Seite:Die Gartenlaube (1854) 478.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

selbst hervorleuchten wird, wenn dieses beendet sein und mit seiner Umgebung – der Centralhalle und dem eben beendeten nach mexikanischem Geschmack aufgeführten Knauth’schen Hause – einen imposanten und eigenthümlich schmuckvollen Punkt des häuserreichen Leipzig bilden wird. Diese Aufgabe zu erfüllen, schien die Durchführung des maurischen Styls mit seinen eigenthümlichen Hufeisenbögen am Geeignetsten.

Die Hauptanordnung ist dem Prinzipe nach der Basilika entlehnt; wir finden hier das Hauptschiff, die Nebenschiffe wieder. Dem Mittelschiffe (in Anordnung, Maßen und Verhältnissen mit dem Tempel Salomonis übereinstimmend), dessen Längenachse dem Ritus gemäß von West nach Ost sich erstreckt, schließen sich die Seitenschiffe von der Form eines durch die örtlichen Verhältnisse sich ergebenden Paralleltrapezes zu beiden Seiten symmetrisch an.

Das Hauptportal liegt an der hintersten Ecke des Gebäudes etwas von der Straße zurück, im Hintergrunde eines von Gittern eingeschlossenen Vorhofes.

Steigen wir die wenigen Stufen hinan, um einen Blick in das Innere zu thun, so kommen wir zuerst in eine geräumige durch Oberlichtfenster erleuchtete Halle, zu deren Rechten sich ein Zimmer für den Prediger befindet, von welchem aus derselbe, wenn zur Winterszeit der Gottesdienst in dem heizbaren, von der an die Halle sich anschließenden Vorhalle aus gangbaren Betsaale abgehalten wird, direkt auf die Kanzel gelangen kann. An dem Ende der Vorhalle liegt eine Treppe von Sandstein, die nach den westlichen Emporen der das Stockwerk über dem Betsaale einnehmenden Castellanwohnung führt.

Wir stehen am Eingange, dem Blicke stellt sich dar das geräumige, hohe Mittelschiff, über welches das, durch zahlreiche dicht unter dem Plafond angebrachte Fenstergruppen herabfallende Licht eine magische Wirkung ausgießt. Diese Ansicht ist auf dem Bilde dargestellt.

Der oblonge Raum, der Tempel, ist mit Betstühlen erfüllt, der erhöhete Raum am östlichen Ende, das Heilige, gehört dem Ceremoniell beim Gottesdienste an; von hier aus führen breite Treppen zu dem noch höher gelegenen, durch Vorhänge abgetrennten Allerheiligsten (Thoraschrank), die Gesetzrollen enthaltend. Hier gruppirt sich die Predigtkanzel und der Rednerstuhl für die Trauungen und Confirmationen, das Pult für den Vorbeter, die Sitze für den Prediger und den fungirenden Vorsteher, die herabhängende ewige Lampe und der neunarmige Leuchter.

Aeußerlich stellt sich das Allerheiligste, wie bei der christlichen Kirche die Chornische, durch einen Rundbau (an der Straßenecke) dar, welchem, kuppelförmig überdacht und mit einem Oberlichtfenster versehen, eine große die Vorhangdrapirung bekrönende reichbemalte Rosette (im Grunde eines Bildes) ein mattes Licht leiht.

Drei Bogenöffnungen, je an den beiden Langseiten des Mittelschiffs, vereinigen dasselbe mit den Seitenschiffen, in denen sich zwei übereinanderstehende, auf eisernen Säulen ruhende Emporen befinden. Die Treppen, auf welchen man zu ihnen gelangt, liegen in den thurmartig erhöhten, mit Zinnen bekrönten Gebäudeecken. Die obere, dem Allerheiligsten gegenüberliegende westliche Empore nimmt den Sängerchor, und für den Fall, daß späterhin sich die Gemeinde noch darüber einigen sollte, die Orgel auf.

Das Gebäude wird 1600 Sitzplätze enthalten, demnach gegen 2000 Personen fassen, von welcher Zahl sich die kleinere Hälfte auf die Emporen vertheilen würde, von wo aus auf allen Plätzen, vermöge ihrer tribünenförmigen Anlage, das Ceremoniell wie der Prediger wahrgenommen werden können.

Und so möge denn der schöne Bau rüstig vorwärts schreiten und, ohne Störung und Unfälle beendet, ein neues Band um confessionell geschiedene Mitbürger sein; wie er immer ein ehrendes Denkmal sein wird für den Beistand, den bei seiner Gründung und Aufrichtung die Behörden und Bewohner Leipzigs ihren israelitischen Mitbürgern mit brüderlicher Bereitwilligkeit reichten.




Blätter und Blüthen.


Eine Drachenfahrt. Seitdem es in den Köpfen der Menschen heller geworden, sind die Ungeheuer der Fabel von der Erde verschwunden und treiben nur noch in den Köpfen der Dichter ihr Wesen. Das Ungethüm, vor dem einst, wie die Mythe berichtet, die Menschheit erzitterte, ist jetzt ein unschuldiges Spielwerk in der Hand der Kinder. Doch in dem kindischen Spiel liegt oft eine tiefer Sinn und so war auch der Drache, welcher bei seinem kühnen Flug durch die Lüfte die Kleinen ergötzt, zu etwas Höherem berufen. Ausgezeichnete Gelehrte verschmäheten es nicht, ihn zum Gegenstande scharfsinniger Abhandlungen zu machen; so Daniel Schwenter in seinen „mathematischen Erquickungsstunden, Nürnberg 1651“ und der gelehrte Musschenbroek. Hundert Jahre später leistete das Spielwerk der Kinder der ernsten Wissenschaft ersprießliche Dienste. Ein Jeder kennt den Versuch Franklin’s, wodurch er den Blitz aus den Wolken zur Erde herniederzog. Doch die näheren Umstände sind wohl nicht so allgemein bekannt und interessant genug, um hier in der Kürze vorgeführt zu werden.

Otto v. Guericke, der berühmte Bürgermeister von Magdeburg, der 1650 die Luftpumpe erfand, war es auch zuerst, der einen electrischen Funken beobachtete. Fast gleichzeitig mit ihm beobachtete Wall, ein englischer Physiker, diese Erscheinung in einem lebhafteren Glanze, als er einen großen Harzcylinder rieb und das dabei auftretende Geräusch veranlaßte ihn, beides mit den Erscheinungen beim Gewitter, dem Blitz und Donner zu vergleichen. Dieser kühne Ausspruch erregte große Aufmerksamkeit und weitläufige Erörterungen, jedoch waren diese kleinen Funken nicht ausreichend, um das Geheimniß, worin damals noch die großartigste Naturerscheinung gehüllt war, zu enthüllen. Der Beweis mußte direct an den Gewitterwolken geliefert werden und dazu forderte Franklin, dem es an Mitteln fehlte, die Gelehrten in Europa auf. Der vielen Worte wegen kam man hier nicht zur Sache und so blieb dem kühnen Amerikaner Zeit genug, selbst an’s Werk zu schreiten.

Sein Scharfsinn verhalf ihm dazu, alle Schwierigkeiten leicht zu überwinden. Ein winziges Ding, ein Spielzeug in den Händen der Kinder, diente dazu, seinen Ruhm zu vermehren. Ein Drache sollte ihm dazu dienen, die Electricität aus den Wolken zur Erde herabzuleiten, und das erste Gewitter wurde zur Ausführung des Versuches, dessen Gefahr dem Unternehmer selbst unbekannt war, bestimmt. Nur von seinem Sohne begleitet, begab er sich im Juni 1752 in’s Freie, weil er fürchtete, sich lächerlich zu machen, wenn der Versuch mißglückte. Letzteres hätte leicht geschehen können, weil man damals mit dem Wesen der Electricität, mit der Art ihrer Fortpflanzung noch nicht recht vertraut war. Die hanfene Schnur war wenig geeignet, die Electricität herniederzuführen und so stand denn Franklin lange Zeit mit der Schnur in der Hand, ohne daß sich irgend etwas Bemerkenswerthes zutrug, obgleich der Drache dicht unter einer Wolke schwebte, die mit Blitzen schwanger zu gehen schien. Die ernstesten Befürchtungen stiegen in ihm auf, daß seine Vorhersagungen scheitern würden, als der Zufall ihm gütig beisprang. Ein unbedeutender Regen befeuchtete die Schnur und verwandelte sie dadurch in einen guten Leiter für die Electricität. Alsobald beobachtete er, daß einige Fäden an der Schnur sich in die Höhe richteten. Dadurch wuchs sein Muth bedeutend. Voll Zuversicht näherte er seinen Finger der Schnur und siehe da, er war im Stande dieser einige kleine Funken zu entlocken. Um seine Freude zu begreifen, muß man ihn selbst diesen Augenblick schildern hören.

Man macht den Naturwissenschaften den Vorwurf, daß sie den poetischen Anschauungen, mit welchem Namen man die Ausgeburten des Aberglaubens sich selbst heute nicht scheut zu belegen, ein Ende mache. Es ist nicht zu leugnen, daß sie der größte Feind des Aberglaubens ist, gegen den sie schonungslos auftritt. Freilich sind in Folge der Entdeckungen, die uns die jüngste Zeit gebracht hat, manche poetischen Gebilde einer kindlichen Phantasie als unhaltbar erkannt, aber liegt in der Wahrheit, dem Verständniß der Vorgänge in der Natur nicht ein unendlich höherer Reiz? Die Dichter haben leider wenig Nutzen aus den reichen Schätzen der Wissenschaft zu ziehen gewußt. Mehr als tausend andere wichtige Dinge, durch welche Dichter sich begeistert fühlten, verdiente diese Entdeckung besungen zu werden. War sie auch eine Frucht des Denkens, so wurde sie doch durch eine Heldenthat in die Welt eingeführt. Denn leicht hätte es geschehen können, sobald die Schnur ganz feucht geworden wäre, oder aus einem besseren Leiter bestanden hätte, daß Franklin seine Kühnheit mit dem Leben hätte büßen müssen und Alles, was er nach dieser Zeit für die Wissenschaft und Freiheit Großes ausführte, wäre für die Nachwelt verloren gewesen.

So wurde zum zweitenmale ein Kinderspielzeug das Mittel der interessantesten wissenschaftlichen Entdeckung. Früher bediente sich Newton schon der Seifenblasen bei seinen Studien der Farben. Durch Franklin gelangte der Drache auch in der Wissenschaft zu Ehren; man bediente sich seiner von dieser Zeit her, nach dem Vorschlage Cavallo’s, zur täglichen Beobachtung[WS 1] der Luftelectricität. Doch die neuere Zeit brachte vortrefflichere Instrumente und so hieß es auch hier: „der Mohr hat seine Dienste gethan, der Mohr kann gehen.“ Das Kinderspielwerk verschwand aus der Reihe der gelehrten Apparate.

Vor fast dreißig Jahren machten die Drachen als Wunder verrichtend wieder viel von sich reden. Englische und französische Zeitungen berichteten Ausgangs 1826, daß der Professor Pocock zu Bristol mit diesem äotischen Gespann verschiedene Fahrten unternommen habe, bei denen selbst die schnellen Renner des Herzogs von Gloucester öfters besiegt worden wären.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Beobtung
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_478.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2016)