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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 37. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Klementine.
(Fortsetzung.)

„Der insolente Mensch!“ rief sie zornig aus, indem sie das Magazin betrat, dessen Glasthür die Aussicht auf die Straße bot. „Bei jeder Gelegenheit verfolgt er mich mit seinen beleidigenden Anträgen. Ich wette, daß der Brief, den ich gestern erhielt, von ihm kommt! Aber ich werde mich hüten, ihn zu lesen, denn das wäre ein Verrath an meinem Fritz, den ich von ganzem Herzen liebe. Und daß er mich wiederliebt, darf ich nicht bezweifeln. Warum putzt er sich so, warum verwendet er seinen ganzen Verdienst auf schöne Kleider? Ach, ich mache es ja eben so, um ihm zu gefallen, und hätte ich schönere Sachen, ich würde sie stets tragen. Wahrhaftig, Fritz sieht nicht aus wie ein Tapezierer, er gleicht einem jungen Kaufmanne, der in einem Comptoir arbeitet. Wo er nur so lange bleibt? Der Vetter hat Recht, auf ihn böse zu sein, und ich möchte jedesmal mit ihm zanken, wenn er so lange ausbleibt. Aber ich kann es nicht, sobald er mir die Hand reicht und mich anlächelt, ist mein Zorn verschwunden.“

Sie trat an das Fenster und sah die Straße hinab.

„Dort kommt er endlich!“ flüsterte sie freudig erschreckt. „Er trägt den neuen Talmamantel, von dem er mir gesagt hat. Wahrlich, ein Kaufmann kann nicht stattlicher aussehen. Man möchte glauben, er sei für die eleganten Kleider geschaffen. Ach, und wie schön der Hut auf dem braunen Lockenkopfe aussieht. Gerechter Gott, was ist das? Er grüßt und starrt dem Wagen nach – da kommt ein anderer angefahren – Fritz, treten Sie bei Seite! Wie sich die Pferde bäumen! Fritz, um Gotteswillen –!“

Doris wandte sich ab und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, als ob sie das schreckliche Schauspiel nicht länger mit ansehen könne.

Da ließ sich auf der Straße ein lautes Lachen vernehmen, und eine Stimme rief: „Fahrt nur zu, ich komme nicht unter Euere Pferde! Ueber diese ängstlichen Menschen!“

Gleich darauf ward die Thüre geöffnet und Fritz trat ein.

Zitternd wandte sich die erschreckte Doris dem Eintretenden zu.

„Ach, da sind Sie ja, und ich glaubte – –“

„Was?“ fragte Fritz, indem er seinen Arm um ihre schlanke Taille legte, und ihr freundlich in das Gesicht sah.

„Daß Sie unter die Räder gekommen wären.“

„Thörichte Furcht, meine liebe Doris! Das wäre Schade um meinen neuen Mantel gewesen! Nun, wie steht er mir! Wie gefalle ich Ihnen?“ fragte Fritz, indem er sich in Positur warf.

„Vortrefflich!“ rief Doris, der bei diesem Anblicke aller Schreck vergangen war. Ach, wenn Sie Vetter Thaddäus sieht.“

„Warum?“

„Damit sich sein Zorn über Ihr langes Ausbleiben legt.“

„Ob der Alte zornig ist oder nicht, das kümmert mich wenig! Jetzt ist es Mittag, und ich als Werkführer und Zeichner habe zwei Stunden Zeit zum Essen. Diese Musestunden werde ich zum Lesen eines Romans verwenden.“

„Wie, jetzt wollen Sie lesen?“

„Ein anständiger Mann, mein Fräulein, findet mehr Genuß an einer geistigen Speise, als an einer wohlbesetzten Tafel. Ein guter Roman ist für mich ein Leckerbissen. Man schöpft aus ihm Lebensklugheit, Anstand, Sitte und schöne Redensarten, die man bei vorkommenden Gelegenheiten anwenden kann. Ach, und vorzüglich die französischen modernen Sachen! Wie elegant, wie galant und pikant! Lesen Sie französische Romane, Doris, und Sie werden eine vollkommene Dame.“

In diesem Augenblicke ließ sich der Ton einer Klingel vernehmen.

„Der Vetter!“ sagte Doris. „Ich will zu ihm gehen.“

Sie entfernte sich.

„Und ich,“ flüsterte Fritz, „werde meine geborgten Kleider ablegen; Herr Thaddäus möchte doch nicht ganz damit einverstanden sein, daß ich den Stutzer spiele. Ach, diesen Morgen bin ich mit ihr unter den Linden spazieren gegangen! Welch ein reizendes, liebenswürdiges Mädchen! Und dieses Glück verdanke ich diesem Talmamantel, meinem Anstande und meiner geistreichen Unterhaltung. Wüßte sie, daß ich ein Tapezierer wäre, sie würde sich hüten, mit mir zu sprechen. Ich bin so glücklich, so selig, daß mir der Appetit zum Essen vergangen ist. Wie die Offiziere nach mir herüberschielten, man sah den Neid und die Mißgunst in ihren Blicken. So weit habe ich es gebracht, daß ich mit den Gardeoffizieren rivalisire! Ich schlage sie alle aus dem Felde, ich muß siegen!“

Während dieses Monologs hatte Fritz einen von den prachtvollen Kleidersecretairs geöffnet, die eleganten Kleider, die er abgelegt, hineingehangen, und die Thüre wieder verschlossen. Dann zog er seinen Arbeitsrock an, band eine grüne wollene Schürze vor, holte aus deren Tasche ein Buch, setzte sich auf einen Stuhl neben dem Fenster und begann zu lesen. So traf ihn die zurückkehrende Doris. Leise trat sie neben seinen Stuhl und flüsterte ihm in’s Ohr:

„Herr Fritz!“

„Was giebt’s?“ fragte der junge Mann ohne aufzusehen.

.Man hat mir einen Brief geschrieben.“

„Einen Liebesbrief?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_429.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)