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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

In einem Alter von siebenzehn Jahren, ohne alle Erfahrung, ohne alle Kenntniß der Welt und des Lebens, ward sie mit dem ergrauten Landwirth, dem Baron von Dudevant, vermählt, dem sie 500,000 Franken als Mitgift zubrachte. Die unglückselige Ehe mit dem alten, wenig zarten, dem Landbau und der Viehzucht allein zugewendeten Baron gab der edlen Frau für ihr ganzes Leben Schmerz und Kampf, der vielleicht der Welt die große Dichterin, gewiß aber ihren Werken jenes Gepräge und jene Richtung gegeben, die so viel Mißdeutungen und Anfechtungen, freilich auch Bewunderung und Vergötterung gefunden. Da sie das Leben in der Nähe ihres Gatten nicht ertragen konnte, entfloh sie, ihm ihr Vermögen und ihre beiden Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, zurücklassend, und nichts weiter als eine tiefe, brennende Wunde mit sich nehmend. Sie ging nach Paris, bezog dort eine kleine Dachstube auf dem Quai St. Michel, und da sie keine Mittel hatte, ihr Leben zu fristen, versuchte sie anfangs durch Malen das Nothwendige zu gewinnen, und als dieses nicht gelang, vertauschte sie den Pinsel mit der Feder. Herr Latouche, der Redakteur des „Figaro“, druckte ihre ersten Artikel. Darauf schrieb sie gemeinschaftlich mit Jules Sandeau, ihrem intimsten Freunde in Paris einen Roman: Rose und Blanche oder die Schauspielerin und die Nonne. Auf die Empfehlung des Herrn Latouche zahlte ihnen ein alter Buchhändler 400 Franken für das Manuskript. „Indiana“ war der erste Roman der George Sand; er wurde mit 600 Franken von Herrn Roret honorirt und hatte einen außerordenlichen Erfolg. Um diese Zeit nahm George Sand Männerkleider, nicht im Entferntesten aus Emancipationsgelüsten, wie allgemein verbreitet ist, sondern um mit ihrem Freund Sandeau ungestört umherstreifen und wohlfeiler in’s Theater gehen zu können. Auf Indiana folgten andere Erzählungen, welche in Kurzem Weltberühmtheit erlangten.

George Sand kam in Mode, die Pariser, von der Neuheit der Erscheinung und von dem Glanze dieses künstlerischen Talentes angezogen, suchten die Dichterin huldigend auf und drängten sich um sie. Aber je größer die Erfolge von der einen, desto heftiger, desto unerbittlicher die Angriffe, die Verfolgungen von der andern Seite. Weil sie die geistigen and materiellen Conflicte in der Ehe, weil sie die Mißbräuche schilderte, welche mit dieser heiligen Einrichtung getrieben werden, weil sie die Entwürdigung derselben durch Beimischung gemeiner Elemente, die ihr ferne bleiben sollten, schilderte, und auf Läuterung derselben drang, warfen ihr die Tartüffes aller Länder, welche sich den Anschein sittlicher Entrüstung geben wollten, vor, daß sie auf Abschaffung der Ehe, auf Zerstörung der Familie hinarbeiten wolle. Sie hat am Besten durch die That diese fanatischen, unhaltbaren Anklagen widerlegt. Durch einen gewonnenen Prozeß gegen den Baron von Dudevant in den Besitz ihres Vermögens und ihrer Kinder gelangt, hat sie stets mit diesen und für diese gelebt. Sie hat ihre Tochter an einen achtbaren Mann verheirathet, der sie fort und fort alle möglichen Opfer bringt, und von der sie Undank als Bezahlung empfängt. Sie ist bemüht, ihren Sohn auf eine würdige Weise zu verehelichen, und welches Ziel sie bei diesem Streben vor Augen hat, mag ein Zug andeuten, der das ganze Wesen der Dichterin so wie die Feindseligkeiten gegen sie charakterisirt.

Sie hat eine Cousine, die Frau eines armen Schneiders, Namens Brault. Madame Adele Brault hat eine Tochter, in welcher die Dichterin eine anziehende Persönlichkeit liebgewann. Sie nahm das Mädchen zu sich auf ihr Schloß Nohant, um sie geistig und physisch zu pflegen. Gewiß ein menschenfreundliches Werk, das bessern Dank verdient hätte, als es gefunden.

Sie schrieb, nachdem sich das Mädchen einige Zeit bei ihr aufgehaltnn, diesen authentischen Brief an Madame Brault.

„Theuere Adele! Unser liebes Kind befindet sich außerordentlich wohl, und vergnügt sich wie ein Kind, das Ferien hat. Ich bin ihr dabei auf’s Beste behülflich. Wir jagen umher wie die Zigeuner. Ich bewirthe sie mit guter Luft, mit gesunder Kost und gutem Weine, kurz, ich glaube, daß sie sich’s gar nicht besser wünschen kann, als ihr der gegenwärtige Augenblick bietet, und ich möchte ihr diesen immer verlängern. Wie fange ich dieses an. Ich bin sehr in Verlegenheit. Wenn Moritz [1] nur etwas älter wäre, könnte ich hoffen, sie zu verheirathen, und dieses ist mein sehnlicher Wunsch. Sie hat Alles für sich: Schönheit, Güte, Jugend, Offenheit, Adel und Einfachheit des Gemüths. Ich weiß wohl, daß sie Moritz entzückend findet, und daß er sie zärtlich liebt. Allein er fühlt es wohl, daß diese Liebe für’s ganze Leben dauern oder unterdrückt werden müsse; und wenn er sich zu ihr hingezogen fühlt, geschieht es wie zu einer Schwester, so lange er sich nicht von einer ältern Leidenschaft in seinem jungen Herzen geheilt fühlt. Er sprach mit mir, er sagte mir, daß er nur für Ein Weib Liebe fühle, die ich kenne und die ihm nie gehören kann. Seine Liebe ist unglücklich, voll Entsagung und dazu alljährlich durch lange Trennung geschwächt. Ich halte sie keineswegs für unverwüstlich. Handelte es sich blos um flüchtige Liebe zu Augustinen, so bin ich gewiß, daß diese erfolgen würde. Ich habe ihm jedoch erklärt, was ich von ihm erwarte. Daß er sie nämlich heirathe, wenn er sie ernstlich liebt, daß er sich aber hüte, sie nur zur Hälfte zu lieben. Als ich diese Unterhaltung mit ihm hatte, war er eben aus Paris gekommen, und hatte das Herz noch voll von dem Bilde, das er kürzlich gesehen. Wie ich es erwartet, konnte ich mit seiner ehrenhaften Gesinnung zufrieden sein; allein er wies ängstlich den Gedanken an eine eheliche Verbindung zurück. Seit jener Zeit war er nicht mehr so traurig und gequält, als er jedes Jahr gewesen, wenn er sich von Frau * * * trennte. Er ist im Gegentheil von unbegränzter Lustigkeit und lacht mit Augustinen und seiner Schwester von Morgen bis Abend. Ich bemerke wohl, daß die alte Leidenschaft nicht allzu heftig ist, und daß er sie wird vergessen können.

„Das reicht jedoch nicht hin, meine Theuere, es ist der Entschluß erforderlich, in das ernste Leben zu treten, sich entschieden auszusprechen, um seinen Vater zu einer Einwilligung zu bewegen, die nicht ohne Schwierigkeit erzielt werden wird. Denn der Vater hängt am Gelde und würde eine Heirath aus Neigung tadeln. Es sind endlich Geschmack am Ehestande und der Vorsatz unbedingter Treue erforderlich, die man bei einem Manne von zweiundzwanzig Jahren kaum findet, es wäre denn im Falle übermäßiger Leidenschaft. Das sind wohl hinreichende Hindernisse, welche besiegt werden müssen. Doch sehe ich in alle Dem nichts Unüberwindliches, nichts Verzweifeltes. Moritz hat im Grunde einen geordneten friedlichen Charakter, er hat nicht im Mindesten Hang zu Prunk und Ausschweifung. Er hat nie eine Thorheit begangen und wird es wohl auch nicht; es wäre denn, daß er gänzlich umschlägt. Er liebt über Alles, die Familie und das Familienleben. Er hat für seine friedliche Häuslichkeit, eben so wie für seine Mutter eine ruhige, aber dauernde Anhänglichkeit. Wie ein wahres Weib liebt er Kinder. Er ist von glücklichem, gleichmäßigem, besonnenem und zugleich heiterm Naturell, welches ihn gewiß nicht zu stürmischen Liebschaften nach Außen treiben wird. Er ist nirgends glücklicher als zu Hause bei der Arbeit, bei zurückgezogener, regelmäßiger Beschäftigung. Dieses glückliche Temperament läßt vorhersagen, daß er in Augustinen Alles, was er an Sanftmuth, Heiterkeit und Einfachheit wünschen kann, finden muß. Ich sehe klar, ich beobachte und erkenne, daß sie das Weib ist, welches ihm in jeder Hinsicht entspricht, weil sie mäßig und bescheiden erzogen, für stilles Glück nicht abgestumpft ist, und keine Laune haben wird.

G. Sand.“ 

Dieses vertrauliche Schreiben an eine Verwandte, dem man es wegen der Nachlässigkeit des Styls sowohl, als wegen des bürgerlichen alltäglichen Tones auf den ersten Blick ansieht, daß bei dessen Abfassung nicht an die Oeffentlichkeit gedacht wurde, beweist besser als jeder Anwalt, als jede Zeugenschaft, mit welcher frommen Scheu und Ehrfurcht George Sand die Ehe, die Familie betrachtet. Der Schneider Brault bildete dennoch aus diesen schönen ehrwürdigen Gedanken der Dichterin eine Anklage gegen sie. Der gute Kleiderkünstler begriff all die Bedenklichkeiten der verschrienen Frau nicht nur, er deutete die ungewöhnliche Anschauungsweise zum Schlimmen.

„Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen!“ sagt unser Schiller. Nie hat sich diese traurige Wahrheit mehr bestätigt, als an der französischen Dichterin.

George Sand hat sich vor Jahren aus der pariser Verwirrung, von der ihre kräftige Natur unbeschädigt geblieben, auf ihr Schloß Nohant in eine Art von Einsamkeit zurückgezogen, wo sie der Familie, der Kunst, den Freunden, den Hülfsbedürftigen auf Meilen in der Runde lebt. Von ihrer Gastfreundschaft kann man sich kaum einen Begriff machen. Jeder der nach Nohant kommt, ist an ihren Tisch geladen. Ihre Wohlthätigkeit ist ohne Grenzen. Die Unglücklichen von Berri wissen davon zu erzählen. Sie

  1. So ist der Name ihres Sohnes.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_491.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)