binnen Kurzem auf den bloßen Besitz von Madrid beschränkt.

Es ist das Eigenthümliche der politischen Umwälzungen in Spanien geworden, daß sie immer erst ihren Halt in den Provinzen zu gewinnen suchen, ehe sie die Hauptstadt erfassen. Der Provinzial- und Communalgeist wirkt, ungeachtet der hergestellten politischen Einheit, noch mächtig in Spanien, und eine Menge von der Centralgewalt unabhängige Gewalten bewegen sich stets im freien Spielraume fort. Diese unabhängigen, in dem Gemeinde- und Provinzialleben wurzelnden Gewalten, bis zu welchen die Beeinflussungen der Regierung nicht reichen, werden für jede Bewegung, die in Gang kommt, eine wichtige Stütze, wie sie jedoch andererseits auch die Ursache sind, daß die spanischen Umwälzungen selten zu Gunsten doctrinärer Ideen und großer politischer Principien stattfinden. Gewöhnlich ist man immer nur über die Beseitigung eines vorhandenen wirklichen oder vermeintlichen Uebels einverstanden, und hierbei sieht man häufig die Vertreter der verschiedensten Interessen und die Häupter der entgegengesetzten Parteien, die sich vielleicht bei einem andern Anlasse blutig bekämpften, einträchtig zusammenwirken. Wenn daher beziehungsweise Revolutionen in Spanien leicht gelingen, so fehlt ihnen andererseits stets der moralische Nachhall der Ideen und Grundsätze, und so sehen wir wohl auch kein Land so sehr als Spanien sich im Kreislauf der Revolutionen bewegen, ohne zu irgend welchem wirklich humanen Fortschritt zu gelangen.

So rief auch jetzt wieder das von O’Donnell gegebene Signal alle Provinzen gegen die verhaßte Camarillen-Wirthschaft unter die Waffen, und Männer aller Farben erklärten sich mit gleicher Entschiedenheit gegen die Regierung. Entfernung des Ministeriums und der Königin Mutter, Wiederherstellung der Verfassung von 1837, Einberufung der Cortes, waren im Wesentlichen die gemeinsamen Forderungen der Provinzialjunten, welche damit auf monarchisch-dynastischem Boden stehen blieben, wie denn auch O’Donnell seinen Truppen den Namen „Constitutionell-monarchische Division“ beilegte. Ein geordnetes Zusammenwirken der verschiedenen, durch ihren Rang in der Armee ziemlich einander gleichgestellten Führer des Aufstandes fand dabei nicht statt, und erst als der Siegesherzog Espartero (während der Minderjährigkeit Isabella’s Regent von Spanien) nach Saragossa eilte und der Bewegung beitrat, wurde dessen Name vom ganzen Lande als der des Retters begrüßt.

Was bis dahin vorgefallen, war jedoch eigentlich immer nur erst ein in seinem Verlaufe glücklicher, von der öffentlichen Meinung getragener Militäraufstand; den Charakter der Volksrevolution nahmen die Ereignisse erst am 17. Juli an, als dem Tage, an welchem Madrid, unter den aus allen Theilen des Landes einlaufenden Kriegsbotschaften, sein Pronunciamento erließ.

Das aufgebrachte Volk richtete zunächst seine Angriffe gegen die ihm verhaßten Persönlichkeiten; die Paläste und Wohnungen der Minister und anderer bekannten Camarillenmitglieder wurden verwüstet und zerstört, wo Waffenvorräthe, bemächtigte sich die Menge ihrer, Barrikaden wuchsen empor, Angriffe auf die öffentlichen Gebäude erfolgten und ein heftiger Kampf begann gegen die vom Grafen San Luis in’s Leben gerufene Municipalgarde und die noch zum Hofe haltenden wenigen Truppen. Noch über Nacht bildete sich unter dem alten geachteten General San Miguel eine aus gemäßigten Elementen zusammengesetzte Junta, welche sofort ein neues gemischtes Ministerium improvisirte, und die Wiederherstellung der Preßfreiheit und Zurücknahme des Zwangsanleihe-Dekrets verkündigte, damit aber die Kämpfenden nicht zu beschwichtigen vermochte, die von den Barrikaden herab in erster Reihe die Vertreibung der Camarilla, Wiederherstellung der Nationalgarde und Auflösung der Municipalgarde forderten. Das einmal geflossene Blut erhitzte die Gemüther noch mehr, und ein zum Theil grauenvoller Kampf, der bis unter die Fenster des königlichen Palastes tobte, entspann sich von Neuem und endete erst am 19., als sich der Hof zur Entlassung des improvisirten Ministeriums unter dem Herzoge von Rivas, und zur Berufung Espartero’s entschloß. Die Mehrzahl der überhaupt lässig kämpfenden Truppen vereinigte sich mit dem Volke. Dessenungeachtet blieb die Wohlfahrts- und Vertheidigungs-Junta in voller Wirksamkeit; sie übte eigentlich die höchste, den Händen der Regierung entfallene Autorität aus, zahlreiche Clubs unterstützten sie dabei, und bei dem allgemeinen Mißtrauen gegen den Hof blieben auch die Barrikaden in den Straßen der Hauptstadt nach wie vor besetzt. Die Camarilla war inmitten von Madrid gefangen.

Der Ruf: „Es lebe die Königin!“ hatte zwar noch während des Kampfes in Madrid ertönt, unverkennbar waren aber dabei sehr entschiedene republikanische Elemente zu Tage getreten, denen der Thron eben nicht sehr an’s Herz gewachsen war. Die Königin Mutter, die Minister und andere verhaßte Werkzeuge der Camarilla waren, auf Flucht und Rettung sinnend, beim Losbruch des Volkssturms von der Seite der Königin Isabella verschwunden, die sich über den Verlust ihrer bisherigen Rathgeber nur schwer trösten wollte. Die siegreichen Barrikadenkämpfer mußte natürlich ein solches Gebahren der Königin nicht gerade günstiger stimmen, und schon ließ sich ahnen, daß eine Abdankung Isabella’s zu Gunsten ihrer Tochter noch als der glimpflichste Ausgang gelten konnte.

Espartero langte am 29. Juli unter jauchzendem Zuruf und nur sehr geringen Sympathiebezeugungen für die Königin in Madrid an, von Allen als Retter willkommen geheißen. Zwar wirkte seine Gegenwart einigermaßen beruhigend auf das Volk, allein im Stande der Dinge selbst brachte sie keine Aenderung hervor. Die Spaltung zwischen der Dynastie und dem Volke erweist sich breiter als man glaubte, und der Siegesherzog dürfte, wie er auch beabsichtigen soll, sein Ansehen und seinen Einfluß, zunächst nicht sowohl im einseitigen Interesse der königlichen Familie geltend machen, als vielmehr, um Spanien vor dem Bürgerkriege zu bewahren, eine Verständigung unter den Häuptern der einzelnen Parteien zu erzielen suchen. Zwischen ihm und O’Donnell, im Felde ehemalige Gegner, ist es dergestalt bereits zur Versöhnung gekommen, bei all den ehrgeizigen Ansprüchen der vielen Generale aber zeigt sich Spaniens Zukunft, über welche schließlich die nächstens zusammentretenden Cortes zu entscheiden haben, eben nicht sehr trostreich.

So weit wir ohne Befangenheit die gegenwärtigen Stimmungen und Wallungen des spanischen Volkes beurtheilen, scheint uns die Monarchie selbst noch nicht gefährdet. Die republikanische Partei, dem Obersten Amettler folgend, ist verhältnißmäßig sehr schwach, und die Republik eine Regierungsform, welche bei dem dermaligen Bildungsgrade der Massen in Spanien jedenfalls Fiasko machen würde. Die socialistische oder kommunistische Partei, von deren Vorhandensein die Zeitungen bisweilen gesprochen, weil sie einige betrunkene Pöbelhaufen, die hier und da plündernd auftreten, mit jener Partei verwechselten, existirt im Grunde gar nicht in Spanien. In der Hauptsache sind die Liberal-Constitutionellen, dort Progressisten genannt, in diesem Augenblick die Herren der Lage, und der vorgerücktern Fraktion unter ihnen, den Esparteristen,

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