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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

in der Weise getrennt, daß die Männer den westlichen Theil des Hauses und die Weiber den östlichen inne haben.

Um noch des Bodens zu erwähnen, so enthält derselbe, außer den schon erwähnten Wasserreservoirs, Vorrathskammern aller Art und kleinere Kammerabtheilungen zur Aufbewahrung der Utensilien jedes einzelnen Hospitaliten, denen in den Schlaf- und Aufenthaltsräumen natürlich kein Platz eingeräumt werden konnte.

So wie alle Zimmer des Hauses mit Nummern versehen sind, so sind auch die jedem Saale zugetheilten Personen nach Nummern eingetragen, die sich ebenfalls an den Bettstellen wiederholen. Die Arbeits- und Aufenthaltssäle selbst sind mit zwei langen Tafeln und der entsprechenden Anzahl Stühle möblirt, ferner findet sich ein allgemeiner Kleiderhalter angebracht und außerdem hat jede Nummer einen eigenen, an der Wand befestigten, verschließbaren Kasten zur Aufbewahrung von Gegenständen und Sachen gewöhnlichen Gebrauchs. Das sonstige Besitzthum der Hospitaliten befindet sich, wie schon erwähnt, in den ihnen zugewiesenen Bodenkammerabtheilungen.

Man mag in dem Hause die Schritte lenken wohin man will, überall stößt man auf die musterhafteste Zweckmäßigkeit in der Anlage, wobei das Friedrich-Wilhelm’s Hospital in Berlin zum großen Theil als Vorbild diente. Es ist hier nichts unberücksichtigt geblieben, und wenige Städte dürften ihren Armen eine Behausung bieten wie jetzt Leipzig den seinigen. Eine Fülle von Licht und Luft, diese beiden großen Wohlthäter des Menschen, durchwallt alle Räume des Gebäudes; breite steinerne Treppen führen bis in das oberste Stockwerk, an den Zimmern und Sälen entlang laufen fünf Ellen breite Corridors, die der Reinlichkeit wegen, wie überhaupt der gesammte hölzerne Fußboden, mit Leinfirniß eingerieben sind. Bei Anlage der Corridors ist besondere Rücksicht darauf genommen, den Wohn- und Schlafräumen in keiner Weise die Sonnenseite zu verkümmern; so liegen in der gegen Mitternacht gerichteten Hauptfronte die Corridors, entgegen der üblichen Bauweise, nach vorne zu, während die Zimmer der mittäglichen Hofseite zugekehrt sind. In den Seitenflügeln laufen die Corridors an der innern Hofseite hin und liegen die bewohnten Räume nach der Morgen- und Abendseite zu, alle mit für Leipzig reizender Aussicht. Die specielle Luftreinigung der Zimmer wird durch zwischen den Mauern hinlaufende Kanäle vermittelt; andere Röhren leiten nach sämmtlichen Corridors das zur Reinlichkeit ebenso nothwendige Wasser. Bezüglich der Feuerung mußte bei einer solchen Anstalt selbstverständlich auf die größtmögliche Ersparniß gesehen werden; die Heizung findet durchgängig von Außen statt, wobei die in der Landesanstalt zu Hubertusburg gebräuchlichen Oefen als Muster gedient haben, nicht aber ohne durch Anwendung des Treppenrostsystems eine wesentliche Verbesserung zu erfahren. Die von Außen bewerkstelligte Schließung der Oefen macht es unmöglich, daß andere als mit Heizung beauftragte Personen in Berührung mit denselben kommen können. Mit Blitzableitern wurde das Haus nicht versehen, wohl aber befindet sich ein solcher auf der das Gebäude noch überragenden Dampfesse.

Das neue Armenhaus wird erst den 11. October seinem Zwecke übergeben, und stand mithin bei unserer Wanderung noch leer, so daß wir ein lebensvolles Gemälde vorerst nicht zu sehen bekamen. Ebenso steht die Besetzung des Hofes mit Bäumen und Ruhebänken, um als Spaziergang der Bewohner zu dienen, noch bevor. Für 200 derselben sind vorläufig die Einrichtungen zur Aufnahme getroffen, da aber die Säle bis zur Aufnahme von 24 Personen berechnet sind, und auch die Stuben zu zwei Personen noch füglich eine Vermehrung um das Doppelte zuließen, nöthigenfalls auch ein Theil des hohen, hellen und luftigen Souterrains recht wohnlich eingerichtet werden könnte, so gelangt man zu einer ziemlich größern Zahl. Sollte diese in näherer oder fernerer Zeit erreicht werden, so ist bei der ganzen Anlage des Gebäudes auf leicht zu bewerkstelligende Vergrößerung Rücksicht genommen.

Es war für die Armenpflege stets eine wichtige Frage, in welcher Weise die Armen am Zweckmäßigsten unterstützt werden, und wir können hier unmöglich auf die Unvollkommenheit und Unzweckmäßigkeit der mancherlei Verfahrungsweisen eingehen. Armenhäuser allein, selbst wenn sie reich dotirt sind, thun es nicht, gegen die Verabreichung von klingenden Almosen erheben sich aber immer mehr sachkundige Stimmen. Den rechten Weg einzuschlagen mag hier schwerer als anderswo sein, zumal wenn man die verschiedenen Klassen von Armen betrachtet, von denen jede vielleicht eine andere Art der Behandlung erheischen möchte. Diese oft feinen Distinktionen ängstlich festzuhalten, kann nicht Sache einer allgemeinen Armenanstalt sein, noch weniger die einer Armenhausverwaltung, welche sich der nicht gerade leicht zu erhaltenden Ordnung wegen an einen festen Schematismus binden muß.

Wo wie in unserer Zeit so vielfach mit Humanismus und Humanität koquettirt wird, hat man auch das Recht des Individuums auf eventuelle Versorgung durch die Gesammtheit oft bis zu lächerlichen Ansprüchen hinaufschrauben wollen, wornach z. B. durch die Aufnahme in das Armenhaus erst recht die Süßigkeiten und Herrlichkeiten des Lebens begonnen hätten. Bis zur Praxis sind dieser Schlag Humanisten allerdings nie durchgedrungen, und immer noch hat der gesunde Grundsatz die Oberhand behalten, die Armenpflege im Ganzen so einzurichten, daß sie den Armen nicht in eine bessere Lage versetze, als in welcher sich die Klasse der freien Arbeiter durchschnittlich befindet. Rücksichtlich des Obdachs sind die Versorgten der Armenhäuser bereits meist besser daran als die freien Arbeiter, was wohl auch aus der von uns versuchten Schilderung des leipziger Armenhauses hervorgeht. Bleibt hiernach die Frage des Zustandes im Allgemeinen: Welches ist die Lage des Hospitaliten nach dem Schematismus des Armenhauses, und der angenommenen Hausordnung?

Die bei Gewährung nur freien Obdachs und freier Feuerung bisher den Hospitaliten stillschweigend zugestandene Erlaubniß, durch Bettel für ihre übrigen Bedürfnisse zu sorgen, fällt dahin, und gewährt die Anstalt, wie sich das bei geordneter Armenpflege auch gehört, neben dem Obdach zugleich die Beköstigung. Die großartigen Einrichtungen hierzu haben wir im Souterrain geschildert. Es wird den Versorgten des Armenhauses eine einfache gute Kost verabreicht, Sonntags mit Fleisch; so weit es nothwendig wird, werden sie mit Kleidung und Wäsche versehen, eine hölzerne Bettstelle, Strohmatratze u. s. w. bekommt ebenfalls jede Person, kurz die Anstalt sorgt in jeder Beziehung für Leibes Nothdurft und Nahrung der ihrigen. Um dem verderblichen Müßiggange vorzubeugen, werden dagegen die Hospitaliten zum Arbeiten angehalten, so die Einen zu leichten Dienstleistungen bei den im Hause vorkommenden Arbeiten, die Mehrzahl aber in den großen Sälen zu gemeinschaftlichen Beschäftigungen, wie sie bejahrten Personen noch recht wohl zugemuthet werden können, als Federschließen, Papierdütenmachen und dergleichen, wodurch zugleich der Anstalt eine kleine Einnahme erzielt wird.

Ohne besondere Erlaubniß kann kein Hospitalit das Haus verlassen, und zum gewöhnlichen Ausgang ist nur ein Tag in der Woche bestimmt. Letztere Bestimmung scheint etwas hart, dürfte aber durch die Neigungen der im alten Armenhause Versorgten zum Bettel hinlänglich gerechtfertigt erscheinen, zumal da auch die erstere Bestimmung stets wieder für ordentliche Personen Ausnahme zuläßt. Fälle der Trunkenheit und sonstigen übeln Betragens werden mit Vereinzelung bestraft, wozu im Souterrain drei übrigens recht passable Zimmer eingerichtet sind.

Bedenkt man, daß der ziemlich umfängliche Bau, mitsammt der innern Einrichtung, doch nur die Summe von 61,000 Thlrn. in Anspruch genommen hat, so muß man gestehen, daß hier mit verhältnißmäßig wenig Mitteln viel geleistet wurde, und daß die Männer, welche mit der Leitung dieses Musterbaues, der sicherlich mancher andern Stadt zum Vorbild dienen wird, betraut waren, mit seltener Umsicht verfuhren. Das Haus ist nach einem Entwurfe des Architekten Zocher aufgeführt; die Geldmittel hat die Armenanstalt beschafft, welche dabei ihre Zuflucht zu einem schnell aufgebrachten, unverzinslichen Darlehen von 25,000 Thalern in Aktien zu 100 Thalern nahm. Die mit Ueberwachung des Baues Beauftragten waren der Stadtrath Dr. Vollsack und der Seilermeister Bösenberg, welch letzterer, zumal in seiner Stellung als Vorsteher des Armenhauses die anerkennenswertheste Thätigkeit beim Bau und der Einrichtung entwickelte.

Für die menschliche Gesellschaft wäre es erfreulicher, wenn keine Armenhäuser gebaut werden müßten, und es liegt eben nicht ein Trost für die Zukunft darin, daß die Wohlthätigkeitsanstalten und das Unterstützungswesen zu immer größern Proportionen greifen müssen. Weil es aber unter den gewordenen Verhältnissen so sein muß, so beschränken wir uns auf den Wunsch, daß das neue

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