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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Nun,“ fuhr der Junker fort, „kannst Du keine bessere Wahl für mich treffen?“

„Nein!“

„Dann erlaube mir, daß ich Deine irrigen Ansichten berichtige. Nicht die Großmutter, sondern die Enkelin wird meine Frau.“

„Klementine?“ fuhr Ernst empor.

„Klementine von Falk, die reizendste Dame Berlins. Ist sie auch arm – was thut’s? Ich besitze Geld, und sie bringt mir Schönheit, Jugend, Geist und einen alten, untadelhaften Adel. Mehr kann ein Mann als Entschädigung für seine Freiheit nicht fordern. In vierzehn Tagen ist die Verlobung, und wiederum in vierzehn Tagen die Hochzeit. Ich glaube, besser kann ich das Vermögen meines Bruders nicht anwenden, denn Klementine ist seine Pathe, die er stets liebte und auszeichnete. Vetter, Du bist mein Gast zur Verlobung und Hochzeit!“

Der Junker entfernte sich, und schloß sich den beiden Damen an, die langsam durch den Saal gingen.

„Was ist das? Was ist das?“ dachte Ernst, indem er beide Hände an seinen heißen Kopf legte. „Die Zuschrift der alten Dame, die sich des reichen Erben versichern will, ist jetzt erklärt. Der arme Neffe muß dem reichen Onkel weichen. Aber Klementine – willigt sie in den Tausch? Nach den Vorfällen dieses Abends muß ich es annehmen. Sie ist keiner wahren Liebe fähig, sie strebt nur nach Reichthum. Ihr Wunsch ist erfüllt, denn der Junker besitzt ein großes Vermögen. Wie aber lassen sich in diesem Falle ihre geheimnißvollen Gänge erklären? Was führte sie in das elende Haus jener abgelegenen Straße? Warum zeigt sie sich öffentlich mit dem jungen Manne, von dem sie abhängig zu sein scheint? Welch ein Labyrinth von Intriguen!“

Ernst’s Gedanken verwirrten sich. Bald ward er von einer heißen Wuth gefoltert und er schwur, das Geheimste dieser Intriguen zu ergründen – bald hätte er weinen mögen über den Fall des armen Mädchens. Aber immer beherrschte seine leidenschaftliche Liebe die wechselnd aufkeimenden Gefühle. Den Engel hatte er verloren, und den göttlichsten der Dämonen hatte er wieder gefunden. Er verurtheilte Klementine wie eine Sünderin, aber er liebte sie wie eine Heilige.

Das Zeichen zur Tafel ward gegeben. Die Gäste verschwanden nach und nach in dem angrenzenden Saale, in dem sich die Tafelmusik vernehmen ließ. Ernst wollte den Ausgang gewinnen, um nach Hause zu gehen, aber der langsame Strom der Gäste zwang ihn, hinter einem Pfeiler stehen zu bleiben. Da erschien auch Klementine an dem Arme des strahlenden Bräutigams.

„Morgen Abend führe ich Sie in die Oper,“ sagte er galant. „Musik und Dekorationen sind magnifique!“

„Ich gebe es zu,“ antwortete Klementine, „aber ich muß danken.“

„Lieben Sie die Oper nicht?“

„Nein!“

„So führe ich Sie in das französische Lustspiel.“

„Ich bin für morgen Abend versagt – eine Freundin – –“

Die folgenden Worte konnte Ernst nicht mehr verstehen. Er hatte genug gehört. Wie betäubt verließ er das Haus des Banquiers. Noch eine Stunde irrte er durch die kalten Straßen, dann betrat er seine Wohnung. Ein Fieber schüttelte ihn, daß er sein Bett suchen mußte. Er wachte noch, als die Karosse des Junkers gegen Morgen den glücklichen Bräutigam heimbrachte. Gegen Mittag ließ er sein Entlassungsgesuch abgehen.


V.

Der Abend war dunkel, und ein kalter Wind peitschte die ersten Schneeflocken durch die Luft. Kaum hatte es sieben geschlagen, als Ernst, in einen Mantel gehüllt, die Z…straße betrat und vor dem uns bekannten Hause auf- und abzugehen begann. Die letzten Worte, die er von Klementine auf dem Balle gehört, hatten ihm zu dem Argwohn Veranlassung gegeben, daß sie heute ihren geheimnißvollen Besuch wiederholen würde. Seine Eifersucht brachte diesen Besuch mit dem jungen Manne in Verbindung, der ihm vorgestern an der Gitterthür des Ganges entschlüpft war.

Der arme Ernst, von Zweifel und banger Hoffnung gefoltert, dachte nicht an das Herabwürdigende seiner Lage und seines Beginnens.

„Wird sie kommen,“ fragte er sich, „da sie weiß, daß ich das Ziel ihres Ganges kenne? Oder wird sie die Zusammenkunft mit dem unbekannten Galan an einen andern Ort verlegt haben?“

Die Antwort auf die zweite Frage sollte er bald erhalten. Kaum hatte er zehn Minuten das alte finstere Haus betrachtet, als er Schritte auf dem Pflaster hörte. Er wandte sich und in dem Lichtkreise der zehn Schritte entfernten Laterne ward ein Mann in einem kurzen Mantel sichtbar.

„Er kommt, nun wird auch sie nicht ausbleiben!“ dachte Ernst.

Schnell trat er in den finstern Gang und lauschte. Sein Herz schlug rasch und fieberhaft. Die Schritte kamen näher, und der Mann trat in den Gang. Es war dasselbe Gesicht, das er bereits gesehen hatte, die von der Treppe her leuchtende Lampe zeigte deutlich seine Züge. Es bedarf wohl kaum einer Erwähnung, daß der Eintretende kein anderer war als Fritz, der junge Tapezierer. Als er die Gestalt in dem großen Mantel erblickte, blieb er bestürzt stehen.

„Mein Herr,“ sagte Ernst halb laut, „wir treffen uns heute zum zweiten Male an diesem Orte. Vorgestern wichen Sie mir durch die Flucht aus – ich hoffe, Sie werden jetzt den Muth haben, mir Rede zu stehen.“

„Mein Herr,“ fragte Fritz, „mit welchem Rechte versperren Sie mir den Weg?“

„Mit dem Rechte, das mir die Erhaltung der Ehre einer Dame giebt, die binnen Kurzem in meine Familie eintritt. Es gilt, ein Geheimniß zu entdecken, das Sie, wie ich Grund habe zu vermuthen, kennen.“

„Lieber Herr,“ sagte der erstaunte Fritz, „Ihre Vermuthung ist falsch, denn auch ich bin gekommen, ein Geheimniß zu entdecken.“

„Wie?“

„Ich suche einen gewissen Herrn Julian. Sind Sie es vielleicht?“

„Und wenn ich es wäre?“

„Dann habe ich Ihnen einen Brief zurückzugeben –“

„Einen Brief? Wie kommt er in Ihre Hände?“

„Ein seltsamer Unbekannter hat ihn verloren, und ich habe ihn gefunden.“

Es giebt wenig Leidenschaften, die nicht endlich unredlich werden. Ernst beschloß, sich für den auszugeben, für den er gehalten ward. Fritz sah den schönen jungen Mann mit dem braunen Barte ängstlich an, er zweifelte keinen Augenblick, daß er Julian, seinen Nebenbuhler vor sich habe, dem Klementine ein Rendezvous versprochen. Von seiner Eifersucht hatte er vorgestern einen Beweis erhalten, und da er heute nicht so leicht entspringen konnte, beschloß er, den Verdacht von sich abzuwälzen, als stelle er Klementine nach.

„Ich bitte, geben Sie mir den Brief,“ sagte Ernst.

Der Tapezierer überreichte ihn mit leise bebender Hand, was dem Offizier nicht entging.

„Wenn Sie ihn als den Ihrigen erkennen,“ fügte er hinzu, „so habe ich als ehrlicher Mann meine Pflicht gethan.“

„Und ich werde Ihnen danken, sobald ich mich davon überzeugt habe.“

Ernst eilte zu der Lampe, und las den mit „Klementine“ unterzeichneten und mit der Adresse „Julian“ bezeichneten Brief.

Fritz sah, wie das Papier in den Händen des Lesers zitterte, wie er mit den Blicken die Zeilen verschlang, und wie das von der Luft geröthete Gesicht plötzlich bleich ward.

„Das sind ihre Schriftzüge!“ murmelte er, indem er das Papier konvulsivisch zusammendrückte und zu sich steckte.

Dann trat er rasch zu Fritz zurück.

„Sie haben den Brief gefunden, mein Herr?“

„Wie ich bereits gesagt. Da die Adresse sehr genau ist, wollte ich ihn durch Frau Hammerschmidt, die hier wohnt, dem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben lassen.“

„Gehen wir zu der Frau, daß sie ihn besorge.“

„Wie, Sie sind nicht Herr Julian?“ fragte Fritz verwundert.

„Ich will Sie nicht belügen – nein! Doch auch Sie mögen als Ehrenmann offen und wahr meine Fragen beantworten.“

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_432.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)